Arbeitsrecht: Besondere Kündigungserfordernisse bei einem schwerbehinderten Arbeitnehmer in der Elternzeit

Bundesarbeitsgericht, 24.11.2011, Az.: 2 AZR 429/10

Grundsätzlich genießen schwerbehinderte sowie diesen gleichgestellte Menschen in Deutschland besonderen Kündigungsschutz.

Eine Kündigung ist zwar auch schwerbehinderten Arbeitnehmern gegenüber möglich, jedoch nur unter erschwerten Bedingungen für den Arbeitgeber.

Das maßgebliche Gesetz, welches die Kündigung von schwerbehinderten Arbeitnehmern regelt, ist das Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX)

Nach § 85 SGB IX ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Arbeitnehmers unwirksam, wenn sie ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamtes erfolgt ist.

Dies gilt auch bei Behinderten, die unterhalb eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 bleiben, aber mindestens einen Grad der Behinderung von 30 aufweisen und durch die Agentur für Arbeit einem Schwerbehinderten gleichgestellt sind.

Erteilt das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung auf Antrag des Arbeitgebers, kann dieser gem. § 88 Abs. 3 SGB IX die Kündigung nur innerhalb eines Monats nach Zustellung der Zustimmung des Integrationsamtes erklären.

In dem oben genannten Fall hatte das Bundesarbeitsgericht nun über das Zusammentreffen des Zustimmungserfordernisses nach § 85 SGB IX mit dem Erfordernis einer Zulässigkeitserklärung gem. § 18 Abs. 1 Satz 2 BErzGG (jetzt: BEEG).

Auch § 18 Abs. 1 S. 2 BErzGG (jetzt: BEEG) normiert ein behördliches Zustimmungserfordernis zu einer Kündigung, nämlich dann, wenn ein Arbeitnehmer sich in der Elternzeit befindet:

„Der Arbeitgeber darf das Arbeitsverhältnis ab dem Zeitpunkt, von dem an Elternzeit verlangt worden ist, höchstens jedoch acht Wochen vor Beginn der Elternzeit, und während der Elternzeit nicht kündigen. In besonderen Fällen kann ausnahmsweise eine Kündigung für zulässig erklärt werden. Die Zulässigkeitserklärung erfolgt durch die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle. Die Bundesregierung kann mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Satzes 2 erlassen.“

Einleitung: Der Fall des schwerbehinderten Klägers

Der Kläger, geboren 1971 und seit 2001 bei dem beklagten Arbeitgeber beschäftigt, ist aufgrund eines Motorradunfalls im Jahr 1992 als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 70 anerkannt. In den Jahren 2004 und 2005 entbrannten zwischen den Parteien Diskussionen über die Leistungsfähigkeit des Klägers, da der Arbeitgeber dem Kläger zahlreiche Fehlleistungen vorwarf. Der Kläger verweigerte mehrfach die Aufforderungen, sich ärztlich begutachten zu lassen, was letztlich zu Spannungen und einer drohenden Kündigung führte.

Elternzeit und erneute Forderung nach Begutachtung

Zwischen dem 1. Juli 2005 und dem 24. Mai 2008 befand sich der Kläger in Elternzeit, während der er mit dem Arbeitgeber eine Verringerung seiner Arbeitszeit auf 30 Wochenstunden vereinbarte. Trotz der laufenden Elternzeit forderte der Arbeitgeber im Jahr 2006 erneut eine medizinische Untersuchung, um die Einsatzfähigkeit des Klägers zu überprüfen. Der Kläger verweigerte abermals die Untersuchung, was schließlich dazu führte, dass der Arbeitgeber den Entschluss fasste, das Arbeitsverhältnis zu kündigen.

Kündigungsverfahren und Zustimmung durch Behörden

Der Arbeitgeber beantragte beim Integrationsamt sowie beim Regierungspräsidium die Zustimmung zu einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung. Der Personalrat erklärte seine Zustimmung zur vorsorglichen ordentlichen Kündigung. In der Folge erteilten sowohl das Integrationsamt als auch das Regierungspräsidium ihre Zustimmung zur Kündigung, woraufhin der Arbeitgeber diese aussprach.

Der Kläger erhob daraufhin Kündigungsschutzklage mit der Begründung, dass die fristlose Kündigung unwirksam und die ordentliche Kündigung sozial ungerechtfertigt sei. Er argumentierte, dass der Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden sei und dass die Kündigung nicht innerhalb der Frist von einem Monat nach Zustimmung des Integrationsamts erfolgt sei, wie es § 88 Abs. 3 SGB IX vorschreibt.

Entscheidungen der Arbeitsgerichte

Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage des Klägers statt, löste jedoch auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 10.440 Euro brutto auf. Zudem sprach es dem Kläger Annahmeverzugsvergütungen in Höhe von 7.700,76 Euro brutto zu. Das Landesarbeitsgericht erhöhte später die Abfindung auf 11.000 Euro und verurteilte den Arbeitgeber zu weiteren Zahlungen von 271,17 Euro. Die Klage auf Erteilung einer Abrechnung wurde abgewiesen.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen nach §§ 85, 88 Abs. 3 SGB IX in Verbindung mit § 134 BGB unwirksam sei, wenn der Arbeitgeber die Kündigung nicht innerhalb eines Monats nach der Zustimmung des Integrationsamts erkläre. Es betonte jedoch, dass in Fällen, in denen die Kündigung zusätzlich einer weiteren behördlichen Erlaubnis, wie der nach § 18 Abs. 1 BErzGG, bedarf, die Interessen beider Parteien in einem angemessenen Ausgleich zu berücksichtigen seien. Sollte die Zulässigkeitserklärung nach Ablauf der Monatsfrist eingehen, könne der Arbeitgeber die Kündigung noch wirksam aussprechen, sofern er dies unverzüglich nach Erhalt der Erklärung tue.

Das Gericht stellte fest, dass der Arbeitgeber die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nur dann verlangen könne, wenn die Unwirksamkeit der Kündigung allein auf ihrer Sozialwidrigkeit beruhe und nicht auf anderen Gründen gemäß § 13 Abs. 3 KSchG. Dies führte zur Klärung der Rechtslage in Fällen, in denen mehrere Zustimmungen für die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen erforderlich sind.

Quelle: Bundesarbeitsgericht

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