Niedersächsisches Finanzgericht, 09.11.2010, Az.: 10 V 309/10
Grundsätzlich geht die Einkommensteuer vom Individualprinzip aus, d. h., dass die Steuergesetze grundsätzlich auf jeden Steuerpflichtigen gesondert angewendet werden und dass die Einkommensteuer für die einzelne steuerpflichtige Person unter Zugrundelegung ihres zu versteuernden Einkommens festgesetzt wird. Dieser Einzelveranlagung unterliegen alle Steuerpflichtigen, für die nicht die Ehegattenbesteuerung anzuwenden ist.
Bei Ehegatten wird der Grundsatz der Einzelveranlagung durchbrochen (§ 26 Abs. 1 EStG), wenn beide Ehegatten unbeschränkt steuerpflichtig sind und die Ehegatten nicht dauernd getrennt leben. Die zweite Bedingung ist grundsätzlich dann erfüllt, wenn die Ehepartner eine Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft bilden, also eine räumliche, persönliche und geistige Gemeinschaft mit gemeinsamer Erledigung der beide Ehepartner berührenden wirtschaftlichen Fragen ihres Zusammenlebens.
Bei eingetragenen Lebenspartnerschaften bestand nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (vgl. Urteil des BFH vom 20.07.2006, Az.: III R 8/04) bisher kein Anspruch auf Zusammenveranlagung, weil der Gesetzgeber dieses Verfahren nach §§ 26, 26b EStG ausdrücklich auf Ehegatten beschränkt hatte und Partner von eingetragenen Lebenspartnerschaften nicht vom Wortlaut der Vorschriften nicht erfasst waren. Auch die entsprechende Anwendung der Vorschriften (§§ 26, 26b EStG) war mangels einer unbewussten Regelungslücke des Gesetzgebers nicht geboten.
Das Niedersächsische Finanzgericht hat nun im vorläufigen Rechtsschutz unter Bezugnahme auf diese Rechtsprechung entschieden, dass der Ausschluss von Partnern einer eingetragenen Lebenspartnerschaft von der Anwendung der Regelungen über das Ehegattensplitting verfassungswidrig sei.
1. Hintergrund des Falls
Die Antragstellerin, Partnerin einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, stellte beim zuständigen Finanzamt den Antrag auf Zusammenveranlagung nach den §§ 26 Abs. 1 S. 1 und 26b des Einkommensteuergesetzes (EStG). Ursprünglich gewährte das Finanzamt die Zusammenveranlagung, änderte jedoch im Rahmen eines Einspruchsverfahrens die Entscheidung und führte stattdessen eine Einzelveranlagung durch. Die Antragstellerin beantragte daraufhin vor Gericht die Aussetzung der Vollziehung mit der Begründung, dass die Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft verfassungswidrig sei.
2. Rechtslage und Argumentation des Finanzamts
Das Finanzamt stützte seine Entscheidung auf die gesetzlichen Vorgaben des Einkommensteuergesetzes. Diese sehen vor, dass das Ehegattensplitting ausschließlich Ehegatten vorbehalten ist. Der Gesetzgeber hat klar festgelegt, dass die Zusammenveranlagung nur für Ehen gilt und nicht auf eingetragene Lebenspartnerschaften ausgeweitet werden kann. Eine analoge Anwendung der Vorschriften für Lebenspartnerschaften sei laut Finanzamt ausgeschlossen, da keine unbeabsichtigte Regelungslücke im Gesetz vorliege.
3. Argumentation der Antragstellerin und Verfassungsrechtliche Bedenken
Die Antragstellerin argumentierte vor Gericht, dass der Ausschluss eingetragener Lebenspartnerschaften von der Zusammenveranlagung gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verstoße. Sie verwies darauf, dass das Bundesverfassungsgericht in Fällen, in denen der Gesetzgeber Differenzierungen aufgrund der sexuellen Orientierung vornimmt, eine strenge Gleichheitsprüfung fordert. Die Wahl zwischen Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft sei eng mit der sexuellen Orientierung verknüpft, sodass die Ungleichbehandlung in der Steuerrechtspraxis eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität darstelle.
4. Entscheidung des Niedersächsischen Finanzgerichts
Das Niedersächsische Finanzgericht folgte der Argumentation der Antragstellerin. Es stellte in einer überschlägigen Prüfung des vorläufigen Rechtsschutzes fest, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestünden. Zwar räumte das Gericht ein, dass der Wortlaut der relevanten Steuervorschriften die Zusammenveranlagung auf Ehegatten beschränkt, jedoch sei der Ausschluss von eingetragenen Lebenspartnerschaften verfassungswidrig. Das Gericht stellte fest, dass es keinen hinreichenden Unterschied zwischen Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft gebe, der eine solche Ungleichbehandlung rechtfertige.
5. Verfassungsrechtliche Bewertung und Fazit
Das Gericht verwies insbesondere auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Ungleichbehandlung von Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung nur durch gewichtige Gründe gerechtfertigt werden könne. Da Ehe und eingetragene Lebenspartnerschaft beides rechtlich verfestigte, auf Dauer angelegte Partnerschaften seien, gebe es keine ausreichenden Unterschiede, die eine steuerrechtliche Ungleichbehandlung rechtfertigen würden. Auch das besondere Schutzgebot der Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG rechtfertige eine solche Ungleichbehandlung nicht, wenn dies zur Benachteiligung anderer Lebensformen führe.
Insgesamt stellte das Niedersächsische Finanzgericht fest, dass die steuerliche Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich nicht haltbar sei und gab der Antragstellerin im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes recht.
Quelle: Niedersächsisches Finanzgericht
Aktualisierung: Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 06.06.2013 entschieden, dass das Ehegattensplitting auch für eingetragene Lebenspartnerschaften gilt. Zum Urteil
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