Oberlandesgericht Bamberg, 24.09.14, Az.: 3 Ss 59/13
Die Zusammenhänge zwischen aufenthaltsrechtlicher Illegalität und Kriminalität sind äußerst komplex. So stellen illegaler Aufenthalt selbst sowie Anstiftung und Beilhilfe hierzu Straftaten dar (§ 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, § 96 Abs. 1 AufenthG), welche mit einem nicht unerheblichen Strafmaß belegt sind.
Die §§ 95-97 AufenthG bilden typische Strafvorschriften des Nebenstrafrechts. Im Gegensatz zum Strafgesetzbuch (StGB) enthalten die §§ 95-97 AufenthG die Tatbestandsmerkmale auch nicht vollständig, sondern verweisen auf andere Vorschriften des AufenthG oder sonstiger Gesetze.
Insbesondere das Verhältnis zwischen den Strafvorschriften und dem Asylrecht stellt die deutschen Gerichte immer wieder vor große Herausforderungen. So zum Beispiel in dem oben genannten Fall des Oberlandesgerichtes Bamberg, welches im Rahmen der Revision über einen Freispruch eines Amtsgerichtes zu entscheiden hatte.
Einleitung: Flucht und Einreise des Angeklagten nach Deutschland
Der Angeklagte, ein afghanischer Staatsangehöriger, floh aus seinem Heimatland und gelangte über den Iran und die Türkei nach Griechenland. Dort erhielt er von einem Schleuser gegen die Bezahlung von 1.500 Euro einen gefälschten pakistanischen Pass, der auf den Namen einer anderen Person ausgestellt war, aber mit dem Foto des Angeklagten versehen wurde. Am 17. August 2010 reiste der Angeklagte mit Unterstützung des Schleusers, der ihn durch die Flughafenkontrollen begleitete, per Flugzeug von Griechenland nach München, Deutschland ein.
Polizeikontrolle und Asylantrag
Bei der polizeilichen Einreisekontrolle am Flughafen München legte der Angeklagte den gefälschten Pass vor. Der kontrollierende Polizeibeamte erkannte sofort die Fälschung, woraufhin der Angeklagte festgenommen wurde. Bei der Festnahme erklärte der Angeklagte, dass er in Deutschland um Asyl nachsuchen wolle. Noch am selben Tag fand eine förmliche Vernehmung statt, in der der Angeklagte seine Fluchtgründe darlegte. Am 18. August 2010 wurde er in die zuständige Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in München überstellt, wo er einen formellen Asylantrag stellte. Das Asylverfahren ist bis heute noch nicht abgeschlossen.
Erstes Urteil des Amtsgerichts: Freispruch
Das Amtsgericht, das zunächst mit dem Fall befasst war, sprach den Angeklagten vom Vorwurf der unerlaubten Einreise, des unerlaubten Aufenthalts und der Urkundenfälschung frei. Das Gericht argumentierte, dass das Verhalten des Angeklagten durch das in Art. 16a Abs. 1 GG verankerte Asylrecht gerechtfertigt sei. Das Gericht verneinte eine Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 AufenthG und § 267 Abs. 1 StGB, weil es den persönlichen Strafaufhebungsgrund des Art. 31 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) als einschlägig ansah.
Revision der Staatsanwaltschaft und Entscheidung des OLG Bamberg
Die Staatsanwaltschaft legte gegen das Urteil des Amtsgerichts Revision zum Oberlandesgericht (OLG) Bamberg ein. Das OLG hob das Urteil des Amtsgerichts am 12. Juni 2012 auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück. In der Folge wurde der Angeklagte vom Amtsgericht erneut freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft legte daraufhin eine weitere Revision ein, die wiederum beim OLG Bamberg verhandelt wurde.
Das OLG Bamberg entschied, dass das Amtsgericht zwar im Ergebnis zu Recht eine Strafbarkeit wegen vollendeter unerlaubter Einreise und unerlaubten Aufenthalts verneint habe, da der Angeklagte unmittelbar nach seiner Festnahme Asyl beantragt und dadurch eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erlangt habe. Diese Gestattung befreite ihn zugleich von der Passpflicht gemäß § 64 Abs. 1 AsylVfG. Da die Grenzbehörden dem Angeklagten die Einreise nicht gemäß § 18 Abs. 2 AsylVfG verweigert und auch kein Flughafenverfahren nach § 18a AsylVfG eingeleitet hatten, war seine Einreise und sein Aufenthalt rechtlich gedeckt.
Mögliche Strafbarkeit wegen versuchter unerlaubter Einreise
Das OLG führte jedoch weiter aus, dass das Amtsgericht die Möglichkeit einer Strafbarkeit wegen versuchter unerlaubter Einreise nicht ausreichend geprüft habe. Eine solche Strafbarkeit käme in Betracht, falls der Angeklagte ursprünglich nicht die Absicht hatte, in Deutschland Asyl zu beantragen. Wenn der Angeklagte also lediglich die illegale Einreise plante und nur aufgrund der polizeilichen Festnahme gezwungen war, Asyl zu beantragen, wäre der persönliche Strafaufhebungsgrund des Art. 31 GFK nicht anwendbar. Das OLG verwies die Sache daher zur erneuten Prüfung dieser Frage an das Amtsgericht zurück.
Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung
Das OLG entschied weiterhin, dass der Freispruch des Amtsgerichts in Bezug auf den Vorwurf der Urkundenfälschung rechtsfehlerhaft war. Der Angeklagte hatte bei der Einreisekontrolle den gefälschten pakistanischen Pass vorgelegt und sich somit gemäß § 267 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Das OLG betonte, dass Art. 31 GFK lediglich die unrechtmäßige Einreise und den Aufenthalt, nicht aber die Begehung von Delikten wie der Urkundenfälschung, abdeckt. Das Amtsgericht hätte daher eine Verurteilung wegen des Gebrauchs einer unechten Urkunde aussprechen müssen. Auch hier wurde das Urteil aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Schlussfolgerung und erneute Verhandlung
Das OLG Bamberg hob das Urteil des Amtsgerichts aufgrund der festgestellten Rechtsfehler insgesamt auf. Das Amtsgericht muss in der erneuten Verhandlung insbesondere prüfen, ob der Angeklagte bereits bei der Einreise die Absicht hatte, in Deutschland Asyl zu beantragen, und ob eine Strafbarkeit wegen versuchter unerlaubter Einreise vorliegt. Zudem muss das Amtsgericht den Angeklagten wegen des Gebrauchs der gefälschten Urkunde verurteilen. Die Sache wurde zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Richter des Amtsgerichts zurückverwiesen.
Quelle: Oberlandesgericht Bamberg
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Eine Antwort
Hallo,
vielen Dank für die Darlegung. Ist bekannt, wie der andere Richter am Amtsgericht schlussendlich urteilte?
Beste Grüße
JS