Verwaltungsgericht Lüneburg, 12.07.2016, Az. 5 A 63/16
Nach § 11 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot).
Im Weiteren regelt § 11 Abs. 7 S. 1 AufenthG, dass gegen einen Ausländer, dessen Asylantrag nach § 29a Abs. 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen kann. Demnach steht dem BAMF ein Ermessensspielraum zu. Dies bedeutet, dass die Behörde innerhalb des gesetzlichen Rahmens darüber entscheiden kann, ob sie tätig werden möchte. Diese Entscheidung kann durch Widerspruch oder Klage angegriffen werden. Im Klageweg kann das Gericht die Ermessensentscheidung der Behörde jedoch nicht auf die Zweckmäßigkeit hin überprüfen, sondern lediglich auf Ermessensfehler. Das Gericht hat kein eigenes Ermessen. Es gibt unterschiedliche Ermessensfehler, so wird zwischen Ermessensnichtgebrauch, Ermessensfehlgebrauch, Ermessensüberschreitung und Ermessensreduzierung auf null unterschieden.
In der vorliegenden Entscheidung war insofern zu prüfen, ob das BAMF sein Ermessen im Hinblick auf § 11 AufenthG richtig ausgeübt hat und inwiefern geänderte Umstände zu berücksichtigen waren.
Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens:
Klägerin aus Montenegro klagt gegen Einreise- und Aufenthaltsverbote
Die Klägerin begehrt mit der Klage die Aufhebung der mit der Ablehnung des Asylantrags verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbote, hilfsweise die Reduzierung der Frist auf null Monate.
Die Klägerin ist montenegrinische Staatsangehörige und reiste am 31.07.2015 in das Bundesgebiet ein. Am 28.08.2015 stellte sie einen Asylantrag und gab an, dass sie eine Ausbildung in Deutschland machen wolle, um anschließend ihr Studium in Montenegro fortzusetzen. Derzeit besuche sie die Berufsbildende Schule II in Uelzen mit der Fachrichtung Altenpflege.
BAMF ordnet zehnmonatiges Einreise- und Aufenthaltsverbot an
Mit Bescheid vom 09.12.2015, zugestellt am 01.02.2016, lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet sowie den Antrag auf subsidiären Schutz als unbegründet ab. Ferner stellte es fest, dass die Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht vorlägen, und forderte die Klägerin unter Androhung der Abschiebung nach Montenegro auf, innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides auszureisen. Außerdem ordnete das BAMF ein auf 10 Monate befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG ab der Ausreise bzw. eine Befristung auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung gemäß § 11 Abs. 1, 2 AufenthG an.
Klägerin beginnt Ausbildung zur Altenpflegerin und absolviert erfolgreich Praktika
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 10.02.2016 Klage beim Verwaltungsgericht Lüneburg.
Seit dem 02.11.2015 nahm die Klägerin an einem Sprach- und Integrationsprojekt für jugendliche Flüchtlinge an der Berufsbildenden Schule II in Uelzen teil und absolvierte in diesem Rahmen verschiedene Praktika. Am 23.02.2016 schloss sie einen dreijährigen Ausbildungsvertrag zur Altenpflegerin mit der C. GmbH ab, mit Ausbildungsbeginn im August 2016. Ab dem 01.03.2016 absolvierte sie ein Praktikum in einem Senioren- und Pflegeheim bei der D. GmbH.
Am 08.03.2016 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beim Landkreis Uelzen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 17 AufenthG mit der Begründung, dass die Klägerin im August eine Ausbildung beginnen könne. Den Antrag lehnte der Landkreis mit Bescheid vom 16.03.2016 ab, da die Klägerin nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist sei. Eine Ausnahme nach § 5 Abs. 2 S. 2 AufenthG sei nicht möglich, da die Klägerin keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis habe und es ihr zumutbar sei, das Visumsverfahren nachzuholen und anschließend erneut einzureisen. Auch eine Duldung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG komme nicht in Betracht, da die Klägerin aus einem sicheren Herkunftsstaat stamme. Daraufhin beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 30.03.2016 die Erteilung einer Duldung, die der Landkreis Uelzen ebenfalls ablehnte.
Mit Schreiben vom 15.06.2016 teilte der Landkreis Uelzen mit, dass die Klägerin am 10.06.2016 nach Montenegro abgeschoben worden sei.
Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg: Klage teilweise begründet
Das Verwaltungsgericht Lüneburg erkannte die Klage als zulässig und teilweise begründet an.
Die Anordnung des behördlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG und § 11 Abs. 1 AufenthG im Bescheid der Beklagten vom 09.12.2015 sei ermessensfehlerhaft, damit rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
Bei der Anordnung des behördlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots habe die Beklagte ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt und die Klägerin dadurch in ihrem Recht auf eine gesetzesgemäße Ermessensausübung verletzt. Daher sei der Bescheid insoweit aufzuheben.
Gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG kann das BAMF gegen einen Ausländer, dessen Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde und dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Dies gelte auch, wenn kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt und der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt. Im vorliegenden Fall läge die erste Alternative vor, sodass der Beklagten insoweit Ermessen eingeräumt war.
Gericht erkennt Ermessensfehler bei der Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots
Das Gericht stellte einen Ermessensfehler des BAMF fest, da die positive und erfolgreiche berufliche Entwicklung der Klägerin nicht berücksichtigt wurde.
Die Klägerin habe bereits bei der ersten Anhörung angegeben, dass sie die Fachrichtung Altenpflege besuche. Dies sei von der Beklagten als nicht schutzwürdiges Interesse eingestuft worden. Jedoch habe die Klägerin nachfolgend mehrere Praktika absolviert und einen Ausbildungsvertrag erhalten. Die konkrete Möglichkeit einer Ausbildung hätte jedoch bei der Entscheidung über das Einreise- und Aufenthaltsverbot berücksichtigt werden müssen.
Auch wenn die Beklagte diese Umstände bei Erlass des Bescheides noch nicht berücksichtigen konnte, wäre die Entscheidung nunmehr ermessensfehlerhaft und rechtswidrig. Bei der gerichtlichen Entscheidung kommt es auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an.
Die konkrete Möglichkeit einer Ausbildung und damit einer legalen Migration sei als Umstand zu berücksichtigen. Zwar solle das Einreise- und Aufenthaltsverbot generalpräventiv wirken, jedoch müssten auch schutzwürdige Belange des Ausländers in die Ermessensausübung einfließen.
Anspruch der Klägerin auf ermessensfehlerfreie Entscheidung
Die Klägerin habe einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Neubescheidung, jedoch keine Ermessensreduzierung auf null. Insbesondere, da die Ausbildungsmöglichkeit der Klägerin die generalpräventiven Zwecke des § 11 Abs. 7 AufenthG nicht unmittelbar beeinträchtige.
Auch das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1, 2 AufenthG sei zum Zeitpunkt der Entscheidung ermessensfehlerhaft gewesen, da die Beklagte die Ausbildungsmöglichkeit der Klägerin nicht berücksichtigt habe. Dies begründe einen Anspruch der Klägerin auf Neubescheidung, da die Beklagte bei der Anordnung und Festlegung der Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots die Berufsausbildung der Klägerin berücksichtigen müsse, selbst wenn diese erst nach der Ablehnung des Asylantrags möglich wurde.
Quelle: Verwaltungsgericht Lüneburg
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