Verwaltungsgericht Hannover, 13.10.2015, Az.: 13 A 12068/14
Ein Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, darf weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot). Diese Sperrfrist ist gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Im Falle der Ausweisung ist die Frist gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung festzusetzen. Ansonsten soll die Frist mit der Abschiebungsandrohung, spätestens aber bei der Ab- oder Zurückschiebung festgesetzt werden.
Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist nach Absatz 2 verkürzt werden. Dies stellt eine spezielle Rechtsgrundlage zur nachträglichen Verlängerung oder Verkürzung der Frist dar die geschaffen wurde, um einen Rückgriff auf allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Regelungen überflüssig zu machen. Dies setzt aber voraus, dass es bereits eine bestandskräftige Befristungsentscheidung gibt und die gesetzte Frist im Nachhinein verkürzt werden soll.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes führt das Fehlen einer Befristungsentscheidung nicht zur Rechtswidrigkeit einer ansonsten rechtmäßigen Ausweisung. Vielmehr kann der Betroffene mit der Anfechtung der Ausweisung auch seinen Befristungsanspruch geltend machen. Es steht der Behörde jedoch zu, eine Ausweisung nachträglich zu befristen.
Das vorliegende Urteil beschäftigt sich mit der Frage, ob diese Grundsätze auch bei erstmaliger Befristung der Wirkungen der Ausweisung gelten.
Einleitung und Hintergrund
Der Kläger ist ein libanesischer Staatsangehöriger, der 1992 illegal nach Deutschland einreiste und mehrfach erfolglos Asyl beantragte. Mangels gültiger Reisedokumente wurde er in Deutschland geduldet. Im Jahr 1999 wurde er wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt. Daraufhin erließ die zuständige Behörde 2002 eine Ausweisungsverfügung gegen ihn, die jedoch aufgrund der fehlenden Reisedokumente nicht vollzogen werden konnte. Trotz der Aufforderung, seiner Mitwirkungspflicht bei der Beschaffung von Reisedokumenten nachzukommen, zeigte der Kläger nur unzureichende Bemühungen, seiner Ausreisepflicht nachzukommen.
Weitere Delikte und Antrag auf Aufenthaltserlaubnis
Nach seiner Haftstrafe geriet der Kläger erneut in Konflikt mit dem Gesetz. Im Jahr 2003 wurde er wegen eines Verstoßes gegen das Ausländergesetz mit einem Bußgeld belegt, 2006 folgte ein Strafbefehl wegen Betrugs, und 2014 wurde er wegen gemeinschaftlicher Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe verurteilt. Im Mai 2013 beantragte der Kläger die Befristung der Ausweisung und die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gemäß § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Diesen Antrag lehnte die Ausländerbehörde im August 2014 ab, mit der Begründung, der Kläger habe seine Ausreisepflicht selbst zu verantworten und es liege kein atypischer Fall vor, der eine Ausnahme rechtfertige. Zugleich legte die Behörde eine Sperrfrist von fünf Jahren für die Wiedereinreise fest, beginnend mit der tatsächlichen Ausreise des Klägers.
Argumente des Klägers und des Beklagten
Der Kläger argumentierte, dass die unbefristete Ausweisung, die vor dem Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes im November 2006 erfolgt war, keine Sperrwirkung mehr entfalten dürfe, da der Europäische Gerichtshof (EuGH) unbefristete Ausweisungen als gemeinschaftsrechtswidrig eingestuft habe. Zudem führte der Kläger an, dass er unverschuldet an der Ausreise gehindert sei, da er trotz mehrmaliger Versuche keine Reisedokumente habe beschaffen können. Der Beklagte hingegen verwies auf die geltende Rechtslage und die Notwendigkeit, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Er betonte, dass der Kläger die fehlende Ausreise selbst zu verantworten habe und es sich nicht um einen atypischen Fall handle, der eine sofortige Befristung rechtfertigen würde.
Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover
Das Verwaltungsgericht Hannover wies die Klage des Klägers als unbegründet ab. Es stellte fest, dass weder ein Anspruch auf die begehrte sofortige Befristung der Ausweisung noch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bestehe. Das Gericht folgte der Begründung des angefochtenen Bescheides und sah gemäß § 117 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) von einer weiteren ausführlichen Begründung ab. Es führte jedoch ergänzend aus, dass die Rechtsprechung des EuGH nicht zum automatischen Erlöschen der Wirkungen der bereits erfolgten Ausweisung führe, da der Beklagte mit der angefochtenen Entscheidung das Erfordernis der Befristung berücksichtigt habe.
Verhältnismäßigkeit der Sperrfrist und Rechtstreue des Klägers
Die vom Beklagten festgelegte Sperrfrist von fünf Jahren wurde vom Gericht als verhältnismäßig und sachgerecht bewertet. Das Gericht wies darauf hin, dass die Dauer der Sperrfrist im Einzelfall unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes festzulegen sei. Dabei müsse auch die aufenthaltsrechtliche Schutzwirkung des Art. 6 des Grundgesetzes (GG) und des Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) berücksichtigt werden. Die Straftaten, die zur Ausweisung geführt hatten, lagen zwar mehrere Jahre zurück, doch das nachfolgende Verhalten des Klägers, einschließlich seiner Verstöße gegen das Ausländergesetz und seine Beteiligung an Betrug und Steuerhinterziehung, zeige, dass er weiterhin Schwierigkeiten habe, sich an die deutschen Rechtsvorschriften zu halten. Dies rechtfertige die Aufrechterhaltung der Sperrfrist.
Das Gericht hob hervor, dass der Kläger bis heute keine Passdokumente seines Heimatstaates beschafft habe und sich bewusst der Ausreisepflicht widersetzt habe. Dieses Verhalten lasse Zweifel an seiner zukünftigen Rechtstreue aufkommen. Es sei dem Kläger zuzumuten, sich ernsthaft um die Beschaffung von Reisedokumenten zu bemühen. Da er dies jedoch nicht ausreichend nachgewiesen habe, sei die Befristung der Sperrwirkung auf fünf Jahre gerechtfertigt. Eine Verkürzung der Sperrfrist, etwa aus familiären Gründen, komme nicht in Betracht, da der Kläger geschieden sei und keinen Kontakt zu seinen volljährigen Kindern habe.
Rechtliche Bewertung und Schlussfolgerung
Das Gericht führte aus, dass die Sperrwirkung gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG generell der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegenstehe. Eine Ausnahme gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG könne nur gemacht werden, wenn die Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich sei und mit dem Wegfall dieser Hindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen sei. Im Fall des Klägers sei jedoch festzustellen, dass er es selbst in der Hand habe, durch ernsthafte Bemühungen um die Beschaffung von Reisepapieren die Voraussetzungen für seine Rückkehr zu schaffen. Auch die seit dem 1. August 2015 geltende Regelung des § 11 Abs. 4 AufenthG, die eine nachträgliche Verlängerung oder Verkürzung der Sperrfrist ermöglicht, sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da es sich um eine erstmalige Befristung der Ausweisung handele.
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Ausweisung des Klägers und die festgelegte Sperrfrist rechtmäßig seien und dass der Kläger keinen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis habe. Die Klage wurde daher abgewiesen.
Fazit – Wegen Straftaten war die Sperrfrist angemessen
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover bestätigt, dass der Kläger keinen Anspruch auf eine sofortige Befristung der Ausweisung oder auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat. Das Gericht bewertet die festgelegte Sperrfrist als verhältnismäßig und angemessen, insbesondere angesichts der weiterhin bestehenden Zweifel an der Rechtstreue des Klägers. Der Kläger habe durch sein Verhalten selbst dazu beigetragen, dass die Ausweisung noch nicht vollzogen werden konnte, und trage daher die Verantwortung für die aufrechterhaltene Sperrfrist. Der Fall unterstreicht die Bedeutung der Mitwirkungspflichten von Ausländern bei der Beschaffung von Reisedokumenten und zeigt, dass Verstöße gegen die Rechtsordnung auch nach einer Verurteilung schwerwiegende aufenthaltsrechtliche Konsequenzen haben können.
Quelle: Verwaltungsgericht Hannover
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