Verwaltungsgericht Stuttgart, 14.11.2017, Az.: 11 K 7574
§ 9 Abs. 1 StAG bestimmt, dass Ehegatten oder Lebenspartner Deutscher unter den Voraussetzungen des § 8 StAG eingebürgert werden sollen, wenn sie ihre bisherige Staatsangehörigkeit verlieren oder aufgeben oder ein Grund für die Hinnahme von Mehrstaatigkeit nach Maßgabe von § 12 StAG vorliegt und gewährleistet ist, dass sie sich in die deutschen Lebensverhältnisse einordnen, es sei denn, dass sie nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und Abs. 4) und keinen Ausnahmegrund nach § 10 Abs. 6 erfüllen. Die Einbürgerung wegen einer Ehe mit einem Deutschen ist eine Ermessenseinbürgerung.
Besteht zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Einbürgerungsantrag keine eheliche Lebensgemeinschaft, so kann ein atypischer Fall vorliegen, der den Rechtsanspruch auf Einbürgerung nach § 9 Abs. 1 StAG beseitigt und der Einbürgerungsbehörde die Möglichkeit eröffnet, die Einbürgerung nach Ermessen zu verweigern. Eine eheliche Lebensgemeinschaft besteht dann nicht mehr, wenn die Ehegatten auf Dauer getrennt leben, maßgebend ist das Ende der tatsächlichen Verbundenheit der Eheleute.
Fest steht jedoch, dass eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit nur zurückgenommen werden kann, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist, vgl. 35 Abs.1 StAG.
Im nachstehenden Urteil, stellt das Verwaltungsgericht Stuttgart aber klar, dass Art und Weise des Zusammenlebens durch die Eheleute eigenverantwortlich selbstbestimmt werden. Die nähere Ausgestaltung der ehelichen Gemeinschaft gehört zu ihrer geschützten Privatsphäre und unterliegt daher nur eingeschränkter Kontrolle. Eine Täuschung liege daher nicht schon deshalb vor, weil die Ausgestaltung der Ehe nicht dem typischen Idealbild entspreche. Vielmehr sei durch Art 6 GG eine Vielzahl von Ausgestaltungsmöglichkeiten einer Ehe geschützt.
Einleitung: Klage gegen die Rücknahme der Einbürgerung
Der Kläger, ein 1977 geborener marokkanischer Staatsangehöriger, erhob Klage gegen die Rücknahme seiner Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. Der Kläger war im Jahr 2012 mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet und reiste 2013 mit einem Visum zum Familiennachzug nach Deutschland ein. Er erhielt eine Aufenthaltserlaubnis und beantragte im Juni 2015 die Einbürgerung, die am 18. März 2016 durch die Aushändigung der Einbürgerungsurkunde vollzogen wurde. Kurze Zeit nach der Einbürgerung trennte sich das Ehepaar, was den Verdacht erweckte, dass der Kläger seine Einbürgerung durch unrichtige Angaben erschlichen haben könnte. Dies führte zur Rücknahme der Einbürgerung durch das Landratsamt Main-Tauber-Kreis, gegen die der Kläger nun gerichtlich vorgeht.
Hintergrund: Beziehung, Einbürgerung und plötzliche Trennung
Im Vorfeld der Einbürgerung erklärten der Kläger und seine Ehefrau am 10. Februar 2016 gegenüber der Behörde, dass sie eine gemeinsame Lebensgemeinschaft ohne Trennungsabsichten führten. Kurz nach der Einbürgerung, am 25. April 2016, informierte die Ehefrau jedoch das Landratsamt darüber, dass der Kläger zu ihrer Mutter gezogen sei und die Scheidung einreichen wolle. In einem Schreiben vom 26. April 2016 bestätigte der Kläger die Trennung. Die Ehefrau behauptete, sie habe erst kurz vor der Heirat erfahren, dass der Kläger noch mit einer norwegischen Staatsangehörigen verheiratet gewesen sei. Darüber hinaus äußerte sie, dass der Kläger sie finanziell ausgenutzt habe und sich regelmäßig abweisend verhalten habe. Sie warf ihm vor, die Ehe lediglich aus strategischen Gründen eingegangen zu sein, um die deutsche Staatsangehörigkeit zu erlangen.
Ermittlungen und Rücknahme der Einbürgerung
Nach den Vorwürfen der Ehefrau leitete das Landratsamt Main-Tauber-Kreis ein Ermittlungsverfahren ein und kam zu dem Schluss, dass der Kläger seine Einbürgerung durch vorsätzlich unrichtige Angaben erlangt hatte. Das Landratsamt argumentierte, dass die Ehe bereits zum Zeitpunkt der Einbürgerung nicht mehr als tatsächliche Lebensgemeinschaft bestand und der Kläger die Behörde darüber täuschte. Daher nahm das Landratsamt mit Bescheid vom 21. November 2016 die Einbürgerung rückwirkend zum 18. März 2016 zurück. Dem Kläger wurde aufgegeben, die Einbürgerungsurkunde zurückzugeben, andernfalls würde ein Zwangsgeld verhängt. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 8. Dezember 2016 Widerspruch ein und bestritt, unrichtige Angaben gemacht zu haben. Er führte aus, dass die Ehe bis zur Trennung harmonisch verlaufen sei und er die eheliche Lebensgemeinschaft aufrechterhalten wollte. Der Widerspruch wurde jedoch am 3. Mai 2017 mit der Begründung abgelehnt, dass die Ehe bereits zum Zeitpunkt der Einbürgerung faktisch gescheitert gewesen sei und nur noch formal bestand.
Gerichtsverfahren: Klage und Verteidigung des Klägers
Am 18. Mai 2017 erhob der Kläger Klage gegen die Rücknahme der Einbürgerung. Er bestritt, dass seine Ehefrau ihn finanziell unterstützt habe oder dass er unvollständige Angaben über seine frühere Ehe gemacht habe. Er schilderte, dass die Ehe intakt gewesen sei und sie bis zum Zeitpunkt der Trennung ein normales Ehe- und Familienleben geführt hätten. Der Kläger legte dar, dass die Trennung nicht auf seine Initiative, sondern auf den Wunsch seiner Ehefrau zurückzuführen sei, die sich einem anderen Mann zugewandt habe. Der Beklagte, das Landratsamt, hielt an seiner Auffassung fest, dass die Ehe bereits vor der Einbürgerung zerbrochen war und nur noch formal fortbestand, um dem Kläger die Einbürgerung zu ermöglichen.
Beweisaufnahme und gerichtliches Urteil
Das Verwaltungsgericht Stuttgart führte eine Beweisaufnahme durch und vernahm die frühere Ehefrau des Klägers als Zeugin. Beide, der Kläger und seine frühere Ehefrau, bestätigten, dass die Ehe bis etwa einen Monat nach der Einbürgerung als intakt betrachtet werden konnte. Die frühere Ehefrau gab an, dass sie erst nach der Einbürgerung von der Trennung ausging. Das Gericht stellte fest, dass zum Zeitpunkt der Einbürgerung keine dauerhafte Trennung vorlag. Die Ehe bestand aus Sicht des Gerichts im Zeitpunkt der Einbürgerung noch als Lebensgemeinschaft. Damit lag keine arglistige Täuschung vor, und die Einbürgerung des Klägers war nicht rechtswidrig. Die vom Beklagten vorgebrachten Gründe, insbesondere die fehlende finanzielle Beteiligung des Klägers an den Haushaltskosten, wurden vom Gericht nicht als ausreichender Beweis für eine gescheiterte Ehe zum Einbürgerungszeitpunkt anerkannt. Das Gericht verwies auf Art. 6 Abs. 1 GG, der die Ehe und Familie schützt, und stellte fest, dass die Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft den Eheleuten obliegt.
Schlussfolgerung und Rechtsfolgen: Stattgabe der Klage
Das Gericht gab der Klage statt und hob die Rücknahmebescheide des Landratsamts Main-Tauber-Kreis sowie den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart auf. Das Gericht entschied, dass die Einbürgerung des Klägers rechtmäßig war und die Rücknahme nicht gerechtfertigt war, da die Ehe zum Zeitpunkt der Einbürgerung noch bestand. Die Argumentation des Beklagten, die Einbürgerung sei durch unrichtige Angaben erschlichen worden, war nicht haltbar, da die Ehe als persönliche Beziehung noch intakt war. Das Gericht betonte, dass das Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft nicht nach idealtypischen Maßstäben beurteilt werden dürfe. Das Urteil stellte klar, dass für die Einbürgerung keine perfekte Ehe erforderlich ist, sondern lediglich, dass eine solche Ehe im Zeitpunkt der Einbürgerung besteht. Da diese Voraussetzung erfüllt war, entschied das Gericht, dass die Rücknahme der Einbürgerung rechtswidrig war.
Quelle: Verwaltungsgericht Stuttgart
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