Oberverwaltungsgericht Lüneburg, 08.11.2017, Az.: 8 LB 59/17
Laut Absatz 3 des § 4 StAG erwirbt ein Kind ausländischer Eltern durch die Geburt im Inland die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit (BGBl. 2001 II S. 810) besitzt.
Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit wird in dem Geburtenregister, in dem die Geburt des Kindes beurkundet ist, eingetragen.
Ein schutzwürdiges ideeles Interesse an der rückwirkenden Erteilung einer Niederlassungserlaubnis kann daher auch schon darin liegen, dem Kind den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit zu ermöglichen. Denn die Erteilung der Niederlassungserlaubnis ist notwendige Erwerbsvoraussetzung.
Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg stellt im nachstehenden Urteil klar, dass durch die rückwirkende Erteilung der Niederlassungserlaubnis, die Erfüllung der Voraussetzung des § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAG in den Fällen erreicht werde, in denen kein Elternteil im Zeitpunkt der Geburt ein unbefristetes Aufenthaltsrecht innehatte. Zudem stellt es fest, dass der Regelungsgehalt der Bescheide durch Auslegung zu ermitteln sei, und generelle Aussagen darüber, was mit der Erteilung eines Aufenthaltstitels in Bezug auf den Geltungszeitraum und eine etwaige Antragsablehnung für andere Zeiträume, nicht möglich sind.
Einleitung und Sachverhalt
Der Kläger, ein syrischer Staatsangehöriger, begehrt die rückwirkende Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Er reiste 1996 nach Deutschland ein und beantragte Asyl. 1999 stellte das Verwaltungsgericht Hannover die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG fest, und ab diesem Zeitpunkt war der Kläger fortlaufend im Besitz von Aufenthaltsbefugnissen und später von Aufenthaltserlaubnissen gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG. Am 7. Oktober 2009 wurde ihm schließlich eine Niederlassungserlaubnis erteilt. Der Kläger beantragte 2011 die Einbürgerung für sich und seinen Sohn, zog den Antrag jedoch zurück, nachdem die Einbürgerungsbehörde eine Miteinbürgerung des Sohnes ablehnte. Die Behörde argumentierte, dass ein langjähriger rechtmäßiger Inlandsaufenthalt erst nach acht Jahren, also ab Juli 2017, vorläge. Der Kläger beantragte am 26. April 2013 die rückwirkende Erteilung der Niederlassungserlaubnis ab dem Zeitpunkt der Antragstellung, was die Beklagte mit Bescheid vom 16. Dezember 2013 ablehnte.
Ablehnung durch die Beklagte und erstinstanzliches Urteil
Die Beklagte argumentierte, dass kein aufenthaltsrechtlicher Nachteil für den Kläger durch das Versäumnis entstanden sei, ihn rechtzeitig auf die Möglichkeit einer Niederlassungserlaubnis hinzuweisen. Es bestünde kein schutzwürdiges Interesse an einer rückwirkenden Erteilung, da der Kläger bereits im Besitz der Niederlassungserlaubnis sei und seine familiäre Lebensgemeinschaft durch Aufenthaltstitel seiner Ehefrau und Kinder ausreichend geschützt sei. Ein Wiederaufgreifen des Verfahrens sei mangels schutzwürdigem Interesse und Wiederaufgreifensgrund ausgeschlossen.
Das Verwaltungsgericht Hannover wies die Klage am 3. Februar 2016 ab. Es fehle dem Kläger an einem Rechtsschutzbedürfnis. Ein schutzwürdiges Interesse sei nicht erkennbar, weder in Bezug auf seine aufenthaltsrechtliche Situation noch auf eine Erwerbstätigkeit oder Inanspruchnahme öffentlicher Mittel. Das Gericht folgte der Argumentation der Beklagten, dass der Kläger durch die unterlassene Beratung keinen Rechtsverlust erlitten habe. Ein Herstellungsanspruch sei im Verwaltungsrecht nicht anerkannt, und dem Kläger sei durch die Bearbeitungszeit kein Nachteil entstanden.
Berufungsverfahren und Argumentation des Klägers
Der Kläger legte Berufung gegen das Urteil ein und argumentierte, dass die rückwirkende Erteilung der Niederlassungserlaubnis seine Rechtsposition verbessern würde, insbesondere in Bezug auf eine mögliche Einbürgerung, wenn sein Sohn deutscher Staatsangehöriger würde. Die Verknüpfung seiner Rechtsposition mit der seines Sohnes ergebe sich aus Art. 6 GG. Er führte aus, dass die Beklagte ihn im Mai 2008 darauf hätte hinweisen müssen, dass er Anspruch auf eine Niederlassungserlaubnis habe. Diese Pflicht sei von Amts wegen zu erfüllen.
Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg
Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg entschied zugunsten des Klägers und hob das erstinstanzliche Urteil auf. Die Berufung sei zulässig und begründet, da der Kläger ein schutzwürdiges Interesse an der rückwirkenden Erteilung der Niederlassungserlaubnis habe. Dieses Interesse resultiere nicht aus einer Verbesserung seiner eigenen Rechtsposition, sondern aus der seines Sohnes. Eine rückwirkende Erteilung hätte dazu geführt, dass der Sohn gemäß § 4 Abs. 3 StAG die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt erworben hätte. Das Gericht betonte, dass das schutzwürdige Interesse des Klägers nicht durch die rechtmäßige Aufenthaltserlaubnis des Sohnes ab 2017 entfallen sei, da der Erwerb der Staatsangehörigkeit durch Geburt und eine spätere Einbürgerung nicht gleichwertig seien.
Rechtliche Begründung und Auslegung
Das Oberverwaltungsgericht stellte fest, dass die Erteilung der Niederlassungserlaubnis vom 7. Oktober 2009 keine Ablehnung für den vorausliegenden Zeitraum impliziere. Der Antrag des Klägers auf die frühestmögliche Erteilung sei so auszulegen, dass er eine rückwirkende Geltung beanspruche. Die Beklagte habe keine Notwendigkeit gesehen, eine rückwirkende Erteilung zu prüfen, da sie nicht auf die Bedeutung der Niederlassungserlaubnis für die Staatsangehörigkeit des Sohnes hingewiesen wurde. Daher sei anzunehmen, dass die Beklagte eine rückwirkende Erteilung nicht abgelehnt habe.
Anspruch auf rückwirkende Erteilung
Der Kläger erfüllte die Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 AufenthG, da er seit über drei Jahren eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG besaß und die Negativbescheinigung des Bundesamtes vorlag. Die Beklagte habe von der Anwendung allgemeiner Erteilungshindernisse abzusehen, und es lagen keine Anhaltspunkte für Erteilungshindernisse im Zeitraum vom 5. Juni bis 6. Oktober 2009 vor.
Schlussfolgerung und Urteil
Das Oberverwaltungsgericht hob das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover auf und verpflichtete die Beklagte, dem Kläger für den Zeitraum vom 5. Juni 2009 bis zum 6. Oktober 2009 eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen. Der Kläger habe ein schutzwürdiges Interesse an der rückwirkenden Erteilung, das insbesondere durch die Staatsangehörigkeitsfrage seines Sohnes begründet sei. Damit sei die Berufung des Klägers erfolgreich.
Quelle: Oberverwaltungsgericht Lüneburg
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