Ausländerrecht: Nachträglicher Prozesskostenhilfeantrag bei Klage auf Niederlassungserlaubnis

Verwaltungsgerichtshof München, Beschluss v. 09.03.2020, Az.: 10 C 19.121

Die Durchführung von Gerichtsverfahren kann oft kostspielig sein. Wer jedoch aufgrund eines niedrigen Einkommens diese Kosten nicht tragen kann, ist nicht auf sich allein gestellt, sondern kann einen Antrag auf Prozesskostenhilfe stellen. Durch diesen Antrag können die entstehenden Prozesskosten, falls notwendig, ganz oder teilweise vom Staat übernommen werden.

Das Verwaltungsrecht regelt einen solchen Antrag. Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Das bedeutet, es muss sich um ein Verfahren handeln, das eine nicht bedürftige, verständige Partei in gleicher Weise führen würde.

Prozesskostenhilfe setzt Bedürftigkeit und Erfolgsaussichten voraus.

Die Anforderungen an die hinreichende Aussicht auf Erfolg der Rechtsverfolgung dürfen jedoch nicht überspannt werden. Es ist keine überwiegende Wahrscheinlichkeit erforderlich, dass der Prozesserfolg bereits sicher sein muss. Es genügt, wenn bei summarischer Überprüfung eine gewisse Offenheit des Erfolgs besteht. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll nicht dazu führen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren soll den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. z.B. Beschlüsse vom 4.8.2016 – 1 BvR 380/16 – juris Rn. 12; vom 28.7.2016 – 1 BvR 1695/15 – juris Rn. 16 f.; vom 13.7.2016 – 1 BvR 826/13 – juris Rn. 11 f.; vom 20.6.2016 – 2 BvR 748/13 – juris Rn. 12).

Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags, also dann, wenn dieser vollständig vorliegt und der Prozessgegner Gelegenheit zur Äußerung hatte. Ändert sich im Laufe des Verfahrens die Sach- und Rechtslage zugunsten des Antragstellers, ist ausnahmsweise jedoch der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts maßgeblich, wenn nach dem materiellen Recht bei einer Entscheidung in der Hauptsache im Laufe des Verfahrens eingetretene Entwicklungen zu berücksichtigen sind (BayVGH, Beschluss vom 5.10.2018 – 10 C 17.322 – juris Rn. 6 m.w.N.).

Im vorliegenden Fall stellte der Kläger einen erfolglosen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein beim Bayerischen Verwaltungsgericht München ehemals anhängiges, mittlerweile aber nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen eingestelltes Klageverfahren. Daraufhin legte der Kläger eine Beschwerde ein, mit der er seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiterverfolgte und die Verpflichtung des Beklagten erreichen wollte, ihm unter Aufhebung des Bescheids des Landratsamts Erding vom 18. Januar 2018 eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen. Die Beschwerde wurde vom VGH München als zulässig, aber unbegründet abgewiesen, da die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht vorlagen.

Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens

Das Klageverfahren wurde nach den übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Parteien bereits vor der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag unter dem (wohl unrichtigen) Datum des 19. Juli 2019 durch Beschluss des Verwaltungsgerichts eingestellt. Ab diesem Zeitpunkt war somit eine weitere Rechtsverfolgung im Sinne des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht mehr „beabsichtigt“. Dieses Einstellen des Klageverfahrens stand jedoch nicht im Wege der Gewährung von Prozesskostenhilfe, da ein Rechtsschutzsuchender seinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe in einem derartigen Fall ausnahmsweise weiterverfolgen und rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung Prozesskostenhilfe erhalten darf, wenn sein entsprechender Antrag rechtzeitig und vollständig vor dem Abschluss des Verfahrens gestellt worden ist (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. BayVGH, Beschluss vom 10.2.2016 – 10 C 15.849 – juris).

Kläger klagte gegen ablehnenden Bescheid auf Niederlassungserlaubnis

Am 17. Mai 2019 hatte der Kläger dem Verwaltungsgericht einen Nachweis eines unbefristeten Arbeitsvertrages vorgelegt. Daraufhin erteilte der Beklagte dem Kläger eine Niederlassungserlaubnis.

Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass die Klage zum maßgeblichen Zeitpunkt keine hinreichenden Erfolgsaussichten hatte, unabhängig davon, ob insoweit auf den Zeitpunkt des Eingangs der Klageerwiderung beim Verwaltungsgericht am 19. April 2019 oder auf den Zeitpunkt des Nachweises eines unbefristeten Arbeitsvertrages gegenüber dem Verwaltungsgericht am 17. Mai 2019 abzustellen war.

Für die Klage hatte der Kläger Prozesskostenhilfe beantragt und gegen die Ablehnung Beschwerde eingereicht.

Der Kläger beharrte darauf, dass die Klage von Anfang an hinreichende Erfolgsaussichten gehabt habe, weil sein Lebensunterhalt auch schon vor dem Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrages im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG gesichert gewesen sei. Nach eigenen Angaben stand der Kläger seit Anfang 2014 durchgehend in Beschäftigungsverhältnissen.

Prozesskostenhilfebeschluss des Verwaltungsgerichtshofs München:

Gericht sah keine hinreichenden Erfolgsaussichten der Klage

Das VGH urteilte, dass die zulässige Beschwerde (§ 146 Abs. 1 VwGO) unbegründet gewesen sei. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO, insbesondere die hinreichende Aussicht auf Erfolg bei der beabsichtigten Rechtsverfolgung, lagen nicht vor.

Die Rüge des Klägers, hinreichende Erfolgsaussichten der Klage zu haben, da sein Lebensunterhalt aufgrund eines unbefristeten Arbeitsvertrages gesichert gewesen sei, verhalf seiner Beschwerde nicht zum Erfolg. Selbst wenn man die Befristung des Arbeitsvertrages des Klägers bis zum 30. April 2018 bei der erforderlichen Prognose für unschädlich hielte (in diesem Sinne Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 2 AufenthG Rn. 52), so das VGH München, wäre im Falle des Klägers vor Abschluss eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses noch nicht die Prognose gerechtfertigt gewesen, dass er dauerhaft in der Lage sein würde, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu bestreiten.

Das Arbeitseinkommen des Klägers war zu niedrig für die Niederlassungserlaubnis.

Obwohl der Kläger seit Anfang 2014 durchgehend in Beschäftigungsverhältnissen gewesen sei, waren die dabei erzielten Erwerbseinkünfte zunächst so niedrig, dass er für einen fast eineinhalbjährigen Zeitraum von Juni 2015 bis Ende November 2016 aufstockende Leistungen nach dem SGB II bezog. Damit war der Lebensunterhalt des Klägers auch während des vom 1. Mai 2016 bis 30. April 2018 befristeten Beschäftigungsverhältnisses für einen längeren Zeitraum nicht gesichert. Angesichts dessen war vor Vorlage eines unbefristeten Arbeitsvertrages eine positive Prognose nicht möglich. Von der Erteilungsvoraussetzung der Unterhaltssicherung konnte im Falle des Antrags auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis auch nicht durch Rückgriff auf die Regelung des § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG abgesehen werden (BVerwG, Urteil vom 16.11.2010 − 1 C 21/09 – NVwZ 2011, 829 Rn. 23).

Weiter begründete das VGH München, dass hinreichende Erfolgsaussichten für die Klage auch nicht durch den Nachweis eines unbefristeten Arbeitsvertrages gegenüber dem Verwaltungsgericht am 17. Mai 2019 entstanden. Das Verwaltungsgericht hatte im Nichtabhilfebeschluss vom 20. Dezember 2019 zu Recht ausgeführt, dass mit Abschluss des unbefristeten Arbeitsvertrages das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage entfallen war.

Das Rechtsschutzbedürfnis ist eine Zulässigkeitsvoraussetzung, die zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegen muss (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 17.7.2019 – 7 B 27/18 – juris Rn. 19). Es setzt voraus, dass der Rechtsschutzsuchende vor der Anrufung des Gerichts einfachere Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung ergriffen hat (vgl. etwa BayVGH, Beschluss vom 29.5.2018 – 1 ZB 16.532 – juris Rn. 10 zur Notwendigkeit eines Antrags bei der Behörde vor der Erhebung einer Verpflichtungsklage).

Nach Abschluss des unbefristeten Arbeitsvertrages jedoch war abzusehen, dass der Beklagte – wie dann auch tatsächlich geschehen – eine Niederlassungserlaubnis erteilen würde. Dass der Beklagte zuvor keine Zusicherung nach Art. 38 Abs. 1 BayVwVfG abgegeben hatte, war entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten nicht entscheidend, denn aus dem bisherigen Streitstoff des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens war ersichtlich, dass die Ausländerbehörde die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis lediglich noch vom Nachweis eines unbefristeten Arbeitsvertrages abhängig gemacht hatte. Der entsprechende Nachweis durch den Kläger war daher ein erledigendes Ereignis, das die Notwendigkeit gerichtlichen Rechtsschutzes entfallen ließ.

Der VGH München urteilte somit, dass aufgrund dieser zeitlichen Abfolge – Setzung des erledigenden Ereignisses durch den Kläger und unverzügliche Abhilfe durch den Beklagten – die das Verwaltungsgericht bei seiner Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu Recht zu Lasten des Klägers berücksichtigt hatte, nicht zur Annahme führten, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe zu irgendeinem Zeitpunkt vorgelegen hätten. Bei einer (erstmals) nach Abschluss des unbefristeten Arbeitsvertrages und ohne Abwarten der bereits absehbaren positiven Entscheidung der Ausländerbehörde erhobenen Klage wäre ein entsprechender Prozesskostenhilfeantrag mangels Zulässigkeit der Klage (gegebenenfalls auch wegen Mutwilligkeit der Klageerhebung, vgl. dazu BayVGH, Beschluss vom 22.10.2019 – 10 C 18.2325 – juris Rn. 5) abgelehnt worden. Dass der Kläger zuvor bereits eine unbegründete Klage erhoben hatte, rechtfertigt keine andere Beurteilung.

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