Verwaltungsgericht München, 07.05.2020, Az.: M 10 K 18.4623
Wird ein Asylantrag oder ein Antrag auf Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt, so folgt häufig eine Abschiebungsandrohung. Hierbei wird der Ausländer aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu verlassen. Kommt er dieser Aufforderung nicht nach, erfolgt die zwangsweise Abschiebung.
Im vorliegenden Fall wandte sich der Kläger sowohl gegen seine Ausweisung als auch gegen seine bereits erfolgte Abschiebung nach Nordmazedonien. Da der Kläger jedoch bereits abgeschoben wurde, woraufhin die Abschiebungsandrohung keine Wirkung mehr hatte, und sowohl die Abschiebungsandrohung als auch die Abschiebung selbst rechtmäßig waren, wies das Verwaltungsgericht München die Klage ab.
Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens:
Der Kläger klagte gegen die Ablehnung der Verlängerung seines Aufenthaltstitels.
Der Kläger war im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, die zuletzt bis zum 19. März 2015 befristet war. Er beantragte deren Verlängerung.
Am 14. August 2018 erhielt der Kläger den Bescheid, dass seine Anträge auf Verlängerung abgelehnt wurden und ihm die Abschiebung nach Nordmazedonien drohte.
Am 17. September 2018 erhob der Kläger Klage gegen den Bescheid.
Wegen Drogenkonsum und Gewalt wird die Unterbringung des Klägers angeordnet:
Am 22. Januar 2019 beantragte das Bezirkskrankenhaus, die angeordnete Unterbringung des Klägers zu beenden und damit auch die Maßregel zu erledigen. Der Kläger wurde mit einem Abhängigkeitssyndrom durch Cannabinoide, Missbrauch von Stimulanzien mit Präferenz für MDMA sowie einem schädlichen Gebrauch von Kokain diagnostiziert. Während der Unterbringung im Bezirkskrankenhaus geriet der Kläger mehrmals in körperliche Auseinandersetzungen mit Mitpatienten und es kam zu mehreren Regelverstößen. Aufgrund seines Verhaltens schien eine Fortführung der Therapie nicht mehr erfolgversprechend. Der Therapieprozess zielte auf die Kontrolle überschießender Emotionen ab, jedoch zeigten die wiederholten Übergriffe des Klägers, dass dieser Prozess nicht mehr wirksam war. Es war davon auszugehen, dass der Kläger ähnliche Straftaten wie die, die zur Unterbringung geführt hatten, sowie auch Körperverletzungen weiterhin mit hoher Wahrscheinlichkeit begehen würde. Daher wurde ein Abbruch der Therapie im Maßregelvollzug beantragt.
Der Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt vom 19. Februar 2020 schilderte, dass der Kläger zweimal disziplinarisch auffällig geworden war. Er erhielt regelmäßig Besuch von seinen Eltern und Geschwistern, und die Angehörigen schöpften die Besuchsmöglichkeiten voll aus. Bei zwei routinemäßigen Drogenscreenings war der Kläger unauffällig geblieben. Der Kläger suchte den Kontakt zu einer externen Suchtberatung und nahm an mehreren ausführlichen Einzelgesprächen sowie einem zwölf Gruppenveranstaltungen umfassenden Rückfallprophylaxetraining teil.
Schließlich wird der Kläger doch nach Nordmazedonien abgeschoben:
Am 24. Februar 2020 wurde der Kläger nach Nordmazedonien abgeschoben.
Mit Bescheid vom 26. Februar 2020 verpflichtete die Beklagte den Kläger zur Zahlung von Abschiebungskosten in Höhe von 1.281,00 EUR und setzte eine Zahlungsfrist von vier Wochen ab Bekanntgabe des Bescheids fest.
Am 26. März 2020 ergänzte der Klägerbevollmächtigte die Klage vom 17. September 2018 und beantragte, die Bescheide der Beklagten vom 14. August 2018 und vom 26. Februar 2020 aufzuheben. Zudem sollte die Beklagte verpflichtet werden, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Hilfsweise wurde beantragt, den Antrag des Klägers auf Erteilung/Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. In der Klage wurde zudem festgestellt, dass die Abschiebung des Klägers am 24. Februar 2020 rechtswidrig gewesen sei.
In der mündlichen Verhandlung am 7. Mai 2020 äußerte der Vater des Klägers, dass der Kläger nach einer Rückkehr nach Deutschland in seinem Betrieb arbeiten könne, den er zusammen mit dem Bruder des Klägers führte.
Urteil des Verwaltungsgerichts München:
Das Verwaltungsgericht München entschied, dass die Klage keinen Erfolg hatte. Sie war teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.
Rechtsanwalt hatte laut Gericht genügend Zeit, Stellung zu nehmen:
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragte in der mündlichen Verhandlung eine Schriftsatzfrist, um sich zur Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses vom 22. Januar 2019 sowie zum Führungsbericht der JVA vom 19. Februar 2020 äußern zu können.
Jedoch hatte der Klägerbevollmächtigte keinen Anspruch auf eine Schriftsatzfrist. Gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 283 Satz 1 ZPO kann das Gericht, wenn sich ein Beteiligter in der mündlichen Verhandlung auf ein Vorbringen des Gegners nicht erklären kann, weil es ihm nicht rechtzeitig vor dem Termin mitgeteilt wurde, auf Antrag eine Frist bestimmen, in der die Erklärung nachgereicht werden kann.
Der Klägerbevollmächtigte wurde sowohl über die Übermittlung des Führungsberichts der JVA an das Gericht am 12. März 2020 als auch über den Bericht des Bezirkskrankenhauses an das Gericht am 24. März 2020 jeweils noch am selben Tag benachrichtigt. Er hatte somit ausreichend Gelegenheit, sich zu den Berichten zu äußern.
Zudem stand er bereits seit dem 4. März 2020 mit dem Gericht und dessen Geschäftsstelle zum Zwecke der Akteneinsicht in Kontakt. Hierbei wurde ihm mehrmals die Akteneinsicht angeboten. Da erwartet wurde, dass der Bevollmächtigte von der Akteneinsicht Gebrauch machte, war eine separate Übermittlung der Berichte aus Sicht des Gerichts nicht notwendig. Dass der Klägerbevollmächtigte die angebotenen Möglichkeiten nicht nutzte, war ihm selbst zuzuschreiben.
Darüber hinaus wurden ihm die Berichte im Vorfeld der mündlichen Verhandlung am 5. Mai 2020 per Fax übermittelt, sodass ihm nochmals die Gelegenheit geboten wurde, sich zu diesen zu äußern. Da in den Berichten keine neuen Umstände angesprochen wurden, die eine umfangreiche Stellungnahme erfordert hätten, hatte der Bevollmächtigte auch nach der Übermittlung per Fax noch ausreichend Zeit, Stellung zu nehmen. Da dem Klägerbevollmächtigten die in den Berichten angesprochenen Umstände bereits bekannt waren, war ihm eine Äußerung bereits lange vor der mündlichen Verhandlung möglich. Aufgrund der Kenntnis dieser Umstände hätte er sich auch kurzfristig vor oder noch während der mündlichen Verhandlung äußern können. Insofern legte das Gericht seiner Entscheidung bereits kein neues Vorbringen i.S.v. § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 283 Satz 1 ZPO zugrunde.
Kläger fehlte das Rechtsschutzbedürfnis bei der Klage gegen die Abschiebungsandrohung:
Die Klage war ferner unzulässig, da sie sich gegen die Abschiebungsandrohung des Bescheids der Beklagten vom 14. August 2018 richtete. Hierfür fehlte dem Kläger das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.
Nach ständiger Rechtsprechung hat nur derjenige, der ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt, Anspruch auf eine gerichtliche Entscheidung. Diese Voraussetzung ist Ausfluss des allgemeinen Verbots von Rechtsmissbrauch und vom Gericht von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen. Fehlt es daran, so ist das Begehren als unzulässig abzuweisen (Sodan in ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 42 Rn. 33; BVerfG, B.v. 27.10.1998 – 2 BvR 2662/95 – juris Rn. 16 m.w.N.; BayVGH, B.v. 10.12.2001 – 21 B 00.31685 – juris Rn. 20).
Der Kläger konnte seine Rechtsstellung durch die Aufhebung der Androhung nicht verbessern, weshalb das erforderliche Interesse an der begehrten Aufhebung abzulehnen war (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 42 Rn. 14).
Durch die Abschiebung hatte sich die Abschiebungsandrohung erledigt:
Am 24. Februar 2020 wurde der Kläger nach Nordmazedonien abgeschoben. Damit hatte sich die Abschiebungsandrohung nach Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG erledigt. Ein Verwaltungsakt erledigt sich, wenn er „gegenstandslos“ wird, von ihm also keine weiteren formellen oder materiellen Wirkungen ausgehen können (Leisner-Egensperger in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 43 Rn. 65). Gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG („Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen“) schließen sich die Rechtsfolgen (hier das Erlassen eines Einreise- und Aufenthaltsverbots) an die Abschiebung oder die Ausweisung selbst an und nicht an die Abschiebungsandrohung. Auch für die Frage der Rechtmäßigkeit eines Leistungsbescheids nach §§ 66 f. AufenthG ist die Rechtmäßigkeit der erfolgten Abschiebung entscheidend. Dementsprechend schließt sich die Rechtsfolge der Kostentragungspflicht des Abgeschobenen an die Abschiebung selbst an und nicht an die Abschiebungsandrohung. Da der Kläger durch die Aufhebung einer Regelung, die ihm gegenüber keine Wirkung mehr entfaltet, seine Rechtsstellung nicht verbessern konnte, war ein schutzwürdiges Interesse an der begehrten Entscheidung abzulehnen.
Wiedereinreise nach Deutschland könnte durch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes erreicht werden:
Der Kläger verfolgte mit seiner Klage das Ziel, weiterhin in Deutschland bleiben zu können und die erfolgte Abschiebung zu verhindern. Da er jedoch bereits nach Nordmazedonien abgeschoben wurde, konnte er sein Ziel nicht mehr erreichen. Eine Rückkehr nach Deutschland, um die es ihm nach der Abschiebung nun ging, konnte er auf anderem Wege erreichen, etwa durch einen Antrag auf Verkürzung der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG. Auch deshalb war kein schützenswertes Interesse an der begehrten Aufhebung gegeben.
Die Klage war darüber hinaus unbegründet:
Das Verwaltungsgericht befand, dass der Bescheid der Beklagten vom 14. August 2018 rechtmäßig war und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzte (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zudem hatte der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der Kläger stellte eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland i.S.v. § 53 Abs. 1 AufenthG dar. Vor allem aufgrund seiner Drogenabhängigkeit, die durch den Abbruch der Unterbringung in der Entziehungsanstalt nicht vollständig therapiert wurde, und der Tatsache, dass er sich noch nicht außerhalb der Haft bzw. Unterbringung bewährt hatte (vgl. zur obergerichtlichen Rechtsprechung den Beschluss vom 11. März 2020, Rn. 51 m.w.N.), war von einer Wiederholungsgefahr auszugehen.
Ausweisungsinteressen überwogen die Bleibeinteressen des Klägers:
Nach § 53 Abs. 1, 2 AufenthG ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, die jedoch zu Lasten des Klägers ausfiel. Es wurden keine Umstände vorgetragen, die zu einem Überwiegen der Bleibeinteressen des Klägers führen würden. Beim Kläger lagen nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1a AufenthG besonders schwerwiegende Ausweisungsinteressen vor. Die Möglichkeit, dass der Kläger nach seiner Rückkehr bei seinem Vater und Bruder in deren Betrieb arbeiten könnte, überwog als Bleibeinteresse die vorliegenden Ausweisungsinteressen nicht.
Auch die Abschiebung nach Nordmazedonien am 24. Februar 2020 war rechtmäßig erfolgt (§ 43 Abs. 1 VwGO):
Rechtsgrundlage für die Abschiebung war § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.
Demnach ist ein Ausländer abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. All diese Voraussetzungen waren gegeben.
Der Kläger war am 24. Februar 2020 vollziehbar ausreisepflichtig. Nach § 50 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt.
Die Aufenthaltserlaubnis des Klägers nach § 32 Abs. 3 AufenthG war zuletzt bis zum 19. März 2015 befristet. Die Anträge des Klägers auf Verlängerung wurden mit dem ebenfalls streitgegenständlichen Bescheid vom 14. August 2018 abgelehnt. Da mit der Ablehnung des Antrags die Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG endete, war der Kläger seitdem nicht mehr im Besitz des erforderlichen Aufenthaltstitels und nach § 51 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig.
Diese Ausreisepflicht war trotz der erhobenen Klage vollziehbar. Nach § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist die Ausreisepflicht, außer in den Fällen des § 58 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, erst vollziehbar, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels oder der sonstige Verwaltungsakt, durch den der Ausländer nach § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig wird, vollziehbar ist. Die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, aus der sich die Ausreisepflicht des Klägers ergab, war sofort vollziehbar. Die vorliegende Klage auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis, in der als Versagungsgegenklage ebenfalls die Anfechtung der Ablehnungsentscheidung enthalten war (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), hatte gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG keine aufschiebende Wirkung.
Aufgrund seiner Haft wurde dem Kläger eine Ausreisefrist nach §§ 59 Abs. 5 Satz 1, 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG nicht gewährt und die Überwachung seiner Ausreise war gemäß § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG erforderlich.
Damit lagen am 24. Februar 2020 alle Voraussetzungen für die Abschiebung vor.
Quelle: Verwaltungsgericht München
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