Amtsgericht Münster, 27.10.2020, Az.: 4 C 3363/19
Zahlt der Mieter die Miete nicht, kann dies zu einer fristlosen und fristgemäßen Kündigung durch den Vermieter führen. Hinsichtlich der fristlosen Kündigung hat der Mieter bis zu zwei Monate Zeit, um auch noch nach Erhalt einer Räumungsklage die ausstehende Miete zurückzuzahlen. In diesem Fall wird zumindest die fristlose Kündigung unwirksam.
Dies gilt jedoch nicht für eine ebenfalls erklärte ordentliche (fristgemäße) Kündigung. Diese kann nur dann unwirksam werden, wenn zusätzliche Umstände hinzukommen, die die Nichtzahlung der Miete durch den Mieter in einem „milderen Licht“ erscheinen lassen und es dem Vermieter zumutbar ist, das Mietverhältnis fortzuführen.
Zu diesen Umständen zählt auch eine Krankheit des Mieters, die ihn daran gehindert hat, seiner Zahlungsverpflichtung nachzukommen. In dem hier besprochenen Fall litt der Mieter an Depressionen, die ihn daran hinderten, eine ordentliche Haushaltsführung zu gewährleisten.
Sachverhalt
Mieter zahlt mehrere Monate die Miete nicht
Klägerin in diesem Fall war die Vermieterin, Beklagter war der Mieter. Der Beklagte hatte von der Klägerin eine Wohnung für zuletzt 400,00 Euro Grundmiete sowie 190,00 Euro als Heiz- und Nebenkostenvorauszahlungen, insgesamt also 590,00 Euro, angemietet.
Für den Monat März 2019 zahlte der Beklagte 140,00 Euro, für die Monate August, September und Oktober 2019 erfolgten keinerlei Zahlungen. Mit Schreiben vom 08.10.2019 kündigte der Verwalter der Klägerin mit dem Betreff „fristlose Kündigung vom 08.10.2019; fristgerechte Kündigung (…)“ und wies auf die genannten Zahlungsrückstände hin, was den Tatbestand der fristlosen Kündigung erfülle.
Auch die Miete für November 2019 wurde zunächst nicht gezahlt. Am 06.11.2019 zahlte der Beklagte schließlich einen Betrag von 1.745,00 Euro. Zudem wurden vom Jobcenter am 27.11.2019 weitere 25,00 Euro und am 29.11.2019 590,00 Euro gezahlt. Am 30.12.2019 ging eine Zahlung von 590,00 Euro ein und am 14.01.2020 eine Zahlung von 1.080,00 Euro, nachdem auch die Dezember- und Januarmiete zunächst nicht gezahlt worden waren.
Schonfristzahlung des Mieters lässt fristlose Kündigung entfallen
Dennoch reichte die Klägerin Klage beim Amtsgericht Münster ein mit dem Antrag, den Beklagten zur sofortigen Räumung der streitgegenständlichen Wohnung zu verurteilen. Die Klägerin war der Ansicht, das Schreiben vom 08.10.2019 sei nach seinem Erklärungsinhalt eindeutig als fristlose Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzuges zu verstehen. Sie behauptete, der Verwalter sei zur Kündigung von Mietverhältnissen bevollmächtigt. Nachdem der Beklagte sämtliche Mietrückstände innerhalb der Schonfrist ausgeglichen habe, sei er dennoch aufgrund der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung zur Räumung der Mietwohnung verpflichtet.
Mieter führt Depressionen als Grund für die Nichtzahlung an
Der Beklagte behauptete, der Kündigung des Verwalters habe keine Originalvollmacht der Klägerin beigelegen, weshalb diese unwirksam sei. Weiterhin gab der Beklagte an, dass er im Jahr 2019 unter einer schweren depressiven Episode erkrankt sei, aufgrund derer er seit Juni 2019 an starker Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit, Ängsten und geminderter Konzentrationsfähigkeit gelitten habe. Daher sei er außerstande gewesen, seiner freiberuflichen Tätigkeit als Journalist nachzukommen. Dies habe ihn auch daran gehindert, Aufstockungsleistungen beim Jobcenter zu beantragen. Er habe somit nicht schuldhaft gehandelt. Weiterhin vertrat er die Ansicht, die ordentliche Kündigung sei wegen des langen Mietverhältnisses ohnehin nur mit einer Kündigungsfrist von neun Monaten zulässig gewesen.
Urteil des Amtsgerichts Münster
Das Gericht prüft die Krankheit des Mieters
Das Amtsgericht Münster wies die Klage ab und urteilte, dass der Räumungsanspruch nicht gegeben sei. Das Mietverhältnis sei nicht aufgrund der erklärten fristlosen Kündigung beendet worden. Die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 3 a) BGB sei gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB unwirksam geworden. Der Beklagte bzw. das Jobcenter habe sämtliche Rückstände innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs beglichen.
Kündige der Vermieter ein Wohnraummietverhältnis nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 a) BGB wegen Zahlungsverzugs des Mieters fristlos und hilfsweise auch fristgemäß, lasse der nachträgliche Ausgleich der Rückstände innerhalb der Frist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB jedoch nicht ohne Weiteres die fristgemäße Kündigung entfallen (BGH, Urteil vom 16. Februar 2005 – VIII ZR 6/04). So könne den Mieter im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB, der eine schuldhafte Pflichtverletzung voraussetzt, eine unverschuldete Zahlungsunfähigkeit entlasten. Die Vorschrift eröffne dem Mieter im Gegensatz zur fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs die Möglichkeit, sich auf unvorhersehbare wirtschaftliche Engpässe zu berufen und so sein etwaiges Fehlverhalten in einem milderen Licht erscheinen zu lassen (BGH, Urteil vom 16. Februar 2005 – VIII ZR 6/04).
Wegen der Krankheit war die Nichtzahlung der Miete entschuldigt
Nach dieser Maßgabe sei das Mietverhältnis auch nicht aufgrund der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB beendet worden. Insoweit könne dahinstehen, wovon das Gericht jedoch ausgehe, ob der die Kündigung erklärende Verwalter mit entsprechender Vollmacht gehandelt habe und ob die Erklärung der Kündigung auch unter Übersendung der Originalvollmacht erfolgte bzw. ob die fehlende Übersendung rechtzeitig gerügt worden sei. Denn jedenfalls habe der Beklagte seine vertragliche Pflicht zur Zahlung des monatlichen Mietzinses nicht schuldhaft im Sinne der Vorschrift verletzt.
Dies stehe nach Einholung des schriftlichen Sachverständigengutachtens fest.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme könne festgestellt werden, dass der Beklagte in der betreffenden Zeit der aufgelaufenen Zahlungsrückstände aufgrund seiner psychischen Erkrankung sowohl in seiner Erwerbsfähigkeit als auch in seiner Fähigkeit, sich um Hilfestellung zu bemühen, erheblich eingeschränkt gewesen sei. Der Sachverständige G, der Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie ist und damit über die erforderliche Sachkunde verfügt, habe in seinem Gutachten auf Grundlage seiner eigenen Untersuchung des Beklagten am 30.06.2020 sowie unter Auswertung der ihm vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen, Behandlungsberichte und Entlassungsberichte sowie auf Grundlage von Telefonaten mit den behandelnden Ärzten (psychologische Psychotherapeutin Frau M und Hausarzt T) die Feststellung getroffen, dass der Beklagte vom Sommer bis in den Herbst 2019 diagnostisch an einer schweren depressiven Episode gelitten habe. Dies habe sich in die jahrelange Krankheitsgeschichte des Betroffenen eingefügt. Er habe ausgeführt, dass infolge der depressiven Episode eine schwere Antriebslosigkeit, Freudlosigkeit und kognitive Verzerrung seines Selbstbildes vorgelegen habe. Der Beklagte sei hoffnungslos bis hin zur Suizidalität erschienen und habe in einer depressiven Passivität verharrt. Weiterhin habe er Konzentrations- und Gedächtnisstörungen gehabt, wie sie auch bei depressiven Episoden häufig auftreten. Der Sachverständige fasste zusammen, dass es dem Beklagten daher krankheitsbedingt nicht möglich gewesen sei, seine Angelegenheiten zu regeln oder adäquat auf Anforderungen von außen zu reagieren. Es sei davon auszugehen, dass der Beklagte krankheitsbedingt in den Sommermonaten bis zum frühen Herbst nicht in der Lage gewesen sei, seiner freiberuflichen Tätigkeit als Journalist nachzugehen oder, wie sonst üblich, Redaktionsvertretungen in anderen Bereichen durchzuführen. Es könne mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der Beklagte im oben genannten Zeitraum vollständig arbeitsunfähig gewesen sei und krankheitsbedingt aufgrund seiner empfundenen Ausweglosigkeit auch nicht in der Lage gewesen sei, Aufstockungsleistungen beim Jobcenter zu beantragen oder seine Angelegenheiten selbstständig und unter Realisierung der tatsächlichen Notwendigkeiten zu regeln.
Das Gericht urteilte, dass auch die ordentliche Kündigung wegen der Krankheit des Mieters unwirksam sei.
Dies lasse nach Ansicht des Gerichts die Pflichtverletzung des Beklagten aus dem Mietvertrag mit der Klägerin in einem „milderen Licht“ erscheinen. Insofern stelle sich die vom Beklagten begangene Pflichtverletzung der Nichtzahlung der Mieten im Sommer 2019, die Grundlage der erklärten Kündigung war, auch unter Berücksichtigung der Interessen der Klägerin als nicht derart gravierend dar, dass dies die Kündigung des Mietverhältnisses rechtfertige. Das Mietverhältnis bestehe bereits seit dem Jahr 2004. Bislang habe der Beklagte die Mietzahlungen wie auch seine anderen Pflichten aus dem Mietverhältnis offensichtlich ohne Beanstandungen geleistet bzw. erfüllt, dies sogar, obwohl er bereits seit seiner Jugend an einer Depression erkrankt sei. Die streitgegenständliche Verfehlung stelle somit die erste im Laufe des langjährigen Mietverhältnisses dar. Der Beklagte habe es im Ergebnis – bei Besserung seiner gesundheitlichen Lage – vermocht, die Rückstände relativ zügig auszugleichen. Offensichtlich sei es seit Januar 2020 auch nicht mehr zu Zahlungsrückständen gekommen. Das Gericht halte daher die Fortsetzung des Mietverhältnisses angesichts dieser erstmaligen Pflichtverletzung des Beklagten für die Klägerin noch zumutbar.
Quelle: Amtsgericht Münster
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