Ausländerrecht: Ehegatten eines Unionsbürgers kann bei Scheidung die Aufenthaltskarte entzogen werden

Verwaltungsgericht Augsburg, Urteil vom 18.01.2023, Az.: Au 6 K 22.2179

Wenn Sie Ehegatte oder Ehegattin eines EU-Bürgers oder einer EU-Bürgerin sind, können Sie selbstverständlich bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen zusammen in Deutschland leben. Voraussetzung dafür ist unter anderem, dass sie zusammen in der Lage sind, sich selbst zu versorgen und krankenversichert sind.

Nach fünf Jahren haben Sie zudem die Möglichkeit, eine Daueraufenthaltskarte zu bekommen, sodass Sie dauerhaft berechtigt sind, in Deutschland zu leben und zu arbeiten. Wie sieht es aber aus, wenn Ihr europäischer Ehegatte alleine aus Deutschland weggeht oder sich scheiden lässt? Mit einem solchen Fall hatte sich das Verwaltungsgericht Augsburg zu beschäftigen.

Sachverhalt des Falles:

Indischer Ehemann war zu seiner rumänischen Ehefrau nach Deutschland gezogen

Der indische Kläger war Ehegatte einer zunächst im deutschen Bundesgebiet lebenden rumänischen Staatsangehörigen, welche dann am 31.01.2021 aus Deutschland weggezogen war.

Der Kläger war seiner Ehefrau am 22. Mai 2017 ins Bundesgebiet nachgezogen und hatte am 24. Mai 2017 eine bis zum 23. Mai 2022 befristete Aufenthaltskarte für Familienangehörige von Unionsbürgern erhalten. Am 17. August 2017 war der Kläger in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten gezogen. Nach Informationen der Krankenversicherung war der Kläger vom 1. Oktober 2018 bis 1. September 2020, daneben vom 25. Mai 2020 bis 3. Juli 2020 sowie erneut vom 14. September 2020 bis zum Datum der Bestätigung der Rentenversicherung am 10. Januar 2022 erwerbstätig.

Ehefrau war nur kurz in Deutschland erwerbstätig und zog nach einigen Jahren weg und ließ sich scheiden

Mit Antrag vom 25. April 2022 hatte der Kläger beim Beklagten die Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte beantragt und seinen Familienstand als seit dem Jahr 2021 getrennt lebend angegeben.

Im Mai 2022 hatte sich der Kläger von seiner rumänischen Ehefrau scheiden lassen.

Ausländerbehörde verweigerte die Daueraufenthaltskarte und forderte den Kläger zur Ausreise auf

Mit Schreiben vom 31.10.2022 lehnte der Beklagte die Erteilung der Aufenthaltskarte ab und forderte den Kläger auf, das Bundesgebiet zu verlassen. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass die Ehefrau nach der Einreise des Klägers im Jahr 2017 keiner Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mehr nachgegangen sei und daher nach spätestens sechs Monaten keine Freizügigkeitsberechtigung mehr innegehabt habe.

Zwar sei der Kläger selbst ab dem 1. Oktober 2017 erwerbstätig gewesen, doch sei seine Ehefrau als nichterwerbstätige Unionsbürgerin weder über den Kläger noch sonst eigenständig familienversichert oder sonst krankenversichert gewesen. Für sie habe nur vom 5. August 2015 bis 5. Oktober 2016 ein Versicherungsschutz bestanden. Daher habe sie als nichterwerbstätige Unionsbürgerin keinen ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 FreizügG/EU für einen Fortbestand eines Rechts auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet nachgewiesen und sei daher nicht mehr freizügigkeitsberechtigt gewesen. Da der Kläger zwar seine Ehefrau begleitet habe oder ihr nachgezogen sei, sie selbst jedoch nicht mehr freizügigkeitsberechtigt gewesen sei, habe auch der Kläger lediglich für die ersten sechs Monate nach der Einreise, also vom 22. Mai 2017 bis 22. November 2017, ein abgeleitetes Recht auf Einreise und Aufenthalt innegehabt.

Somit habe der Kläger auch kein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU erlangt. Vielmehr habe er sich lediglich die ersten sechs Monate nach seiner Einreise mit einem Recht auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet aufgehalten. Zudem sei mit der Ausreise seiner Ehefrau am 31. Januar 2021 die eheliche Lebensgemeinschaft endgültig aufgelöst und auch der unionsrechtliche Zusammenhang für ein Zusammenleben (Nachziehen oder Begleiten eines Unionsbürgers) durch die Beendigung des Aufenthalts der Ehefrau im Bundesgebiet zerrissen.

Kläger klagte gegen den Ablehnungsbescheid beim Verwaltungsgericht Augsburg

Gegen den Ablehnungsbescheid klagte der Kläger beim Verwaltungsgericht Augsburg.

Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg:

VG Augsburg bestätigte die Entscheidung der Ausländerbehörde

Das Verwaltungsgericht Augsburg folgte der Ansicht der Ausländerbehörde und urteilte, dass dem Kläger die Aufenthaltskarte zu Recht nicht erteilt wurde und auch der Entzug des bisherigen Aufenthaltsrechts rechtmäßig war.

Rechtliche Grundlagen für die Entscheidung

Nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU könne der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt werden, wenn die Voraussetzungen dieses Rechts innerhalb von fünf Jahren nach Begründung des ständigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet entfallen sind oder nicht vorliegen; § 4a Abs. 6 FreizügG/EU gilt entsprechend (§ 5 Abs. 4 Satz 2 FreizügG/EU).

Dabei könne eine Verlustfeststellung nicht nur getroffen werden, wenn das Freizügigkeitsrecht ursprünglich bestanden hat und später entfallen ist, sondern auch dann, wenn die Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU zu keinem Zeitpunkt bestanden haben (vgl. BayVGH, U.v. 18.7.2017 – 10 B 17.339 – juris Rn. 24). Die Fünfjahresfrist beziehe sich darauf, dass nach Ablauf eines rechtmäßigen fünfjährigen ununterbrochenen Aufenthalts im Bundesgebiet ein Daueraufenthaltsrecht erworben wird. Die Möglichkeit zur Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU würde demnach mit dem Entstehen eines Daueraufenthaltsrechts (vgl. BVerwG, U.v. 16.7.2015 – 1 C 22/14 – NVwZ-RR 2015, 910 juris Rn. 16) erlöschen.

Erlöschen der Freizügigkeit wegen Arbeitslosigkeit

Die von der rumänischen Ehefrau abgeleitete Freizügigkeit sei nach dem Gericht bereits deswegen erloschen, weil die Ehefrau des Klägers lediglich vom 5. August 2015 bis 5. Oktober 2016 eine Erwerbstätigkeit ausgeübt habe und dadurch durch die Erwerbslosigkeit ihre eigene Freizügigkeit verloren habe.

Zwar sind nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 Satz 1 FreizügG/EU Unionsbürger auch losgelöst von einer Erwerbstätigeneigenschaft oder sonstiger wirtschaftlicher Tätigkeit freizügigkeitsberechtigt, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz sowie ausreichende Existenzmittel verfügen.

Da die Ehefrau aber im Zeitpunkt der Einreise des Klägers weder einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz noch die erforderlichen Existenzmittel im Sinne des § 4 FreizügG/EU besessen habe, sei sie nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 Satz 1 FreizügG/EU im Zeitpunkt seiner Einreise nicht freizügigkeitsberechtigt gewesen.

Verlust der Freizügigkeit durch Scheidung und Wegzug der Ehefrau

Schließlich habe der Kläger auch kein fortwirkendes Aufenthaltsrecht nach einer Scheidung von der Unionsbürgerin nach § 3 Abs. 4 FreizügG/EU erlangt. Zwar habe die geschlossene Ehe bis zur Scheidung insgesamt mehr als drei Jahre und im Bundesgebiet mindestens ein Jahr gedauert. Doch sei die Ehefrau bereits ab dem 5. Oktober 2016, jedenfalls aber vor Ablauf von einem Jahr Eheleben im Bundesgebiet, nicht mehr selbst freizügigkeitsberechtigt gewesen, so dass ihr Zusammenleben mit dem Kläger – verstanden als gleichzeitige, nicht notwendigerweise gemeinsame Lebensführung beider Ehegatten im Bundesgebiet (vgl. EuGH, U.v. 16.7.2015 – C-218/14 – NVwZ 2015, 1431/1432 Rn. 54 ff.; BVerwG, U.v. 28.3.2019 – 1 C 9.18 – InfAuslR 2019, 277 ff.) – diesem keine abgeleitete Rechtsstellung als Familienangehöriger eines freizügigkeitsberechtigten Ehegatten mehr vermittelt habe.

Zudem sei sie bereits zum 31. Januar 2021 und damit mehr als ein Jahr vor dem am 21. Februar 2022 zugestellten Scheidungsantrag und erst recht vor der vollzogenen Scheidung endgültig aus dem Bundesgebiet fortgezogen. Der Scheidungsantrag erfolgte somit auch nicht innerhalb einer angemessenen Frist nach dem Wegzug des Unionsbürgers (vgl. EuGH, U.v. 2.9.2021 – C-930/19 – NVwZ-RR 2022, 66 ff. Rn. 30, 44).

Berücksichtigung der persönlichen Situation des Klägers

Der Beklagte habe bei der Verlustfeststellung die Dauer des Aufenthalts des Klägers in Deutschland, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen in seine Entscheidung einbezogen und vertretbar gewichtet. Insbesondere habe er die Aufenthaltszeiten des Klägers im Bundesgebiet und dessen zwar wirtschaftliche, aber sonst nicht besonders schutzwürdigen persönlichen Bindungen angemessen gewürdigt. Durchgreifende Änderungen zu dieser Ermessensbegründung des Beklagten hätten sich auch im gerichtlichen Verfahren nicht ergeben.

Verhältnismäßigkeit der Verlustfeststellung

Die Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts des Klägers sei auch mit Blick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht unverhältnismäßig.

Nach Völkerrecht sei ein Staat berechtigt, die Einreise von Ausländern in sein Staatsgebiet und ihren Aufenthalt zu regeln. Die Europäische Menschenrechtskonvention garantiere keinem Ausländer das Recht, in ein bestimmtes Land einzureisen und sich dort aufzuhalten. Die Mitgliedstaaten sind befugt, in Erfüllung ihrer Aufgabe, die öffentliche Ordnung zu gewährleisten, einen Ausländer auszuweisen, der wegen Straftaten verurteilt worden ist. Dies erfordere, dass die Aufenthaltsbeendigung gesetzlich vorgesehen ist, also auf einer dem Betroffenen erkennbaren Rechtsgrundlage beruhe, und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, also durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und im Einzelfall verhältnismäßig sei.

Für den Kläger sei der Schutzbereich des Art. 8 EMRK hinsichtlich seines Privatlebens als Gesamtheit der sozialen Bindungen zwischen niedergelassenen Ausländern und der Gesellschaft, in der sie leben, eröffnet, da der im Bundesgebiet weitgehend bindungslose Kläger seit dem 22. Mai 2017 mit Wohnsitz in Deutschland gemeldet sei, sich seither durchgehend in Deutschland tatsächlich aufhalte und so den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen von mehr als fünf Jahren hier habe. Ein Familienleben hingegen bestünde seit der Trennung der Eheleute nicht mehr.

Quelle: Verwaltungsgericht Augsburg

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