Verwaltungsgericht Aachen, Urteil vom 16.05.2022, Az.: 9 K 1741/17
Eine Einbürgerung kann nach § 35 Absatz 1 StAG zum Beispiel wegen fehlender Verfassungstreue der eingebürgerten Person aufgrund von Antisemitismus oder Extremismus erfolgen. Dies ist aber nur dann möglich, wenn die Einbürgerung durch arglistige Täuschung, Drohung, Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt worden ist, die wesentlich für die Einbürgerung waren. Dabei ist zu beachten, dass nach § 35 Abs. 3 StAG die Rücknahme nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung erfolgen darf.
Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens
In dem hier besprochenen Fall wurde die Einbürgerung eines deutschen Staatsangehörigen syrischer Herkunft wegen extremistischer Bestrebungen wieder zurückgenommen.
Der 1991 geborene Kläger wendet sich gegen die Rücknahme seiner im Jahr 2012 vollzogenen Einbürgerung.
Der Kläger hatte am 01.12.2011 einen Antrag auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband gestellt. Dabei gab er an, die marokkanische Staatsbürgerschaft zu besitzen, seit seiner Geburt in Deutschland zu leben und seinen schulischen Werdegang in Deutschland absolviert zu haben. Zum Zeitpunkt der Antragstellung absolvierte er ein Informatikstudium an der Fachhochschule und bezog Leistungen nach dem BAföG.
Loyalitätserklärung des Klägers
Bei der Antragstellung hatte der Kläger ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung abgegeben, das als „Loyalitätserklärung“ bezeichnet wurde: „Ich erkläre, dass ich keine Bestrebungen verfolge oder unterstütze oder verfolgt oder unterstützt habe, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind.“ Der Kläger unterzeichnete diese Erklärung.
Die Sicherheitsüberprüfungen ergaben keine Bedenken, und die Einbürgerung erfolgte unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit. Am 02.05.2012 wurde dem Kläger nach Leistung des feierlichen Bekenntnisses gemäß § 16 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) die Einbürgerungsurkunde ausgehändigt.
Im September 2012 reiste der Kläger nach Alexandria in Ägypten und im Februar 2013 von dort aus nach Syrien.
Ermittlungen und Vorwürfe
Am 07.10.2013 kontaktierte das Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes NRW (MIK) erstmals das Ausländeramt bezüglich des Klägers und bat um Mitteilung der Grundpersonalien und des Einbürgerungsdatums im Zusammenhang mit einem „Ausreisesachverhalt“.
Schließlich wurde gegen den Kläger durch den Generalbundesanwalt ein Ermittlungsverfahren unter anderem wegen der Mitgliedschaft in einer außereuropäischen terroristischen Vereinigung eingeleitet. Es bestand der Verdacht, dass die Einbürgerung aufgrund einer „falschen Loyalitätserklärung“ erfolgt sei. Der Kläger war Domaininhaber der Website www.dawaeu.de, die unter „Partnerlinks“ auf weitere salafistische Webseiten verwies.
Mit Schreiben vom 13.03.2017 teilte die Behörde dem Kläger mit, dass beabsichtigt sei, die Einbürgerung zurückzunehmen, da sie durch arglistige Täuschung und vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt worden sei. Der Kläger sei bereits zum Zeitpunkt der Einbürgerung aktives Mitglied einer radikalislamistischen Organisation gewesen.
Rücknahme der Einbürgerung
Mit Bescheid vom 30.03.2017 nahm die Behörde die Einbürgerung des Klägers zurück. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass die Einbürgerung durch arglistige Täuschung erwirkt worden sei.
Klage gegen die Rücknahme
Der Kläger erhob am 03.04.2017 Klage gegen diese Rücknahmeverfügung.
In seiner Klage argumentierte der Kläger, dass die Beweislast für die Täuschung über die Verfassungstreue beim Beklagten liege, jedoch keine Beweise vorgelegt worden seien. Er habe den Beklagten nicht getäuscht und sei keiner besonderen Befragung unterzogen worden, sondern habe lediglich den gesamten Einbürgerungsantrag, der auch die vorgedruckte „Loyalitätserklärung“ enthielt, unterschrieben. Der Kläger betonte zudem die Bedeutung der Religions- und Meinungsfreiheit.
Weiterhin führte der Kläger an, dass seine Rückkehr nach Deutschland zeige, dass er sich ideologisch von den dortigen Gruppierungen abgewandt habe. Er distanziere sich ausdrücklich von einer salafistischen Ausrichtung des Islam und seiner kriegerischen Interpretation. Zudem nehme er regelmäßig am Aussteigerprogramm Islamismus des Landes Nordrhein-Westfalen teil und beginne im September 2022 eine Ausbildung.
Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen
Das Verwaltungsgericht Aachen sah die Rücknahme der Einbürgerung als rechtmäßig an.
Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Einbürgerung sei § 35 Abs. 1 Alt. 1 StAG. Danach könne eine rechtswidrige Einbürgerung nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung, Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden sei.
Die Einbürgerung des Klägers sei rechtswidrig gewesen, da sie gegen § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG verstoßen habe. Dieser Paragraph schließe die Einbürgerung aus, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolge oder unterstützt habe, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet seien, es sei denn, der Ausländer habe glaubhaft gemacht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt habe.
Das Gericht war überzeugt, dass der Kläger verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützt habe, da er Mitglied einer salafistischen Gruppierung gewesen sei. Politisch- und jihadistisch-salafistische Bestrebungen zählten zu den gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger die salafistische Ausrichtung der Gruppierung DAWA EU kannte und unterstützte.
Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, sich von den extremistischen Bestrebungen abgewandt zu haben. Das Bestreiten der Unterstützungshandlungen und die Verharmlosung der Veranstaltungen zur Koranverteilung erschütterten seine Glaubwürdigkeit.
Ermessensfehlerfreie Rücknahme der Einbürgerung
Das Gericht stellte fest, dass die Behörde ihr Rücknahmeermessen fehlerfrei ausgeübt habe. Der Beklagte habe das öffentliche Interesse an der Rückgängigmachung der rechtswidrigen Einbürgerung des Klägers korrekt gegen dessen privates Interesse am Erhalt der deutschen Staatsangehörigkeit abgewogen. Es seien keine Ermessensfehler erkennbar.
Die Behörde habe die privaten Belange des Eingebürgerten und die öffentlichen Interessen ausreichend berücksichtigt und abgewogen. Dabei sei die Integration des Klägers aufgrund seiner terroristischen Vergangenheit nicht gelungen.
Schließlich sei auch die Rücknahmefrist des § 35 Abs. 3 StAG eingehalten worden.
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