Hessisches Landesarbeitsgericht, 08.03.2010, Az.: 16 Sa 1280/09
Wortwörtlich sieht das Gesetz in § 626 Abs. 1 BGB eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund dann vor, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
Dabei ist grundsätzlich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Eine außerordentliche Kündigung kommt erst dann in Betracht, (ultima ratio), wenn mildere Mittel wie Abmahnung, Versetzung, Umsetzung, außerordentliche Änderungskündigung oder ordentliche Kündigung ausscheiden.
Sachverhalt
Die Klägerin war als Krankenschwester bei der Beklagten angestellt und im Rahmen ihres Arbeitsvertrags zur Arbeit an Sonn- und Feiertagen sowie zu Früh- und Spätdiensten verpflichtet. Zusätzlich bestand eine arbeitsvertragliche Verpflichtung, bei Bedarf Nachtdienst zu leisten. Seit 1999 arbeitete die Klägerin ausschließlich in der Nachtschicht. Anfang November 2008 teilte ihr die Beklagte jedoch mit, dass sie künftig im Tagdienst eingesetzt werde, was die Klägerin ablehnte. Grund für die Ablehnung war die Betreuung ihres Kindes während der Tageszeit. Daraufhin erhielt die Klägerin im Dezember 2008 eine Änderungskündigung, die ihre Arbeitszeit auf 40 Stunden pro Woche im Früh-, Spät- und Wochenenddienst festlegte. Am 30. April 2009 wurde ihr schließlich außerordentlich fristlos gekündigt. Der Vorwurf lautete, die Klägerin habe während ihres Nachtdienstes die Klingel abgeschaltet und geschlafen.
Kündigung und Klage
Die Klägerin wehrte sich gerichtlich gegen die Änderungskündigung und auch gegen die fristlose Kündigung. Sie argumentierte, dass die außerordentliche Kündigung ungerechtfertigt sei, da sie während der Nachtschicht keine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen habe, die eine solche drastische Maßnahme rechtfertigen würde. Zudem führte sie an, dass ihr Wunsch, tagsüber für die Betreuung ihres Kindes verfügbar zu sein, legitim sei. Die Beklagte hingegen argumentierte, dass das Fehlverhalten der Klägerin (Abschalten der Klingel und Schlafen während des Dienstes) eine erhebliche Gefahr für die Patienten dargestellt und damit eine fristlose Kündigung gerechtfertigt habe.
Entscheidung des Arbeitsgerichts Gießen
Das Arbeitsgericht Gießen entschied zugunsten der Klägerin und erklärte die außerordentliche Kündigung für unwirksam. Zwar sei eine Pflichtverletzung durch das Verhalten der Klägerin gegeben, jedoch sei die Kündigung unverhältnismäßig. Das Gericht sah keine Notwendigkeit für eine fristlose Kündigung, da die Klägerin auch im Tagdienst hätte weiterbeschäftigt werden können. Eine Wiederholung des vorgeworfenen Verhaltens, das nur im Nachtdienst aufgetreten war, sei im Tagdienst nicht zu erwarten.
Bestätigung durch das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG)
Das Hessische LAG bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Es erkannte ebenfalls eine schwerwiegende Pflichtverletzung, sah aber die Kündigung als unverhältnismäßig an. Da die Klägerin im Tagdienst hätte eingesetzt werden können, wäre eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter geänderten Bedingungen zumutbar gewesen. Das Fehlverhalten hätte sich voraussichtlich im Tagdienst nicht wiederholt, weshalb die Kündigung unverhältnismäßig war.
Quelle: Hessisches Landesarbeitsgericht
Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.
Wenn Sie rechtliche Beratung benötigen, rufen Sie uns unverbindlich unter der Rufnummer 0221 – 80187670 an oder schicken uns eine Email an info@mth-partner.de