Arbeitsrecht: Eigenkündigung des Arbeitnehmers – Klagefrist
Rechtsanwalt Tieben

Rechtsanwalt Helmer Tieben
Beratung unter:
Tel.: 0221 - 80187670

Arbeitsrecht
Veröffentlicht:
Aktualisiert am:
von: Helmer Tieben

Bundesarbeitsgericht, 21.09.2017, Az.: 2 AZR 57/17

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er gemäß § 4 S. 1 KSchG innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Kündigungsschutzklage beim zuständigen Arbeitsgericht erheben. Die Klage ist darauf zu richten, dass festgestellt wird, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Wird die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung nicht rechtzeitig gerichtlich geltend gemacht, gilt die Kündigung nach § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Eine verspätet erhobene Kündigungsschutzklage ist grundsätzlich unbegründet und wird daher abgewiesen. Fraglich ist jedoch, ob die Frist des § 4 KSchG auch auf Eigenkündigungen des Arbeitnehmers anwendbar ist.

welche Kündigungsgründe gibt es

Sachverhalt des Gerichtsverfahrens

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Eigenkündigung der Klägerin und ihre vorläufige Weiterbeschäftigung. Die Klägerin war seit 1992 bei der Beklagten beschäftigt. Wegen einer paranoiden Schizophrenie war die Klägerin im Jahr 2013 in stationärer Behandlung, woraufhin sie wieder arbeitsfähig war.

Arbeitnehmerin hatte selbst gekündigt

Mit Schreiben vom 06.03.2015 kündigte die Klägerin das bestehende Arbeitsverhältnis. Dieses wurde von der Beklagten mit Schreiben vom 09.03.2015 bestätigt und der Beendigungszeitpunkt auf den 30.09.2015 festgelegt.

Im März und April 2015 folgten weitere Kündigungsschreiben durch die Klägerin. Ab dem 23. Mai 2015 war sie erneut in stationärer Behandlung, woraufhin für sie eine Betreuerin bestellt wurde.

Gesetzliche Betreuerin der Arbeitnehmerin hielt sie für geschäftsunfähig

Die Beklagte informierte die Betreuerin über die Eigenkündigung der Klägerin. Die Betreuerin teilte sodann mit, dass die Klägerin zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nicht geschäftsfähig gewesen sei, was durch eine ärztliche Stellungnahme bestätigt wurde.

Die Betreuerin forderte die Beklagte am 07.10.2015 auf, die Kündigung als gegenstandlos zu betrachten, da diese ihrer Ansicht nach gemäß § 105 BGB nichtig sei. Dies wies die Beklagte zurück.

Klägerin reichte Feststellungsklage ein, dass eigene Kündigung unwirksam sei

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage vom 10.12.2015, die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 06.03.2015 nicht beendet ist.

Die Beklagte begehrt die Klageabweisung. Sie ist der Ansicht, dass die Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG versäumt wurde bzw. die Klägerin ihr Recht verwirkt habe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Urteil des Bundesarbeitsgerichts:

Die Revision ist zulässig und begründet. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts nicht abändern. Ob die Kündigung der Klägerin vom 6. März 2015 das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat, steht noch nicht fest.

Der Feststellungsantrag sei zulässig. Der Antrag sei dahin auszulegen, dass die Klägerin begehrt festzustellen, das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien habe über den 30. September 2015 hinaus fortbestanden. Dabei handele es sich um eine allgemeine Feststellungsklage gem. § 256 Abs. 1 ZPO.

Der Antrag sei zwar entsprechend § 4 KSchG formuliert worden, jedoch könne hiervon keine Eigenkündigung des Arbeitnehmers umfasst sein.

Nach § 4 Satz 1 KSchG muss ein Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage erheben, wenn er geltend machen will, dass die Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist.

Diese Regelung gehöre zum allgemeinen Kündigungsschutz und müsse im Hinblick auf § 7 KSchG betrachtet werden. Hiernach gilt eine Kündigung als von Anfang an rechtswirksam, wenn ihre Rechtsunwirksamkeit nicht rechtzeitig gem. § 4 Satz 1, §§ 5 und 6 KSchG geltend gemacht wird.

Sinn und Zweck dieser Reglung sei es, dem Arbeitgeber schnellstmöglich eine klare Rechtslage hinsichtlich des Bestandes der Kündigung zu verschaffen.

Die Klagefrist aus § 4 S. 1 KSchG könne sich jedoch nur auf Klagen von Arbeitnehmern beziehen. „Eine rechtzeitige Klageerhebung verhindere den Eintritt der Fiktionswirkung gem. § 7 KSchG. Dies führe nach Ansicht des Berufungsgerichts jedoch nur dann nicht zu sachwidrigen Ergebnissen, wenn mit der Klage ausschließlich die Unwirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung geltend gemacht werden solle. Fände die Klagefrist jedoch auch auf die Eigenkündigung eines Arbeitnehmers Anwendung, hätte es dieser in der Hand, einer materiell unwirksamen Kündigung (z.B. eine fristlose Eigenkündigung ohne wichtigen Grund) zur Wirksamkeit zu verhelfen, indem er nicht selbst gegen sie klagt. Dies ginge jedoch zulasten des Arbeitgebers und könne daher nicht gerechtfertigt sein. Auch eine Zurechnung der Eigenkündigung könne nicht angenommen werden, da weder eine Vertretung nach § 164 BGB, noch eine vollmachtlose Vertretung nach § 177 BGB angenommen werden könne. Auch eine Genehmigung sei ausgeschlossen.

Kündigungsschutzgesetz sei auf Eigenkündigung nicht anwendbar

Folglich fänden weder die Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG, noch die Fiktionswirkung des § 7 KSchG Anwendung auf die Eigenkündigung der Klägerin.

Im Weiteren sei der Anspruch der Klägerin auch nicht verwirkt.

„Das Recht, eine Klage zu erheben, kann verwirkt werden mit der Folge, dass eine dennoch angebrachte Klage unzulässig ist. Dies kommt jedoch nur unter besonderen Voraussetzungen in Betracht. Das Klagerecht soll ausnahmsweise verwirken können, wenn der Anspruchsteller die Klage erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums erhebt und zusätzlich ein Vertrauenstatbestand beim Anspruchsgegner geschaffen worden ist, er werde gerichtlich nicht mehr belangt werden. Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes das Interesse des Berechtigten an der sachlichen Prüfung des von ihm behaupteten Anspruchs derart überwiegen, dass dem Gegner die Einlassung auf die nicht innerhalb angemessener Frist erhobene Klage nicht mehr zumutbar ist. Durch die Annahme einer prozessualen Verwirkung darf der Weg zu den Gerichten nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise erschwert werden.

Dies ist im Zusammenhang mit den an das Zeit- und Umstandsmoment zu stellenden Anforderungen zu berücksichtigen (BAG 20. April 2011 – 4 AZR 368/09 – Rn. 23 mwN).“

Dass eine Verwirkung im Hinblick auf den Zeit- oder Umstandsmoment vorliege, könne aufgrund fehlenden Parteivorbingens nicht angenommen werden. Vor allem habe die Beklagte nicht dargelegt, dass sie aufgrund eines bei ihr entstanden Vertrauens, die Klägerin werde keine Klage mehr erheben, Beweismittel nicht gesichert habe oder sonstige Schwierigkeiten bezüglich der Verteidigung bestünden. Daher sei eine prozessuale Verwirkung abzulehnen.

Im Weiteren legt das Berufungsgericht dar, dass auch keine materielle Verwirkung gegeben sei.

Die Verwirkung sei ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung und solle dem Bedürfnis nach Rechtsklarheit dienen. Jedoch könne allein der Zeitablauf die Verwirkung eines Rechts nicht rechtfertigen (Zeitmoment), da es nicht um eine frühzeitige Schuldbefreiung ginge. Vielmehr sei es erforderlich, dass besondere Umstände sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten hinzutreten (Umstandsmoment), die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben (§ 242 BGB) unvereinbar anzusehen (BAG 22. März 2017 – 5 AZR 424/16 – Rn. 23; 24. August 2016 – 5 AZR 129/16 – Rn. 60).

Im vorliegenden Fall müsse der Umstandsmoment, der zu einer Verwirkung führe, abgelehnt werden. Die Beklagte habe zwar erst durch die Betreuerin am 01.09.2015 von der Geschäftsunfähigkeit der Klägerin erfahren, jedoch habe die Beklagte zu keiner Zeit vorgetragen, dass bestimmte Tatsachen einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen würden.

Im Hinblick darauf, ob die Kündigung im Hinblick auf die mögliche Geschäftsunfähigkeit nach § 105 BGB nichtig war, verweist das Berufungsgericht die Klage zurück.

Hierzu führt es aus, dass das Landesarbeitsgericht keine hinreichende Würdigung der Umstände vorgenommen habe. Eine ärztliche Stellungnahme stelle keinen Befund dar und könne nicht als festgestellt angenommen werden. Insbesondere, da das Gesetz keine „ärztliche Geschäftsunfähigkeitsbescheinigung“ vorsehe, da eine Reglung nach § 5 Abs. 1 EFZG fehle.

Insofern könne auch nicht ohne Würdigung angenommen werden, dass dem Aussteller der ärztlichen Stellungnahme die Bedeutung des Rechtsbegriffs der Geschäftsunfähigkeit nicht hinreichend klar war. Die Aussagekraft des ärztlichen Schreibens sei folglich nicht klar einzuordnen.

Daher sei eine erneute Würdigung des Sachverhalts durch das Landesarbeitsgericht notwendig. Insbesondere bedarf es der Feststellung, ob die Klägerin zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung tatsächlich geschäftsunfähig war.

Nach Ansicht des Berufungsgerichts wäre die Kündigung bei Annahme der Geschäftsfähigkeit wirksam. Sie sei insbesondere nicht zu unbestimmt, obwohl sie weder als fristgerechte Kündigung bezeichnet sei, noch ein konkretes Beendigungsdatum nenne.

„Eine Kündigung muss als empfangsbedürftige Willenserklärung so bestimmt sein, dass der Empfänger Klarheit über die Absichten des Kündigenden erhält. Der Kündigungsadressat muss erkennen können, zu welchem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis aus Sicht des Kündigenden beendet sein soll. Deshalb muss sich aus der Erklärung oder den Umständen zumindest ergeben, ob eine fristgemäße oder eine fristlose Kündigung gewollt ist (BAG 20. Juni 2013 – 6 AZR 805/11 – Rn. 14, BAGE 145, 249; 23. Mai 2013 – 2 AZR 54/12 – Rn. 46, BAGE 145, 184).“

Die Annahme einer ordentlichen Kündigung sei ordnungsgemäß erfolgt, insbesondere da es bei einer außerordentlichen Kündigung erforderlich gewesen wäre, weitere Gründe vorzutragen. Auch sei nicht ersichtlich, dass der Beklagten eine Berechnung der Beendigung nicht zweifelsfrei möglich gewesen wäre. Insbesondere im Hinblick auf das von ihr verfasste Bestätigungsschreibens.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Klagefrist aus § 4 S. 1 KSchG auf Eigenkündigungen des Arbeitnehmers keine Anwendung finden. Bei einem längeren Zeitraum zwischen Kündigung und Klage bleibt dem Arbeitgeber daher nur der Verweis auf die Verwirkung, wobei hier sowohl der Zeit- als auch der Umstandsmoment gegeben sein muss.

Im Weiteren hängt die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts von der Feststellung der Geschäftsunfähigkeit ab. Nur bei Vorliegen der Geschäftsunfähigkeit wäre die Kündigung nach § 105 BGB nichtig und der Klage somit sattzugeben.

Quelle: Bundesarbeitsgericht

Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

Wenn Sie rechtliche Beratung benötigen, rufen Sie uns unverbindlich unter der Rufnummer 0221 – 80187670 an oder schicken uns eine Email an info@mth-partner.de

Rechtsanwälte in Köln beraten und vertreten Sie im Arbeitsrecht

Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, wurden wir uns freuen, wenn Sie den Beitrag verlinken oder in einem sozialen Netzwerk teilen.

No Comments Yet.

Leave a comment