Arbeitsrecht: Führt das Unterlassen einer Sozialauswahl zur Unwirksamkeit der Kündigung?

Arbeitsgericht Köln, 14.11.2019, Az. 8 Ca 4564/19

Geht es einem Unternehmen wirtschaftlich schlecht, kann es zur Ausgliederung gewisser Abteilungen kommen. Dies kommt insbesondere oft vor, wenn ein Unternehmen mit einem anderen fusioniert oder sonst von diesem übernommen wird. Kommt es im Rahmen einer solchen Fusion zu Massenentlassungen, besteht immer die Frage, wie die restlichen Arbeitsplätze verteilt werden. Das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) enthält dabei einige Regelungen, wann eine Kündigung unwirksam wird. So darf sie nach § 1 I KSchG nicht sozial ungerechtfertigt sein. Aus Sicht des Unternehmens sollen jedoch im besten Fall nur die leistungsstärksten Mitarbeiter weiterbeschäftigt werden. Bei der sozialen Rechtfertigung ist allerdings nicht primär auf die Leistung abzustellen, sondern auf Kriterien wie Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Grad der Behinderung, Unterhaltspflichten (vergleiche § 1 III KSchG). Für das Unternehmen entsteht daher der Konflikt, die Leistungsträger behalten zu wollen aber auch die sozial besonders bedürftigen weiterbeschäftigen zu sollen. Die Leistungsstarken werden jedoch oftmals nicht zu den sozial Bedürftigsten gehören. In einer Sozialauswahl würde es daher vielen Leistungsträgern kündigen müssen. Daher hat der Gesetzgeber die Möglichkeit in § 1 III 2 KSchG geschaffen, die besonderen Leistungsträger aus der Sozialauswahl herauszunehmen. Es stellt sich dennoch die Frage, nach welchen Kriterien eine Herausnahme möglich ist.

welche Kündigungsgründe gibt es

Im nachstehen Urteil hat das Arbeitsgericht Köln klargestellt, dass eine Sozialauswahl nicht vollkommen unterbleiben darf und nicht rein nach dem Leistungsprinzip entschieden werden darf. Ebenso muss eine Planung über die Neuverteilung von Aufgaben einer betriebsbedingten Kündigung vorausgehen. Es darf nicht erst gekündigt werden und dann geplant werden. Viel mehr muss sich aus einer Neuplanung von Aufgaben ergeben, dass eine Arbeitskraft nicht mehr benötigt wird und die Kündigung aufgrund dessen ausgesprochen werden.

Hintergrund des Falles: Betriebsbedingte Kündigung

Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Auseinandersetzung zwischen einer Arbeitnehmerin und ihrer Arbeitgeberin, die eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen hatte. Die Klägerin war seit 1990 bei der Beklagten in Köln beschäftigt. Anfang 2019 informierte die Arbeitgeberin, dass das Unternehmen von einem anderen übernommen werde und die meisten Arbeitsplätze in Köln bis Ende des Jahres abgebaut würden. Ein Sozialplan und Interessenausgleich wurde mit dem Gesamtbetriebsrat ausgearbeitet, um die Abwicklung der Kündigungen zu regeln.

Trotz des Abschlusses des Interessenausgleichs widersprach der örtliche Betriebsrat der Kündigung der Klägerin. Der Betriebsrat argumentierte, dass eine im Interessenausgleich festgelegte Frist nicht eingehalten worden sei. Die Arbeitnehmerin erhob schließlich Kündigungsschutzklage, um die Wirksamkeit der Kündigung anzufechten.

Die Argumente der Arbeitnehmerin

Die Klägerin machte mehrere Punkte geltend, um die Unwirksamkeit der Kündigung zu begründen. Zum einen führte sie an, dass die Kündigung zu früh erfolgt sei. Die gesetzlich vorgeschriebene dreiwöchige Frist zwischen der Unterrichtung des Betriebsrats und der Kündigung sei nicht eingehalten worden. Dies verstoße gegen die Vorgaben des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG), das den Schutz von Arbeitnehmern bei betriebsbedingten Kündigungen regelt.

Darüber hinaus erklärte die Klägerin, dass die Arbeitgeberin ihrer Ansicht nach keine ordnungsgemäße Sozialauswahl vorgenommen habe. Eine Sozialauswahl ist nach dem KSchG erforderlich, um sicherzustellen, dass soziale Gesichtspunkte wie Betriebszugehörigkeit, Alter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung bei der Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer berücksichtigt werden. Die Klägerin argumentierte, dass sie im Vergleich zu anderen Mitarbeitern sozial schutzwürdiger sei und daher eine Weiterbeschäftigung möglich gewesen wäre.

Zudem behauptete die Arbeitnehmerin, dass die Anzeige der Massenentlassung bei der Bundesagentur für Arbeit unwirksam sei. Das Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß abgeschlossen worden, was die Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 KSchG verletze. Schließlich führte die Klägerin an, dass keine betriebliche Notwendigkeit für ihre Kündigung bestehe, da der Beschäftigungsbedarf für sie nicht zum 31. Dezember 2019 entfallen sei. Eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz innerhalb des Unternehmens wäre möglich gewesen.

Die Position der Arbeitgeberin

Die Arbeitgeberin argumentierte, dass die Kündigung rechtmäßig sei. Sie führte an, dass die Kündigung der Arbeitnehmerin nicht am 27. Juni 2019, sondern erst am 28. Juni 2019 zugegangen sei. Somit sei die dreitägige Frist korrekt eingehalten worden. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, hätte dies nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung geführt.

Ferner behauptete die Arbeitgeberin, dass der Beschäftigungsbedarf der Klägerin aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung entfalle, da die gesamte Abteilung geschlossen werde. Eine Sozialauswahl sei nicht erforderlich gewesen, da allen vergleichbaren Mitarbeitern gekündigt worden sei. Zudem sei die Klägerin nicht für eine Weiterbeschäftigung geeignet, da sie nicht über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfüge. Eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz sei ebenfalls nicht möglich gewesen, da keine freien Stellen vorhanden waren.

Bezüglich der Massenentlassungsanzeige erklärte die Beklagte, dass das Konsultationsverfahren ordnungsgemäß mit dem Gesamtbetriebsrat abgeschlossen worden sei. Der örtliche Betriebsrat sei in diesem Fall nicht zuständig gewesen.

Urteil des Arbeitsgerichts Köln

Das Arbeitsgericht Köln entschied zugunsten der Klägerin und erklärte die Kündigung für unwirksam. Das Gericht stellte fest, dass die Kündigung nicht sozial gerechtfertigt sei, da sowohl die betriebsbedingte Notwendigkeit der Kündigung als auch die ordnungsgemäße Sozialauswahl fehlten.

Das Gericht betonte, dass eine betriebsbedingte Kündigung nur dann zulässig sei, wenn der Beschäftigungsbedarf für die gekündigte Arbeitnehmerin aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung entfalle. Dabei dürfe der Arbeitgeber die Aufgaben der gekündigten Mitarbeiterin nicht einfach auf andere Mitarbeiter übertragen, ohne dies zu begründen. Eine bloße Planung zur Neuverteilung von Aufgaben sei nicht ausreichend, um eine Kündigung zu rechtfertigen. Im vorliegenden Fall konnte die Arbeitgeberin jedoch keine konkreten Maßnahmen zur Neuverteilung der Aufgaben darlegen. Dies deutete darauf hin, dass die unternehmerische Entscheidung, die Abteilung zu schließen, erst nach der Kündigung konkretisiert wurde. Eine solche „Vorratskündigung“ sei jedoch unzulässig.

Fehlende Sozialauswahl als weiteres Kündigungshindernis

Das Gericht stellte außerdem fest, dass die Kündigung unwirksam sei, da keine ordnungsgemäße Sozialauswahl durchgeführt wurde. Die Arbeitgeberin hätte eine Sozialauswahl zwischen den gekündigten und den weiterbeschäftigten Mitarbeitern vornehmen müssen. Dies sei auch dann erforderlich, wenn die Weiterbeschäftigung nur vorübergehend erfolge. Die Arbeitgeberin habe jedoch ausschließlich nach Leistungskriterien entschieden und dabei die sozialen Gesichtspunkte, wie sie im KSchG vorgeschrieben sind, außer Acht gelassen.

Zwar sieht das Gesetz vor, dass besondere Leistungsträger aus der Sozialauswahl herausgenommen werden dürfen. Dies gelte jedoch nur in Ausnahmefällen. Die Arbeitgeberin konnte nicht ausreichend darlegen, warum die weiterbeschäftigten Mitarbeiter als besondere Leistungsträger gelten sollten. Eine pauschale Behauptung, dass diese über besondere Fähigkeiten und Kenntnisse verfügen, sei nicht ausreichend, um von den gesetzlichen Vorgaben abzuweichen. Das Gericht wies außerdem darauf hin, dass die von der Arbeitgeberin vorgelegte Dokumentation zur Sozialauswahl unzureichend war.

Schlussfolgerung: Unwirksamkeit der Kündigung

Zusammenfassend entschied das Gericht, dass die Kündigung sozial ungerechtfertigt und somit unwirksam sei. Die Arbeitgeberin hatte weder eine betriebsbedingte Notwendigkeit für die Kündigung nachgewiesen, noch eine ordnungsgemäße Sozialauswahl durchgeführt. Darüber hinaus stellte das Gericht fest, dass die Anforderungen an eine reduzierte Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 5 KSchG nicht erfüllt waren, da der Interessenausgleich keine Namensliste der zu kündigenden Mitarbeiter enthielt.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Köln betont die Bedeutung einer sorgfältigen Prüfung der sozialen Kriterien und einer ordnungsgemäßen Begründung der betrieblichen Notwendigkeit bei betriebsbedingten Kündigungen. Fehlen diese Voraussetzungen, wie im vorliegenden Fall, führt dies zur Unwirksamkeit der Kündigung.

Quelle: Arbeitsgericht Köln

Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

Wenn Sie rechtliche Beratung benötigen, rufen Sie uns unverbindlich unter der Rufnummer 0221 – 80187670 an oder schicken uns eine Email an info@mth-partner.de

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert