Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 12.04.2018, Az.: 11 Sa319/17
Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Dienstverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
Diese Norm bildet die Generalklausel, um aus einem „wichtigen Grund“ das Arbeitsverhältnis beenden zu können. Die Prüfung dieser Voraussetzung erfolgt dabei in zwei Stufen. Zunächst wird geprüft, ob ein wichtiger Grund „an sich“ vorliegt. Also ob bei Wahrunterstellung des Sachverhaltes, das Verhalten dazu geeignet ist einen wichtigen Grund überhaupt darzustellen. In einem zweiten Schritt wird dann beurteilt, ob bei Berücksichtigung der konkreten Umstände und unter Abwägung der gegenseitigen Interessen eine Kündigung gerechtfertigt ist.
Dabei müssen jedoch die konkreten Umstände für eine solche Kündigung als Grundlage auch feststehen. Eine Kündigung wegen der abstrakten Gefahr einer Pflichtverletzung ist unwirksam. Liegt der Verdacht der Begehung einer Straftat nahe, muss auch dieser Verdacht auf einer konkreten Tatsachengrundlage fußen und durch diese getragen werden. Ansonsten steht der Verdachtskündigung die Unschuldsvermutung entgegen.
Im nachstehenden Fall hat das Landesarbeitsgericht dazu ausgeführt, dass generell auch ein Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflicht aus § 241 BGB einen wichtigen Grund bilden könne. Auch außerhalb der Arbeitszeit müsse der Arbeitnehmer zwar auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht nehmen. Eine Verletzung könne also auch durch außerdienstliches Verhalten entstehen, dafür sei aber notwendig, dass durch das – rechtswidrige – außerdienstliche Verhalten des Arbeitnehmers berechtigte Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt werden. Es bedürfe negativer Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis, so wenn die Straftat unter Nutzung von Betriebsmitteln oder betrieblichen Einrichtungen begangen werde.
Einleitung des Rechtsstreits
Im vorliegenden Fall ging es um die fristlose Kündigung eines Chemielaboranten, der seit 1991 bei der Beklagten tätig war. Der Kläger, schwerbehindert mit einem Grad von 50%, wurde fristlos entlassen, nachdem in seiner Wohnung Chemikalien gefunden wurden, die zur Herstellung von Sprengstoffen und Betäubungsmitteln verwendet werden könnten. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage, forderte die Erteilung eines Zwischenzeugnisses sowie die Weiterbeschäftigung während des Rechtsstreits.
Vorgeschichte und Kündigungsgrund
Der Kläger war in der Abteilung Quality Control tätig und führte diverse sicherheitsrelevante Aufgaben durch. 2012 wurde ihm wegen des unsachgemäßen Umgangs mit flüssigem Stickstoff die Erlaubnis zur Bestellung von Chemikalien entzogen. Am 2. August 2016 wurde der Kläger von der Polizei festgenommen, und es wurde in seiner Wohnung eine größere Menge chemischer Stoffe entdeckt, die für illegale Aktivitäten genutzt werden könnten. Dies veranlasste die Beklagte, eine außerordentliche Kündigung zu erwirken.
Die Beklagte begründete die Kündigung mit dem Verdacht, dass der Kläger illegal mit Chemikalien und Drogen handele. Sie argumentierte, dass der Kläger durch seine Tätigkeit Zugang zu gefährlichen Stoffen habe und daher eine Gefahr für den Betrieb darstelle. Der Kläger hingegen bestritt die Vorwürfe und erklärte, dass seine privaten Experimente keinen Zusammenhang mit seiner Tätigkeit bei der Beklagten hätten.
Entscheidung des Arbeitsgerichts
Das Arbeitsgericht wies die Klage größtenteils ab und stellte fest, dass die Kündigung wegen personenbedingter Gründe wirksam sei. Die Abmahnungen und Vorfälle aus der Vergangenheit sowie der Besitz von Chemikalien begründeten Zweifel an der Zuverlässigkeit des Klägers. Das Gericht urteilte, dass der Kläger aufgrund der Schwere des Sachverhalts nicht mehr für sicherheitsrelevante Aufgaben geeignet sei. Eine Wiederbeschäftigung sei dem Arbeitgeber nicht zuzumuten. Lediglich der Anspruch auf ein qualifiziertes Endzeugnis wurde dem Kläger zugesprochen.
Berufungsentscheidung des Landesarbeitsgerichts
Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf gab der Berufung des Klägers teilweise statt. Es urteilte, dass die fristlose Kündigung vom 1. September 2016 unwirksam sei, da kein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB vorliege. Zwar könne eine außerdienstlich begangene Straftat eine Kündigung rechtfertigen, jedoch habe die Beklagte keine ausreichenden Beweise für einen direkten Zusammenhang zwischen den Straftaten und der Arbeitstätigkeit des Klägers erbracht. Die Beklagte konnte nicht nachweisen, dass der Kläger Chemikalien des Betriebs entwendet oder im Labor unerlaubte Experimente durchgeführt hatte.
Ergebnis und Ausblick
Das Landesarbeitsgericht urteilte, dass die fristlose Kündigung nicht aufrechterhalten werden könne. Da jedoch eine ordentliche Kündigung zum 31. Dezember 2017 ausgesprochen wurde, bestand kein Anspruch auf Weiterbeschäftigung während des Rechtsstreits. Der Anspruch auf ein Zwischenzeugnis wurde ebenfalls verneint, da das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Verhandlung nicht mehr bestand. Insgesamt wurde der Beklagten nahegelegt, dass mildere Maßnahmen, wie die Umorganisation des Arbeitsplatzes oder eine Einschränkung des Zugangs zu Chemikalien, möglich gewesen wären, um den Kläger weiterhin zu beschäftigen.
Quelle: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.
Wenn Sie rechtliche Beratung benötigen, rufen Sie uns unverbindlich unter der Rufnummer 0221 – 80187670 an oder schicken uns eine Email an info@mth-partner.de
Rechtsanwälte in Köln beraten und vertreten Sie im Arbeitsrecht