Arbeitsrecht: Der im Mutterschutzgesetz geregelte Sonderkündigungsschutz bei In-vitro-Fertilisation.

Bundesarbeitsgericht, 26.03.2015, Az.: 2 AZR 237/14

Ein besonderer Kündigungsschutz besteht unter Anderem für Betriebsratsmitglieder und ihnen gleichgestellten Personen (§§ 15 IV, 5 KSchG), für Schwangere (§ 9 MuSchG), zum Erziehungsurlaub Berechtigte (§ 18 BerzGG) sowie für Schwerbehinderte.

Einige dieser Normen machen den Ausspruch von Kündigungen dabei von behördlichen Genehmigungen abhängig. So bestimmt § 85 SGB IX, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedarf.

Bei Müttern muss die nach jeweiligem Landesrecht zuständige Behörde einer arbeitgeberseitigen Kündigung auf Antrag zustimmen (§ 9 III 1 MuSchG), wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft bekannt war oder sie ihm innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird.

Ohne diese Zustimmung ist die Kündigung gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG grundsätzlich unzulässig.

Fraglich ist jedoch, ob der Mutterschutz bei einer Befruchtung außerhalb des Körpers (In-vitro-Fertilisation) bereits ab dem Zeitpunkt der Einsetzung der befruchteten Eizelle (sog. Embryonentransfer) oder erst mit ihrer erfolgreichen Einnistung (Nidation) eingreift.

Darüber hatte das Bundesarbeitsgericht in dem hier dargestellten Fall zu entscheiden.

Sachverhalt

Die Klägerin war seit Februar 2012 in einer Versicherungsvertretung als eine von zwei Angestellten beschäftigt. Bis zur Kündigung hatte sie keine Abmahnungen oder Ermahnungen wegen schlechter Leistungen erhalten. Mitte Januar 2013 teilte sie ihrem Arbeitgeber, dem Beklagten, mit, dass sie seit mehreren Jahren an einem unerfüllten Kinderwunsch litt und sich einem erneuten Versuch einer künstlichen Befruchtung unterziehen würde. Am 24.01.2013 erfolgte der Embryonentransfer, und am 31.01.2013 sprach der Beklagte eine ordentliche Kündigung aus, ohne behördliche Zustimmung einzuholen. Die Position der Klägerin wurde anschließend durch eine ältere Mitarbeiterin besetzt. Am 07.02.2013 stellte sich heraus, dass die Klägerin schwanger war, was sie dem Beklagten am 13.02.2013 mitteilte.

Kündigungsschutzklage

Die Klägerin reichte nach Erhalt der Kündigung eine Kündigungsschutzklage ein, der sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht stattgaben. Beide Instanzen entschieden, dass die Kündigung unwirksam sei. Das Hauptargument der Klägerin war, dass die Kündigung aufgrund ihrer geplanten Schwangerschaft und der vorausgehenden In-vitro-Fertilisation erfolgte und somit eine Diskriminierung darstellte. Die Gerichte folgten dieser Einschätzung, was den Weg für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht ebnete.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen und urteilte ebenfalls, dass die Kündigung unwirksam sei. Zum Zeitpunkt der Kündigung genoss die Klägerin den besonderen Kündigungsschutz gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 des Mutterschutzgesetzes (MuSchG), da der Embryonentransfer bereits erfolgt war. Zudem stellte das Gericht fest, dass die Kündigung gegen das Benachteiligungsverbot des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) verstieß. Das Gericht verwies auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), der bereits im Jahr 2008 entschieden hatte, dass eine Kündigung im Zusammenhang mit einer In-vitro-Fertilisation eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts darstellen könne.

Schlussfolgerung

Das Bundesarbeitsgericht folgte der Argumentation, dass die Kündigung aufgrund der geplanten Durchführung der künstlichen Befruchtung und der Möglichkeit einer Schwangerschaft ausgesprochen wurde. Damit lag ein Verstoß gegen das AGG sowie das MuSchG vor. Der besondere Schutz der Klägerin griff bereits ab dem Embryonentransfer, und der Beklagte konnte keine triftigen Gründe für die Kündigung vorbringen. Die Klägerin behielt somit ihren Kündigungsschutz und die Kündigung wurde als unwirksam erklärt.

Quelle: Bundesarbeitsgericht

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