Aufenthaltserlaubnis für den Ehegatten eines Ukraineflüchtlings - MTH Rechtsanwälte Köln
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Ausländerrecht
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von: Helmer Tieben

Verwaltungsgericht Greifswald, 01.08.2023, Az.: 2 A 404/23 HGW

Das Gericht hat in diesem Fall zu klären, ob der Kläger, der sich zum maßgeblichen Zeitpunkt der Flucht seiner Familie nicht in der Ukraine aufhielt, dennoch einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis hat. Hierbei ist insbesondere zu prüfen, inwieweit der Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) sowie das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) im Kontext der Regelungen des § 24 AufenthG und des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 zu berücksichtigen sind.

Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens

Der Kläger ist Staatsangehöriger Pakistans. Er ist der Vater seines am 14. April 2018 in Österreich geborenen Sohnes A. Dessen Mutter ist die Zeugin D., die mit dem Kläger seit 2017 verheiratet ist, die ukrainische Staatsbürgerschaft besitzt und in Deutschland über eine Aufenthaltserlaubnis verfügt. Die Familie lebt seit 2017 in verschiedenen europäischen Ländern zusammen. Ursprünglich hatten sie ihren Lebensmittelpunkt in Österreich, doch aufgrund der politischen und rechtlichen Entwicklungen in der Region waren sie gezwungen, ihre Wohnorte mehrfach zu wechseln.

Im Jahr 2018 wurde der Kläger von Österreich nach Pakistan abgeschoben, obwohl seine Familie weiterhin in Europa lebte. Der Kläger reiste im Sommer 2022 erneut nach Europa ein, diesmal über Griechenland nach Deutschland. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die Zeugin D. und ihr Sohn nach dem 24. Februar 2022 aufgrund der russischen Invasion in der Ukraine auf der Flucht und erreichten Deutschland. Diese Konstellation, bei der verschiedene Familienmitglieder zu unterschiedlichen Zeitpunkten in verschiedenen Ländern Schutz suchten, führte zu komplexen rechtlichen Herausforderungen.

Verfahrensgeschichte

Der Kläger stellte einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, da er argumentierte, dass seine familiäre Lebensgemeinschaft in Deutschland geschützt werden müsse. Der Beklagte, die zuständige Ausländerbehörde, lehnte diesen Antrag jedoch mit Bescheid vom 11. Oktober 2022 ab. Diese Ablehnung erfolgte, nachdem der Kläger zu den Gründen seines Antrags angehört worden war. Der Kläger legte daraufhin Widerspruch gegen diesen Bescheid ein, der am 28. Oktober 2022 eingereicht wurde. Der Widerspruch wurde am 7. Februar 2023 mit einem Widerspruchsbescheid zurückgewiesen.

Daraufhin erhob der Kläger am 10. März 2023 Klage vor dem Verwaltungsgericht. In seiner Klage führte er aus, dass er in Deutschland mit seiner Ehefrau, dem gemeinsamen Sohn A. sowie einem vorehelichen Sohn E. in einer familiären Lebensgemeinschaft lebe. Der Kläger argumentierte, dass ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG in Verbindung mit dem Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022 zustehe, da er Teil der Familie sei, die aufgrund der russischen Invasion aus der Ukraine nach Deutschland flüchtete.

Anträge und Verteidigung

Der Kläger beantragte, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Oktober 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Februar 2023 zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG zu erteilen.

Der Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Er verteidigte den angefochtenen Bescheid und bestritt, dass der Kläger und die Zeugin D. in Deutschland in einer ehelichen Lebensgemeinschaft leben würden. Der Beklagte stützte seine Argumentation auf die Tatsache, dass der Kläger nicht nachweisen könne, dass er tatsächlich in einer familiären Lebensgemeinschaft mit der Zeugin D. und ihren Kindern lebe. Zudem wurde argumentiert, dass der Kläger nicht die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG erfülle, da er sich vor dem 24. Februar 2022 nicht in der Ukraine aufgehalten habe.

Das Gericht hat Beweis erhoben über die Behauptung des Klägers, er lebe mit Frau D. in Deutschland in familiärer Lebensgemeinschaft zusammen, durch Vernehmung von Frau D. als Zeugin. Die Zeugin bestätigte in ihrer Aussage, dass sie seit der Einreise des Klägers nach Deutschland mit ihm und ihren gemeinsamen Kindern in einer Wohnung in der Holstenstraße in A-Stadt zusammenlebe. Die Kammer erachtete die Aussage der Zeugin als glaubhaft und sah die familiäre Lebensgemeinschaft als nachgewiesen an.

Entscheidungsgründe des gerichtlichen Verfahrens

Die Klage hat Erfolg. Der Kläger hat Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (AufenthG) in Verbindung mit dem Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022.

Gemäß § 24 Abs. 1 AufenthG wird einem Ausländer, dem aufgrund eines Beschlusses des Rates der Europäischen Union gemäß der Richtlinie 2001/55/EG vorübergehender Schutz gewährt wird, eine Aufenthaltserlaubnis für die Dauer des vorübergehenden Schutzes erteilt, wenn er seine Bereitschaft erklärt hat, im Bundesgebiet aufgenommen zu werden. Im vorliegenden Fall ist der Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022 maßgeblich, der die Situation von Vertriebenen aus der Ukraine regelt.

Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 Buchst. c) des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382. Nach dieser Vorschrift haben Familienangehörige von Personen, die am oder nach dem 24. Februar 2022 infolge der militärischen Invasion der russischen Streitkräfte aus der Ukraine vertrieben wurden, ebenfalls Anspruch auf vorübergehenden Schutz. Es ist dabei nicht erforderlich, dass der Kläger selbst am oder nach dem 24. Februar 2022 aus der Ukraine vertrieben wurde; entscheidend ist, dass seine Familie zu diesem Zeitpunkt aus der Ukraine flüchtete und er nun in familiärer Lebensgemeinschaft mit ihnen lebt.

Auslegung und Argumentation

Die Kammer ist der Überzeugung, dass der Wortlaut des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 keinen eindeutigen Ausschluss des Klägers von dem Schutzanspruch vorsieht. Vielmehr ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Regelung, dass der Schutz der familiären Einheit im Vordergrund steht. Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. c) des Beschlusses gilt der Schutz für Familienangehörige, die Teil einer Familie sind, die bereits vor dem 24. Februar 2022 in der Ukraine anwesend und aufhältig war. Eine enge Auslegung, die den Schutz nur auf Personen beschränkt, die selbst aus der Ukraine geflohen sind, würde dem Ziel des Schutzes der Familiengemeinschaft widersprechen.

Auch die systematische Auslegung des Durchführungsbeschlusses führt zu dem Ergebnis, dass die familiäre Einheit geschützt werden soll, unabhängig davon, ob alle Familienmitglieder zum Zeitpunkt der Flucht in der Ukraine lebten. Die Regelung zielt darauf ab, zu verhindern, dass Familienangehörige getrennt werden und unterschiedliche rechtliche Status erlangen, was im Widerspruch zu den menschenrechtlichen Grundsätzen stehen würde, die den Schutz von Ehe und Familie garantieren.

Die Kammer stellt klar, dass die tatsächliche gelebte familiäre Verbundenheit entscheidend ist und nicht formal-rechtliche Aspekte im Vordergrund stehen. Dies wird auch durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bestätigt, die in vergleichbaren Fällen betonen, dass das Recht auf Achtung des Familienlebens die tatsächliche Lebensgemeinschaft schützt und nicht allein auf formale Kriterien abstellt.

Ergebnis der Beweisaufnahme

Die Kammer ist nach der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Kläger in einer familiären Lebensgemeinschaft mit der Zeugin D. und ihrem gemeinsamen Sohn lebt. Die Aussagen der Zeugin waren detailliert und konsistent, und sie wurden durch objektive Tatsachen gestützt. Die Wohnsituation in der Holstenstraße, die sprachliche Entwicklung des Sohnes, der sich mit dem Dolmetscher auf Urdu verständigen konnte, und die Tatsache, dass der Kläger trotz fehlender offizieller Anmeldung in der neuen Wohnung tatsächlich dort lebt, untermauern die Glaubhaftigkeit der Aussagen.

Der Einwand des Beklagten, wonach Sprachbarrieren innerhalb der Familie ein Zusammenleben erschweren könnten, wurde durch die tatsächlichen Umstände widerlegt. Die Kammer geht daher davon aus, dass die familiäre Lebensgemeinschaft tatsächlich besteht und dass der Kläger Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG hat.

Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

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