Erhöhte Arbeitsbelastung kein zureichender Grund für langsame Bearbeitung durch Ausländerbehörde - MTH Rechtsanwälte Köln
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Ausländerrecht
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von: Helmer Tieben

Verwaltungsgericht Weimar, 11.06.2024, Az.: 1 K 135/24 We

Nach § 75 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann eine Untätigkeitsklage erhoben werden, wenn eine Behörde ohne zureichenden Grund nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten über einen Antrag oder Widerspruch entschieden hat. Die Frist beginnt in der Regel ab dem Zeitpunkt, an dem der Antrag oder der Widerspruch bei der zuständigen Behörde eingegangen ist.

Im Kontext des Ausländerrechts kann dies beispielsweise relevant sein, wenn ein Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis, Asyl oder andere aufenthaltsrechtliche Entscheidungen nicht innerhalb der vorgesehenen Frist bearbeitet wird. Wenn die Behörde nicht innerhalb dieser Frist reagiert, kann der Antragsteller Klage erheben, um eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen. In diesem Beschluss beschäftigte sich das Gericht damit, ob die Behörde entschuldigt war, weil sie die Anträge der Kläger so spät bearbeitet hatte.

Ausländerbehörde reagiert nicht, was kann ich machen? Untätigkeitsklage

Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens

Am 15. September 2023 beantragten die Kläger bei der Beklagten, einer deutschen Einbürgerungsbehörde, die Einbürgerung und legten dazu ein umfangreiches Anlagenkonvolut vor. Diese Unterlagen enthielten alle notwendigen Informationen und Nachweise, die für die Bearbeitung des Einbürgerungsantrags erforderlich waren. Nachdem die Kläger über einen längeren Zeitraum keine Rückmeldung zu ihrem Antrag erhalten hatten, wandte sich ihr Bevollmächtigter am 15. November 2023 per E-Mail an die Beklagte, um sich nach dem Stand des Verfahrens zu erkundigen.

Die Beklagte antwortete jedoch erst am 4. Januar 2024, also fast zwei Monate später, mit einem Schreiben, in dem sie lediglich den Eingang des Antrags bestätigte. Zudem informierte sie die Kläger darüber, dass aufgrund erheblicher Rückstände bei der Bearbeitung von Einbürgerungsanträgen aktuell sehr lange Bearbeitungszeiten zu erwarten seien, die mehrere Monate in Anspruch nehmen könnten.

Angesichts dieser Mitteilung und der Tatsache, dass seit der Antragstellung bereits mehr als drei Monate vergangen waren, ohne dass eine Entscheidung getroffen wurde, entschlossen sich die Kläger, am 23. Januar 2024 eine Untätigkeitsklage beim Verwaltungsgericht Weimar einzureichen. Die Kläger argumentierten, dass die Beklagte ohne ausreichenden Grund untätig geblieben sei und dass die lange Bearbeitungsdauer nicht gerechtfertigt sei. Sie wiesen darauf hin, dass die bloße Berufung auf allgemeine Überlastungen, wie sie durch die Flüchtlingskrise seit 2015, die Coronapandemie ab 2020 und die Ukrainekrise ab 2022 hervorgerufen wurden, keine hinreichende Rechtfertigung für die Verzögerung darstellen könne.

Antrag der Beklagten

In Reaktion auf die Untätigkeitsklage beantragte die Beklagte am 5. März 2024, das Verfahren gemäß § 75 Satz 3 VwGO (Verwaltungsgerichtsordnung) für eine angemessene Frist von mindestens vier Monaten auszusetzen. Die Beklagte begründete diesen Antrag mit einem außerordentlich hohen Arbeitsaufkommen, das auf die stark gestiegenen Fallzahlen und den bestehenden Personalmangel zurückzuführen sei. Sie verwies darauf, dass das Volumen an Beratungen und Anträgen in den Einbürgerungsbehörden seit den Jahren 2020 und 2021 bundesweit deutlich zugenommen habe. Diese Entwicklung sei hauptsächlich auf die steigende Zahl von Flüchtlingen seit 2015 zurückzuführen. Zudem seien die zu bearbeitenden Anträge zunehmend komplexer geworden, da viele Anträge von ausländischen Flüchtlingen und Asylberechtigten ohne gültige Ausweisdokumente gestellt würden, was die Prüfung und Bearbeitung erheblich erschwere.

Die Beklagte betonte weiter, dass sie sich intensiv um eine Aufstockung des dringend benötigten Personals bemühe. Es sei bereits neues Personal eingestellt worden, und es sei geplant, dass drei weitere Sachbearbeiter demnächst mit ihrer Arbeit beginnen würden. Allerdings müsse auch die Einarbeitungszeit der neuen Mitarbeiter berücksichtigt werden, was die Bearbeitungszeit weiter verzögern könne. Zudem verwies die Beklagte auf eine bevorstehende Gesetzesänderung, die voraussichtlich zu einem weiteren Anstieg der Einbürgerungsanträge führen werde. Auch die Fluchtwelle aus der Ukraine seit 2022 trage zu den hohen Antragszahlen bei.

Die Beklagte argumentierte zudem, dass die Kläger keine besondere Dringlichkeit ihres Antrags nachgewiesen hätten. Sie verwies auf einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Saarland vom 2. November 2023, in dem eine ähnliche Situation behandelt worden sei.

Stellungnahme der Kläger

Die Kläger beantragten, den Antrag der Beklagten auf Aussetzung des Verfahrens abzulehnen. Sie führten aus, dass die kontinuierlich steigende Arbeitslast einer Behörde sowie deren generelle Überlastung, sei es durch Krankheit, Urlaub von Mitarbeitern oder sonstige organisatorische Probleme, keine zureichenden Gründe darstellen würden, um eine Untätigkeit zu rechtfertigen. Solche internen Probleme müssten durch geeignete organisatorische Maßnahmen innerhalb der Behörde bewältigt werden. Die Kläger argumentierten, dass es der Beklagten oblegen hätte, bereits ab 2020, als der Anstieg der Antragszahlen deutlich erkennbar war, rechtzeitig Personal aufzustocken, um den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden. Eine erhöhte Komplexität der Anträge, wie von der Beklagten behauptet, sei aus Sicht der Kläger nicht erkennbar.

Rechtliche Bewertung durch das Gericht – Behörde hat nicht rechtzeitig reagiert

Das Gericht entschied, dass der Antrag der Beklagten auf Aussetzung des Verfahrens gemäß § 75 Satz 3 VwGO unbegründet ist. Gemäß § 75 Satz 1 und 2 VwGO kann nach Ablauf von drei Monaten seit Antragstellung eine Untätigkeitsklage erhoben werden, wenn über den Antrag ohne zureichenden Grund nicht in angemessener Frist entschieden worden ist. Das Gericht stellte fest, dass im vorliegenden Fall kein zureichender Grund für die Verzögerung der Entscheidung durch die Beklagte vorliegt.

Ein zureichender Grund im Sinne des § 75 Satz 3 VwGO kann nur dann angenommen werden, wenn er im Einklang mit der Rechtsordnung steht und im Licht der Wertentscheidungen des Grundgesetzes, insbesondere der Grundrechte, als zureichend angesehen werden kann. Das Gericht führte aus, dass die Überlastung einer Behörde durch eine vorübergehende Antragsflut, etwa infolge einer Gesetzesänderung, nur dann als zureichender Grund anerkannt werden kann, wenn die Überlastung nicht von längerer Dauer ist und kein strukturelles Organisationsdefizit vorliegt. Normale Ausfallzeiten, etwa durch Krankheit, müssen organisatorisch aufgefangen werden. Ist eine Behörde hingegen dauerhaft überlastet oder steigt die Arbeitsbelastung kontinuierlich, ohne dass darauf reagiert wird, so liegt kein zureichender Grund im Sinne des § 75 VwGO vor.

Gericht sieht strukturelles Organisationsdefizit

Im vorliegenden Fall ging das Gericht davon aus, dass eine solche dauerhafte Überlastung der Einbürgerungsbehörde der Beklagten vorliegt, die bereits seit 2020 erkennbar war. Die Beklagte hat nicht rechtzeitig auf diese Überlastung reagiert, indem sie ausreichend Personal eingestellt oder andere organisatorische Maßnahmen ergriffen hat. Auch die Tatsache, dass die Beklagte im Jahr 2024 weitere Sachbearbeiter einstellen will, konnte das Gericht nicht davon überzeugen, dass diese Maßnahmen rechtzeitig und im notwendigen Umfang erfolgten, um den Bearbeitungsrückstand zu bewältigen. Die Einarbeitungszeiten für neues Personal waren vorhersehbar und hätten in die Planung einbezogen werden müssen.

Weitere Erwägungen des Gerichts

Das Gericht stellte fest, dass die Beklagte bis zur Erhebung der Untätigkeitsklage keine wesentlichen Schritte zur Bearbeitung des Einbürgerungsantrags der Kläger unternommen hatte. Weder wurden die erforderlichen Behördenabfragen durchgeführt, noch wurde der Antrag auf Vollständigkeit geprüft. Die lange Dauer bis zur bloßen Eingangsbestätigung des Antrags spricht ebenfalls gegen die Behauptung der Beklagten, die Bearbeitung sei durch eine besonders hohe Komplexität der Anträge erschwert.

Das Gericht wies auch den Einwand der Beklagten zurück, dass die Kläger keine besondere Eilbedürftigkeit ihres Antrags nachgewiesen hätten. Angesichts der langen Bearbeitungsdauer, die sich bereits weit von der dreimonatigen Frist des § 75 VwGO entfernt hat, sei es nicht mehr angemessen, die Kläger weitere Monate auf eine Entscheidung warten zu lassen. Die Beklagte habe es versäumt, den Antrag der Kläger innerhalb einer angemessenen Frist zu bearbeiten, obwohl dieser bereits im September 2023 gestellt worden sei.

Fazit – Ausländerbehörde hatte keine befriedigende Begründung für die schleppende Bearbeitung

Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Beklagte nicht in der Lage war, einen zureichenden Grund für die Verzögerung der Entscheidung über den Einbürgerungsantrag der Kläger darzulegen. Die Berufung auf allgemeine Überlastung und Personalmangel sei nicht ausreichend, um eine Aussetzung des Verfahrens zu rechtfertigen. Das Gericht lehnte daher den Antrag der Beklagten auf Aussetzung des Verfahrens ab und verpflichtete die Beklagte, zeitnah über den Einbürgerungsantrag der Kläger zu entscheiden.

Dieses Urteil unterstreicht die Bedeutung der fristgerechten Bearbeitung von Anträgen durch Verwaltungsbehörden und setzt klare Grenzen für die Berufung auf interne organisatorische Schwierigkeiten als Entschuldigung für Verzögerungen. Es stellt sicher, dass Antragsteller nicht unzumutbar lange auf Entscheidungen warten müssen, insbesondere in Fällen, in denen keine außergewöhnlichen und unvorhersehbaren Umstände vorliegen.

Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

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