Verwaltungsgericht Berlin, 19.04.2024, Az.: 24 K 143/22 V
Das Verwaltungsgericht Berlin hat mit seinem Urteil vom 19. April 2024 einen wichtigen Präzedenzfall im Bereich der Visumserteilung für Spezialitätenköche geschaffen. Der Fall betrifft die Ablehnung eines Visumantrags eines türkischen Staatsangehörigen, der in Deutschland als Meister für die Herstellung türkischer Süßspeisen arbeiten wollte. Das Gericht hob die Ablehnung auf und verpflichtete die Behörden, den Antrag unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu prüfen. Diese Entscheidung beleuchtet zentrale Fragen zur Anerkennung ausländischer Fachkräfte und den Anforderungen für den deutschen Arbeitsmarkt.
1. Hintergrund: Der Fall des türkischen Spezialitätenkochs
Der Kläger, ein türkischer Staatsbürger aus Gaziantep, beantragte 2022 ein Visum zur Aufnahme einer Beschäftigung in Berlin. Der Antragsteller ist ein Meister für die Herstellung türkischer Süßspeisen wie Baklava und Kadayif. Der Arbeitsvertrag sah eine Anstellung in Vollzeit mit einem monatlichen Bruttogehalt von 4.200 Euro vor. Der geplante Arbeitsplatz befand sich in einem Restaurant, das sich auf die Herstellung und den Verkauf traditioneller türkischer Süßspeisen spezialisiert hat. Trotz der Vorlage umfangreicher Nachweise über seine Qualifikationen und Berufserfahrung lehnte das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Izmir den Antrag ab.
Die Ablehnung stützte sich auf die Einschätzung der Bundesagentur für Arbeit, die die Zustimmung verweigerte. Sie argumentierte, dass der Kläger nicht als Spezialitätenkoch anzusehen sei und der Betrieb nicht die Voraussetzungen eines Spezialitätenrestaurants erfülle.
2. Zentrale Streitpunkte und Positionen der Parteien
- Position des Klägers:
- Der Kläger betonte seine langjährige Berufserfahrung und seinen Meisterbrief als Qualifikationsnachweis.
- Er argumentierte, dass der Betrieb, in dem er arbeiten wollte, die Kriterien eines Spezialitätenrestaurants erfüllt, da er sich ausschließlich auf landestypische türkische Süßspeisen konzentriert.
- Ergänzend legte er betriebsspezifische Unterlagen, Fotos der Einrichtung sowie aktualisierte Arbeitsverträge vor, um die Qualität und Authentizität des Betriebs zu untermauern.
- Position der Beklagten (Generalkonsulat):
- Die Behörde argumentierte, dass der Betrieb nicht den Charakter eines Spezialitätenrestaurants aufweise. Es handle sich eher um eine Bäckerei oder Konditorei.
- Zudem verwies sie auf fehlende Anerkennung der Berufsausbildung des Klägers nach deutschen Standards.
- Position der Beigeladenen (Bundesagentur für Arbeit):
- Die Bundesagentur für Arbeit stellte in Frage, ob die Tätigkeit des Klägers als Spezialitätenkoch und der Betrieb als Spezialitätenrestaurant einzustufen seien.
- Sie betonte, dass der Begriff des Spezialitätenrestaurants ein gehobenes gastronomisches Niveau voraussetze, was hier nicht erfüllt sei.
3. Entscheidung des Gerichts: Klarheit über die Begriffe
Das Gericht entschied, dass die Ablehnung des Visumantrags rechtswidrig war und der Kläger Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Neubescheidung habe. Es stellte klar, dass sowohl der Betrieb als auch die Tätigkeit des Klägers die Kriterien der relevanten Regelungen erfüllen.
- Spezialitätenrestaurant: Nach Ansicht des Gerichts handelt es sich um ein Restaurant, dessen Angebot zu mindestens 90 % aus landestypischen Spezialitäten besteht. Der Betrieb in Berlin erfüllt diese Voraussetzung, da er ausschließlich türkische Süßspeisen wie Baklava und Kadayif anbietet.
- Spezialitätenkoch: Der Kläger wird als Spezialitätenkoch anerkannt, da er über mehr als zehn Jahre Berufserfahrung und einen Meisterbrief verfügt. Diese Qualifikationen genügen, um die für die Herstellung von Baklava erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten nachzuweisen.
4. Rechtliche Grundlagen: Kriterien für die Visumserteilung
Das Gericht analysierte die relevanten Vorschriften umfassend:
- § 19c Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 11 Abs. 2 BeschV:
- Spezialitätenköche können ein Visum erhalten, wenn sie in einem Spezialitätenrestaurant tätig werden und die Bundesagentur für Arbeit zustimmt.
- Im vorliegenden Fall wurde die Zustimmung der Bundesagentur ersetzt, da die Voraussetzungen für die Tätigkeit erfüllt waren.
- § 18a AufenthG:
- Die Regelung für Fachkräfte mit Berufsausbildung wurde hier nicht angewendet, da der Kläger keine deutsche Anerkennung seiner Berufsausbildung vorweisen konnte.
- Vorrangprüfung (§ 39 Abs. 3 AufenthG):
- Die Bundesagentur konnte nicht nachweisen, dass bevorrechtigte Arbeitnehmer für die Position zur Verfügung stehen. Die Vorrangprüfung fiel somit zugunsten des Klägers aus.
- Ermessensspielraum:
- Das Gericht betonte, dass die Behörden bei Vorliegen aller Voraussetzungen verpflichtet sind, den Antrag sorgfältig und ohne Ermessensfehler zu prüfen.
5. Bedeutung für die Praxis
Das Urteil ist von großer Bedeutung für die Gastronomiebranche und ausländische Fachkräfte:
- Für Gastronomiebetriebe:
- Das Urteil stellt klar, dass auch spezialisierte Betriebe, die nur einen kleinen Ausschnitt der Landesküche anbieten, als Spezialitätenrestaurant anerkannt werden können.
- Betriebe sollten ihre Konzepte, Speisekarten und Qualifikationen potenzieller Fachkräfte sorgfältig dokumentieren, um die behördlichen Anforderungen zu erfüllen.
- Für ausländische Fachkräfte:
- Das Urteil zeigt, dass langjährige Berufserfahrung und landestypische Qualifikationen, wie ein Meisterbrief, ausreichen können, um als Spezialitätenkoch anerkannt zu werden.
- Es verdeutlicht zudem, dass auch ohne deutsche Berufsanerkennung Chancen auf eine Visumerteilung bestehen.
- Für Behörden:
- Das Urteil unterstreicht die Bedeutung einer genauen Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen wie „Spezialitätenkoch“ und „Spezialitätenrestaurant“.
- Es fordert eine ausgewogene Ermessensausübung und kritisiert eine zu restriktive Haltung.
6. Auswirkungen auf die Anerkennung von Fachkräften
Das Urteil stärkt die Rechte von Fachkräften und Arbeitgebern. Besonders im Kontext des Fachkräftemangels in der Gastronomiebranche ist die Entscheidung wegweisend. Es zeigt, dass die Gerichte bereit sind, strikte und praxisferne Auslegungen durch die Behörden zu korrigieren. Dies könnte dazu führen, dass zukünftig mehr Betriebe erfolgreich ausländische Fachkräfte einstellen können.
Quelle: Verwaltungsgericht Berlin
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