Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, 23.10.2018, 7 A 10866/18 (Vorinstanz: VG Koblenz, 18.06.2018, Az: 3 K 26/18.KO)
Die Ausweisung stellt ein Verwaltungsakt dar, mit dem eine Ausländerbehörde einen Aufenthaltstitel zum Erlöschen bringen und gleichzeitig ein Verbot zur Erteilung eines neuen Aufenthaltstitels verhängen kann. Hierdurch wird der Adressat ausreisepflichtig. Ausweisungsrecht ist in den §§ 53 ff. AufenthG geregelt, wobei nach neuem Recht für eine Ausweisung ein sog. Ausweisungsinteresse vorausgesetzt wird. Gem. § 52 Absatz 1 AufenthG ist ein Ausländer, „dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet“, auszuweisen, „wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt“. Demzufolge wird vorausgesetzt, dass das sog. Ausweisungsinteresse (vgl. § 54 AufenthG) das sog. Bleibeinteresse (vgl. § 55 AufenthG) insgesamt überwiegt.
Eine Begründung einer Ausweisung kann die generalpräventive Erwägung darstellen, welche nach dem § 53 AufenthG auch dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers entspreche. Gem. § 53 Absatz 1 AufenthG muss die Gefahr nicht direkt von dem Ausländer selbst ausgehen müssen, diese kann auch aus seinem Aufenthalt erfolgen. Allerdings muss das Ausweisungsinteresse noch aktuell, d.h. zum Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung noch vorhanden sein.
Sachverhalt des gerichtlichen Falles:
Der Kläger war wegen schweren sexuellen Missbrauchs verurteilt worden.
Der Kläger in diesem Fall hatte einen schweren sexuellen Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person in Tateinheit mit Aussetzung begangen. Daraufhin wurde er von der beklagten Ausländerbehörde ausgewiesen. Gegen diese Ausweisung erhob der Kläger Klage, das erstinstanzlich angerufene Verwaltungsgericht Koblenz bestätigte jedoch die Entscheidung der beklagten Ausländerbehörde.
Nachdem die Ausländerbehörde ihn ausgewiesen hatte und das Gericht diese Entscheidung bestätigt hatte, legte der Kläger Berufung ein.
Gegen diese Entscheidung richtete sich die Berufung des Klägers vor dem Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz.
Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz
Das OVG Rheinland-Pfalz entschied nun, dass der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 18. Juni 2018 abgelehnt wird. Das Vorbringen des Klägers rechtfertige nicht die Zulassung der gewünschten Berufung. Die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel (vgl. § 124 Absatz 2 Nr. 1 VwGO), der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten (vgl. § 124 Absatz 2 Nr. 2 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung (vgl. § 124 Absatz 2 Nr. 3 VwGO) lägen nicht vor.
Kläger verwirklicht besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse
Das Verwaltungsgericht habe die gegen die am 2. Juni 2017 verfügte Ausweisung des Klägers und auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtete Klage zu Recht abgewiesen. Aufgrund der vom Kläger am 15. Februar 2012 verübten Straftat (schwerer sexueller Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person in Tateinheit mit Aussetzung) wurde zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse angenommen, dem kein gleichwertiges Bleibeinteresse entgegenstehe. Ferner habe das Verwaltungsgericht nachvollziehbar dargelegt, dass unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände das Interesse an der Ausweisung des Klägers aus generalpräventiven Gesichtspunkten überwiege.
Der Kläger behauptete, das Verwaltungsgericht habe sein Alter zur Tatzeit, das Fehlen einer „kriminellen Karriere“ und seinen Verzicht auf vorzeitige Haftentlassung zur Durchführung einer Sozialtherapie nicht ausreichend gewürdigt. Das Verwaltungsgericht konnte jedoch überzeugend darlegen, dass alle vom Kläger genannten Kriterien berücksichtigt wurden (Urteil des Landgerichts Mainz vom 16. Dezember 2013 (3111 Js 4733/12.jug – 1 KLs –)).
Ausweisung durch generalpräventive Gesichtspunkte gerechtfertigt
Auch nach dem seit dem 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht können generalpräventive Gesichtspunkte eine Ausweisung rechtfertigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2018 – 1 C 16/17 –, juris, LS 1; Urteil des Senats vom 5. April 2018 – 7 A 11529/17.OVG, juris, LS 1). Bei der Prüfung, ob der Aufenthalt des Betroffenen die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitlich demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, kommt es darauf an, dass die Ausweisung eine angemessene generalpräventive Wirkung erwarten lässt. Dies kann bejaht werden, sobald damit gerechnet werden kann, dass sich andere Ausländer aufgrund einer kontinuierlichen Ausweisungspraxis ordnungsgemäß verhalten. Behörden und Gerichte dürfen davon ausgehen, dass eine aus Anlass einer strafgerichtlichen Verurteilung verfügte Ausweisung zur Verwirklichung dieses Zwecks geeignet ist. Erforderlich ist, dass es Ausländer gibt, die sich in einer mit dem Betroffenen vergleichbaren Situation befinden und sich durch dessen Ausweisung von gleichen oder ähnlichen strafbaren Handlungen abhalten lassen (vgl. Urteil des Senats vom 5. April 2018 – 7 A 11529/17.OVG –, juris, Rn. 44, m.w.N.).
Man kann von einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, selbst wenn bei einem straffälligen Ausländer keine (Wiederholungs-)Gefahr besteht, wenn im Fall des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer nicht davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2018 – 1 C 16/17 –, juris, Rn. 16). Vorliegend wurde zu Recht aufgrund der Schwere der Straftaten und der Motivation für diese angenommen, dass die Ausweisung des Klägers geeignet ist, Ausländer, die aus einem Kulturkreis stammen, der nicht der Gleichberechtigung von Mann und Frau verpflichtet ist, von der Begehung von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung abzuschrecken.
Es ist Aufgabe des Rechts der Gefahrenabwehr – und damit des Ausweisungsrechts nach dem Aufenthaltsgesetz –, zu verhindern, dass eine solche, nicht an der Gleichberechtigung von Mann und Frau ausgerichtete Vorstellung Ausländer, die sich nicht an den Wertvorstellungen des Grundgesetzes orientieren, zu Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung verleitet. Die besondere Brutalität der Tat ergibt sich aus den Feststellungen im rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Mainz vom 16. Dezember 2013. Aus diesem Grund liegt beim Kläger ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Absatz 1 Nr. 1, 1a AufenthG vor, da er bereits wegen dieser Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren, also mehr als zwei Jahren, verurteilt worden ist. Angesichts des hohen Rangs der durch die Tat am 15. Februar 2012 verletzten Rechtsgüter – Leib, Leben und sexuelle Selbstbestimmung – und mit Rücksicht auf das Ausmaß und die Folgen der Rechtsgutverletzungen – lebenslange seelische und körperliche Beeinträchtigungen des Opfers – sind an die Annahme einer Wiederholungsgefahr keine hohen Anforderungen zu stellen. Allerdings kann allein die entfernte Möglichkeit einer erneuten Rechtsgutverletzung keine Wiederholungsgefahr begründen; vielmehr muss auch dann, wenn hochrangige Rechtsgüter verletzt wurden, eine Wiederholungsgefahr ernsthaft zu besorgen sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 2012 – 1 C 13.11 –, juris, Rn. 18; Beschluss des Senats vom 14. März 2017 – 7 B 11061/16.OVG – ESOVGRP, Rn. 11). Im Fall des Klägers sprechen maßgebliche Gesichtspunkte für eine Wiederholungsgefahr.
Somit ist die Ausweisung des Klägers zur Verhinderung schwerer Straftaten erforderlich, indem einer Vielzahl von jungen Männern verdeutlicht wird, dass der deutsche Staat nicht nur Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung bestraft, sondern auch aufenthaltsbeendende Maßnahmen ergreift. Außerdem wird auch der früheren Clique des Klägers verdeutlicht, dass der Staat präventive Maßnahmen zum Schutz der Frauen ergreift, dass man dieser nicht mit einer frauenverachtenden Einstellung entgegentreten kann und dass Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung nicht nur straf-, sondern auch aufenthaltsrechtliche Konsequenzen haben. Umgekehrt würde das Anliegen des Staates, das sexuelle Selbstbestimmungsrecht zu schützen, beeinträchtigt, wenn der Kläger trotz der schwerwiegenden und langwierigen Folgen seiner Tat für das Opfer weiter in Deutschland bleiben dürfte.
Quelle: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
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