Ausländerrecht: Die Sicherung des Lebensunterhalts bei Erteilung einer Niederlassungserlaubnis

OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 20.01.2021, Az.: 2 L 102/19

Eine Möglichkeit, sich in Deutschland niederlassen zu können ist durch den Erwerb einer Niederlassungserlaubnis. Diese ist  an gewisse Voraussetzungen geknüpft, wie zum Beispiel den vorherigen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder aber die Zahlung von Pflichtbeiträgen in die gesetzliche Rentenversicherung für 60 Monate.

Eine weitere Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels (egal ob Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis) ist die Sicherung des Lebensunterhalts. Dies ist in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG geregelt, welcher die allgemeinen Voraussetzungen der Erteilung eines Aufenthaltstitels regelt.

Hinsichtlich der Sicherung des Lebensunterhalts wird aber auch Rücksicht auf diejenigen genommen, welche diese Voraussetzung krankheitsbedingt nicht erfüllen können. Davon kann zum Beipiel abgesehen werden, wenn man dies auf Grund einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit nicht erfüllen kann. Dasselbe gilt für die Zahlung der Rentenversicherungspflichtbeiträge.

Im vorliegenden Fall wurde einer Klägerin auf Grund ihrer krankheitsbedingten Erwerbsunfähigkeit trotz fehlender Pflichtbeitragszahlung eine Niederlassungserlaubnis erteilt. Nach Berufung durch die Ausländerbehörde aber wurde dieses Urteil geändert, da die Krankheit der Klägerin diese, zumindest in den ersten 7 Jahren ihres rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland, nicht daran gehindert hatte, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen.

Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens:

Kosovarische Klägerin erhielt wiederholt Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen

Die 1961 geborene Klägerin, Staatsangehörige des Kosovo, reiste gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren drei Kindern am 13. Dezember 1999 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Asylanträge der Familie wurden vom BAMF mit Bescheid vom 14. Mai 2002 abgelehnt. Auf die dagegen erhobene Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht Magdeburg die Bundesrepublik Deutschland mit Urteil vom 2. Juli 2003, festzustellen, dass beim Ehemann der Klägerin die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG vorliegen; im Übrigen blieb die Klage erfolglos. Ab dem 26. Januar 2006 wurde die Abschiebung der Klägerin ausgesetzt. Eine Erwerbstätigkeit wurde ihr zunächst nicht gestattet, später, ab dem 23. Januar 2007, mit Erlaubnis der Ausländerbehörde, und dann erneut nicht gestattet. Zwischen 2008 und 2011 wurde der Klägerin wiederholt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, zuletzt am 7. März 2014, befristet nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG bis zum 7. März 2015. Diese Aufenthaltserlaubnis wurde in der Folgezeit mehrfach verlängert. Sämtliche Aufenthaltserlaubnisse sowie die zwischenzeitlich ausgestellten Fiktionsbescheinigungen nach § 81 Abs. 5 AufenthG enthielten jeweils die Nebenbestimmung, dass die Erwerbstätigkeit gestattet war.

Antrag auf Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG abgelehnt

Den von der Klägerin am 18. April 2016 gestellten Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16. Februar 2018 ab, weil der Lebensunterhalt der Klägerin nicht gesichert war (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Von der Erfüllung dieser Voraussetzung konnte nicht nach § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG abgesehen werden. Ein Gutachten des Jobcenters ergab, dass die Klägerin täglich weniger als drei Stunden und wöchentlich weniger als 15 Stunden arbeitsfähig war und diese geminderte Leistungsfähigkeit laut sozialmedizinischem Gutachten voraussichtlich bis zu sechs Monate andauern würde.

Nach Einholung eines Gutachtens wurde die Klägerin als eingeschränkt erwerbsfähig angesehen

Trotz dieser Einschätzung wurde die Klägerin weiterhin als erwerbsfähig betrachtet, wenn auch mit Einschränkungen. Das Gutachten zeigte zudem auf, dass durch medizinische Reha-Maßnahmen eine ausreichende Leistungsfähigkeit wiederhergestellt werden könnte. Eine deutliche Gewichtsreduktion würde ebenfalls eine positive Auswirkung auf die gesundheitliche Situation haben. Ferner hatte die Klägerin laut Versicherungsverlauf der Deutschen Rentenversicherung keine 60 Monate Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AufenthG). Der Ausnahmetatbestand des § 9 Abs. 6 Satz 2 AufenthG war auch insoweit nicht gegeben. Es könne nicht im Sinne des Gesetzgebers sein, einen fast zehnjährigen Bezug öffentlicher Mittel und die Nichtleistung von Pflichtbeiträgen zur Rentenversicherung mit einer Niederlassungserlaubnis zu belohnen.

Den dagegen erhobenen Widerspruch wies das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt mit Widerspruchsbescheid vom 8. Oktober 2018 zurück.

Gegen die Ablehnung reichte die Klägerin Klage beim Verwaltungsgericht ein

Am 6. November 2018 erhob die Klägerin Klage und führte zur Begründung unter anderem aus: Die vorgelegten fachärztlichen Atteste und Bescheinigungen belegten, dass sie aus gesundheitlichen Gründen unverschuldet an der Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit gehindert war. Die Atteste wiesen auf eine schwere Rheumaerkrankung hin und bestätigten den hohen Schweregrad der Erkrankung. Ein weiteres Attest belegte zudem einen behandlungsbedürftigen Bandscheibenvorfall. Zwischenzeitlich stellte die Bundesagentur für Arbeit in einem sozialmedizinischen Gutachten vom 6. Oktober 2017 fest, dass die Klägerin nicht arbeitsfähig und somit auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar sei. Das Gutachten sprach von schweren Funktionsstörungen des Nervensystems sowie des Stütz- und Bewegungssystems. Ein weiteres Attest der H-Fachklinik bestätigte ein umfangreiches und multiples Krankheitsbild.

Die Klägerin beantragte, den Bescheid der Beklagten vom 16. Februar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesverwaltungsamts Sachsen-Anhalt vom 8. Oktober 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, nach Rechtsauffassung des Gerichts den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis neu zu bescheiden.

Verwaltungsgericht verurteilt die Ausländerbehörde zur Erteilung der Niederlassungserlaubnis

Das Verwaltungsgericht verpflichtete die Beklagte mit dem angefochtenen Urteil, der Klägerin die begehrte Niederlassungserlaubnis zu erteilen. Das Gericht stellte fest, dass die Klägerin die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 sowie Nr. 4 bis 9 AufenthG erfülle, was sich aus den Verwaltungsunterlagen ergebe und von der Beklagten nicht bestritten wurde. Von den Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AufenthG, die die Klägerin unstreitig nicht erfülle, sei nach § 9 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 AufenthG abzusehen. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen dieses Ausnahmetatbestandes sei die Zuerkennung der Niederlassungserlaubnis. Die Krankheit oder Behinderung der Klägerin hindere sie auf nicht absehbare Zeit, jedenfalls länger als sechs Monate, an der Erfüllung der Integrationsvoraussetzung der eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts sowie der weiteren Erbringung von Pflichtbeiträgen zur Rentenversicherung. Dies ergebe sich aus den zahlreichen ärztlichen Stellungnahmen. Die letzten sozialmedizinischen Gutachten durch die Bundesagentur für Arbeit hätten mittlerweile für fast zwei Jahre fortlaufend eine Einschränkung von voraussichtlich unter sechs Monaten festgestellt. Das der Beklagten nach § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG eröffnete Ermessen sei auf Null reduziert. Es seien auch keine Gesichtspunkte ersichtlich, die gegen einen verfestigten Aufenthalt der Klägerin in Deutschland sprechen könnten.

Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt: Berufungsgericht entscheidet, dass die Klägerin keine Niederlassungserlaubnis erhält

Die beim OVG Sachsen-Anhalt eingereichte Berufung hatte Erfolg. Der Senat entschied über die Berufung der Beklagten ohne mündliche Verhandlung, da er die Berufung einstimmig für begründet hielt und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hielt.

Die zulässige Berufung der Beklagten war begründet.

Das Verwaltungsgericht hatte die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, der Klägerin die begehrte Niederlassungserlaubnis zu erteilen. Die Klägerin hatte weder einen Anspruch auf die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) noch auf die Neubescheidung ihres Erlaubnisantrages (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Lebensunterhalt der Klägerin war nicht gesichert

Die Klägerin konnte ihren Lebensunterhalt nicht eigenständig sichern, da sie und ihr Ehemann nachweislich Leistungen nach dem SGB II bezogen und keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass sie eine dauerhafte Erwerbstätigkeit aufgenommen hätten oder dies in Zukunft tun würden.

Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung wurden nicht ausreichend geleistet

Auch hatte die Klägerin keine 60 Monate Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung erbracht, wie es § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AufenthG fordert. Selbst wenn die von der Arbeitsverwaltung und dem Arbeitgeber geleisteten Beiträge als ausreichend angesehen würden, wären nur 56 Monate Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet worden.

Keine Berücksichtigung der Krankheit als Ausnahmetatbestand

Die Ausnahmeregelung des § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG kam nicht zur Anwendung, da die Krankheit der Klägerin nicht ursächlich für das Nichtleisten der Pflichtbeiträge war. Es war nicht ersichtlich, dass die Klägerin vor dem maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über den Erlaubnisantrag aufgrund ihrer Erkrankung gehindert war, eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit aufzunehmen.

Fazit

Das Berufungsgericht entschied, dass der Klägerin keine Niederlassungserlaubnis zusteht, da die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AufenthG nicht erfüllt waren und die Ausnahmevorschriften nicht griffen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts wurde entsprechend aufgehoben, und die Klage der Klägerin abgewiesen.

Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

Wenn Sie rechtliche Beratung benötigen, rufen Sie uns unverbindlich unter der Rufnummer 0221 – 80187670 an oder schicken uns eine Email an info@mth-partner.de

Rechtsanwälte in Köln beraten und vertreten Mandanten bundesweit im Ausländerrecht

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert