Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 29.01.2014, Az.: 19 L 278.13 V
Bereits seit Jahren ist insbesondere im Ausländerrecht die Tendenz zu beobachten, dass die gerichtlichen Verfahren, in denen die ausländerrechtlichen Entscheidungen der Ausländerbehörden oder Botschaften überprüft werden, immer länger dauern.
Dies kann, wenn Eile geboten ist, zu erheblichen Nachteilen für Ausländer führen. Um in solchen Fällen einen schnellen Rechtsschutz zu gewährleisten, hat der Ausländer die Möglichkeit, im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes in einem Eilverfahren seine Rechte vor Gericht zu sichern. Diese Verfahren werden Eilrechtsschutzverfahren oder Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes genannt.
Einstweiliger Rechtsschutz unterscheidet sich von normalen Klageverfahren dadurch, dass im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes eine schnelle Entscheidung aufgrund einer nur summarischen Prüfung getroffen wird. Somit können an die Beweisführung nicht dieselben Anforderungen gestellt werden wie im Hauptsacheverfahren. In diesen Verfahren spielt daher auch die eidesstattliche Versicherung eine große Rolle.
Der Eilantrag ist immer dann begründet, wenn es dem Antragsteller gelingt, die Eilbedürftigkeit und den eigentlichen Anspruch, den er zu erhalten versucht, dem Gericht ausreichend glaubhaft zu machen.
In dem hier vorgestellten Fall handelt es sich um ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Verwaltungsgericht Berlin. In diesem Verfahren stellte die aus dem Kosovo stammende Ehefrau den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, um zu ihrem deutschen Ehemann nach Deutschland einreisen zu können.
Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens:
Ehefrau aus dem Kosovo möchte zu ihrem deutschen Ehemann nach Deutschland
Die 1988 geborene kosovarische Antragstellerin begehrte die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug zu ihrem im Bundesgebiet lebenden deutschen Ehemann.
Dazu hatte die Antragstellerin die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug bei der Deutschen Botschaft in Pristina beantragt. Nachdem die Ausländerbehörde ihre Zustimmung zur Visumserteilung verweigert hatte, lehnte die Botschaft den Visumsantrag mit der Begründung ab, die Antragstellerin habe die erforderlichen Deutschkenntnisse nicht nachgewiesen.
Ehefrau hat keine einfachen Deutschkenntnisse – stellt dennoch Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz
Hiergegen reichte die Antragstellerin zunächst Klage ein und stellte dann auch einen Eilantrag auf Erteilung des Visums zum Ehegattennachzug.
Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin:
Ehefrau hat es nicht geschafft, Anordnungsanspruch und -grund glaubhaft zu machen
Das Verwaltungsgericht Berlin entschied, dass die Antragstellerin weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht habe.
Nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO könne das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheine.
Mit der von der Antragstellerin begehrten Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Erteilung eines Visums würde die Entscheidung im Hauptsacheverfahren zumindest teilweise vorweggenommen. Eine stattgebende Entscheidung komme in derartigen Fällen im Hinblick auf das grundsätzliche Verbot einer die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmenden einstweiligen Anordnung nur ausnahmsweise mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) in Betracht, wenn nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren anzustellenden, regelmäßig nur erforderlichen summarischen Prüfung ein Obsiegen in der Hauptsache mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei und dem Rechtsschutzsuchenden bei Versagung der begehrten Anordnung schwere und unzumutbare Nachteile entstehen würden, die nachträglich durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten.
Die Antragstellerin bedürfe nach § 4 Abs. 1 AufenthG eines Aufenthaltstitels. Für den von ihr angestrebten dauerhaften Aufenthalt im Bundesgebiet sei ein vor der Einreise zu erteilendes Visum nach § 6 Abs. 3 AufenthG erforderlich. Die Erteilung dieses Visums richte sich nach den für die Aufenthalts- und Niederlassungserlaubnis geltenden Vorschriften (§ 6 Abs. 3 S. 2 AufenthG).
Rechtsgrundlage für die Erteilung des Visums zum Zwecke des Nachzugs der Antragstellerin zu ihrem im Bundesgebiet lebenden deutschen Ehemann sei § 27 in Verbindung mit §§ 28, 5 AufenthG. Die nach diesen Vorschriften erforderlichen Voraussetzungen erfülle die Antragstellerin nicht vollständig.
Für den Anordnungsanspruch fehlt es an den erforderlichen einfachen Deutschkenntnissen
Gemäß § 28 Abs. 1 S. 5 AufenthG sei § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AufenthG – wonach dem Ehegatten eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen sei, wenn er sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen könne – entsprechend auf Ehegatten eines Deutschen anzuwenden. Die Antragstellerin habe die danach erforderlichen einfachen deutschen Sprachkenntnisse (§ 2 Abs. 9 AufenthG) unstreitig nicht.
Die Antragstellerin könne sich nicht mit Erfolg auf § 28 Abs. 1 S. 5 AufenthG in Verbindung mit § 30 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 AufenthG berufen. Nach diesen Vorschriften sei zwar das Spracherfordernis für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis unbeachtlich, wenn der Ehegatte wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage sei, einfache Kenntnisse der deutschen Sprache nachzuweisen, aber die Antragstellerin habe die Voraussetzungen für eine Unbeachtlichkeit ihrer fehlenden Sprachkenntnisse nicht glaubhaft gemacht.
Die vorgelegten Atteste reichen zur Glaubhaftmachung der Ausnahme vom Erfordernis der Sprachkenntnisse nicht aus
Die von der Antragstellerin vorgelegten ärztlichen Atteste würden schon keine körperliche, geistige oder seelische Krankheit oder Behinderung belegen. In dem Attest der Universität des Kosovo, Psychiatrische Klinik, welches der Antragstellervertreter für unbrauchbar hält, werde in der eingereichten Übersetzung u.a. ausgeführt:
„Es kann keine körperliche und geistige Störung festgestellt werden.“
In dem Aufnahmeattest der Klinik für Hals, Nase und Ohren der Universität des Kosovo stehe in der eingereichten Übersetzung, die Antragstellerin habe erhebliche Störungen in der verbalen Kommunikation, die aufgrund ihres Gesundheitszustands unverbesserlich und endgültig seien. Die Antragstellerin werde zu einem Psychologen überwiesen.
In dem Attest der Klinik für Neurologie der Universität des Kosovo stehe in der eingereichten Übersetzung Folgendes:
„Der Kontakt mit der Patientin wird leicht aufgenommen und nur mit Mühe aufrechterhalten (die Patientin hat Verbalisierungsschwierigkeiten). Bei der psychologischen Bewertung sind mnestische Funktionsstörungen bemerkbar, d.h. schlechte Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Konzentration, es gibt Anzeichen für Vergesslichkeit. Eine emotionale Labilität ist zu beobachten. Im Bender-Gestalt-Test zeigt sie während der Reproduktion von Figuren eine motorische Unkoordination, jedoch sind keine Anzeichen der pathologischen Produktion zu beobachten.“
Abgesehen davon, dass eine körperliche, geistige oder seelische Krankheit oder Behinderung, aufgrund derer die Antragstellerin einfache deutsche Sprachkenntnisse nicht erwerben könne, danach nicht glaubhaft gemacht sei, widerspreche die vorgelegte Bescheinigung des „Zentrums für die deutsche Sprache D…“ dem Vortrag der Antragstellerin, sie könne aus gesundheitlichen Gründen die Sprachkenntnisse nicht erlangen. In der eingereichten Übersetzung dieser Bescheinigung sei ausgeführt:
„Als ihr Deutschlehrer konnte und kann ich aber nicht versprechen, dass ich sie für die Prüfung A1 vorbereiten kann, wegen der oben erwähnten Hindernisse. Jedoch hat Frau Ze… bis jetzt im Deutschkurs die wichtigsten Sachen des alltäglichen Lebens gelernt, wie: über sich selbst zu erzählen; sie kann über ihren Mann sprechen, wo er lebt, wohnt und was er macht; über die Familie, Wetter, Uhrzeit und so weiter.“
Ehefrau hat auch nicht nachweisen können, dass sie sich über ein Jahr vergeblich um Spracherwerb bemüht habe
Die Berufung der Antragstellerin auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 4. September 2012 – 10 C 12/12 – juris, Rn. 28 ff.), wonach die verfassungskonforme Auslegung des § 28 Abs. 1 S. 5 AufenthG gebiete, vom Spracherfordernis vor der Einreise abzusehen, wenn Bemühungen um den Spracherwerb im Einzelfall nicht möglich, nicht zumutbar oder innerhalb eines Jahres nicht erfolgreich seien, führe nicht zur Annahme eines Anordnungsanspruchs.
Die Antragstellerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass ihr der Spracherwerb unmöglich oder unzumutbar sei oder ihre Bemühungen innerhalb eines Jahres nicht erfolgreich gewesen seien.
Wie bereits zuvor ausgeführt, würden die ärztlichen Atteste nicht belegen, dass der Antragstellerin der Spracherwerb aus gesundheitlichen Gründen unmöglich sei. Andere Gründe, die eine Unzumutbarkeit oder eine Unmöglichkeit des Spracherwerbs begründen, seien weder vorgetragen noch ersichtlich.
Hinreichende Bemühungen der Antragstellerin, einfache deutsche Sprachkenntnisse innerhalb eines Jahres zu erwerben, seien nicht glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin trage zwar unter Vorlage von zwei Bescheinigungen vor, sie habe im Zeitraum von März 2012 bis Juni 2012 an einem Deutschkurs teilgenommen und besuche seit Oktober 2012 einen weiteren Deutschkurs, dies genüge jedoch nicht zur Glaubhaftmachung. Die Bescheinigung für den ersten Deutschkurs enthalte kein Ausstellungsdatum. Ferner sei nicht ersichtlich, in welcher Einrichtung der Kurs mit welchem Ergebnis absolviert worden sein soll und ob er den Bedürfnissen der Antragstellerin, die erstmals eine Fremdsprache erlernte, entsprochen habe. Auch die Bescheinigung für den zweiten Deutschkurs beim „Zentrum für die deutsche Sprache D…“ enthalte kein Ausstellungsdatum. Dem von der Antragsgegnerin vorgebrachten Einwand, ihr sei die Sprachschule nicht bekannt, sei die Antragstellerin nicht entgegengetreten. Schließlich sei nicht erkennbar, in welchem zeitlichen Umfang und mit welchem Engagement die Antragstellerin an dem Kurs teilgenommen habe und ob sie dies noch immer tue.
Auch habe die Ehefrau die Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) nicht glaubhaft machen können.
Die Antragstellerin habe auch einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Sie habe schon nicht dargelegt, dass ihr bei Versagung der begehrten Anordnung schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, die nachträglich durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten.
Zwar sei der Antragstellerin während der Dauer des anhängigen Hauptsacheverfahrens ein Zusammenleben mit ihrem deutschen Ehemann im Bundesgebiet nicht möglich, aber die Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft sei auch derzeit nicht ausgeschlossen. Es sei schon nicht ersichtlich, dass es der Antragstellerin und ihrem aus dem Kosovo stammenden deutschen Ehemann, der im Kosovo lebende Verwandte hat, im Bundesgebiet keiner Erwerbstätigkeit nachgeht und dem Anschein nach keine anderen Verpflichtungen habe, nicht zumutbar und möglich wäre, die eheliche Lebensgemeinschaft für die Dauer des Klageverfahrens in Form längerer Besuchsaufenthalte des Ehemannes im Kosovo zu führen.
Quelle: Verwaltungsgericht Berlin
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