Verwaltungsgericht München, 08.02.2016, Az.: 24 K 15.31419
Zuständig für Entscheidungen im Asylverfahren ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Wenn die Bearbeitungszeit des Asylantrages bereits eine erhebliche Zeit in Anspruch genommen hat, stellt sich die Frage, welche Maßnahmen der Asylbewerber vornehmen kann, um zu einer schnelleren Entscheidung zu gelangen. Diese Maßnahmen sind in § 75 VwGO festgelegt, welcher die Untätigkeitsklage regelt:
§ 75 VwGO:
Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, dass über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus. Wird dem Widerspruch innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist stattgegeben oder der Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.
Der Antrag auf Asyl ist ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes, so dass § 75 VwGO im Asylverfahren anwendbar ist. Bei der Untätigkeitsklage handelt es sich nicht um eine eigenständige Klageart, sondern um eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage besonderer Art, die bereits dann erhoben werden kann, wenn der Verwaltungsakt noch nicht ergangen ist.
Gemäß § 75 Satz 2 VwGO kann eine solche Untätigkeitsklage allerdings erst nach Ablauf von drei Monaten seit dem Antrag eingereicht werden, ansonsten ist die Klage unzulässig, es sei denn, dass wegen besonderer Umstände (etwa: besondere Hilfebedürftigkeit, existenzsichernde Sachverhalte, etc.) im Sinne des § 75 Satz 2 2. Halbsatz VwGO eine kürzere Frist geboten ist.
Beim Asylverfahren muss darüber hinaus beachtet werden, dass der Zeitpunkt ab dem die Dreimonatsfrist zu laufen beginnt, nicht immer die förmliche Stellung des Asylantrags im Bundesgebiet sein muss. Denn in sehr vielen Fällen, sind Asylsuchende zunächst durch Drittstaaten gereist, so dass dann auf den Zeitpunkt abzustellen ist, in dem der nach der Dublin III-VO zuständige Mitgliedstaat für das Asylverfahren feststeht. Steht dieser also fest, beginnt die Dreimonatsfrist zu laufen.
Im Rahmen der Klage kann sich die Behörde dann noch auf zureichende Gründe für die schleppende Antragsbearbeitung berufen. Solche Gründe im Sinne von § 75 Satz 1, 3 VwGO können etwa der Umfang des Falls oder besondere Schwierigkeiten bei der Sachaufklärung sein, nicht aber eine allgemeine Arbeitsüberlastung.
In dem hier besprochenen Fall ging es um die Zulässigkeit und Begründetheit einer Untätigkeitsklage im Asylverfahren, mit welcher die Kläger (afghanische Asylsuchende) von der Beklagten (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) verlangten, ihr Asylverfahren fortzuführen und binnen einer vom Gericht gesetzten Frist zu entscheiden.
Sachverhalt des Verfahrens – Afghanische Flüchtlinge hatten Asyl beantragt
Im vorliegenden Fall geht es um afghanische Staatsangehörige, die im Dezember 2013 einen Asylantrag in Deutschland stellten. Bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung Ende 2015 war über diesen Antrag noch nicht entschieden worden. Eine Anhörung nach § 25 Asylgesetz (AsylG) war im Verwaltungsverfahren nicht erfolgt, und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hatte kein Dublin-Verfahren eingeleitet. Auch ein Antrag des Rechtsanwalts der Kläger im Februar 2014 auf Mitteilung eines Anhörungstermins blieb unbeantwortet.
Einleitung der Untätigkeitsklage – BAMF ließ sich sehr lange Zeit
Aufgrund der Untätigkeit des BAMF reichten die Kläger im Oktober 2015 eine Untätigkeitsklage beim Verwaltungsgericht München ein. Sie beantragten, das BAMF zu verpflichten, über ihren Asylantrag vom Dezember 2013 zu entscheiden. Das Gericht forderte das BAMF im Dezember 2015 auf, sich zu einem möglichen Grund für die Verzögerung zu äußern. Nachdem das BAMF hierzu keine Stellung nahm, entschied das Gericht, dass das Verfahren nicht nach § 75 Satz 3 VwGO ausgesetzt werden sollte.
Entscheidung des Verwaltungsgerichts München
Das Verwaltungsgericht München befand, dass die Klage zulässig und in der Sache erfolgreich ist. Das Gericht interpretierte den Antrag der Kläger dahingehend, dass sie eine Entscheidung über ihren Asylantrag innerhalb von drei Monaten ab Rechtskraft des Urteils verlangten. Die Zuständigkeit des Gerichts war gegeben, da die Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der Klageerhebung ihren Aufenthalt im Gerichtsbezirk hatten.
Das Gericht stellte außerdem fest, dass die auf eine Entscheidung des BAMF gerichtete Untätigkeitsklage zulässig ist, auch wenn sie nicht auf die Einräumung bestimmter inhaltlicher Positionen abzielt. Nach § 75 VwGO kann eine Untätigkeitsklage auch dann erhoben werden, wenn sie lediglich auf eine Entscheidung in der Sache gerichtet ist.
Unionsrechtliche Überlegungen
Das Gericht argumentierte, dass eine solche Untätigkeitsklage auch unionsrechtlich geboten sei. Sowohl die Asylverfahrensrichtlinie in der alten Fassung (2005/85/EG) als auch in der neuen Fassung (2013/32/EU) gewähren Asylbewerbern ein subjektives Recht auf eine behördliche Entscheidung nach einer persönlichen Anhörung. Dies umfasst auch den Anspruch auf eine gerichtliche Überprüfung der Entscheidung. Das Gericht stellte klar, dass eine Anhörung durch das Gericht in der mündlichen Verhandlung die Anforderungen der Asylverfahrensrichtlinie nicht immer erfüllen kann, insbesondere nicht in Bezug auf die Vertraulichkeit und die Abwesenheit von Familienangehörigen, die im Verwaltungsverfahren vorgesehen sind.
Zulässigkeit der Untätigkeitsklage im Asylrecht
Das Gericht entschied weiter, dass Asylbewerber nicht verpflichtet sind, ihre Untätigkeitsklage auf bestimmte inhaltliche Rechtspositionen zu richten, deren Erledigung eine entsprechende Anhörung in der mündlichen Verhandlung durch das Gericht erfordern könnte. Vielmehr können sie ihre Klage auch auf eine bloße Verpflichtung zur Entscheidung an sich richten, um ihre unionsrechtlichen Verfahrensrechte im Asylverfahren zu wahren.
Das Gericht führte aus, dass § 44a VwGO einer solchen Klage im Anwendungsbereich der Asylverfahrensrichtlinie nicht entgegensteht. Auch § 71a AsylG ändert nichts an dieser unionsrechtlich bedingten Möglichkeit einer auf bloße Entscheidung gerichteten Untätigkeitsklage. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein erfolgloser Abschluss eines Asylverfahrens in einem anderen Dublin-Staat nicht gegeben ist und die Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland angenommen werden muss. Vorliegend ergaben sich keine Hinweise aus den Akten, dass die Kläger Kontakt zu anderen sicheren Drittstaaten hatten.
Begründetheit der Untätigkeitsklage
Das Gericht stellte fest, dass die Klage nach Ablauf der Dreimonatsfrist des § 75 Satz 2 VwGO zulässigerweise erhoben wurde. Die in § 24 Abs. 4 AsylG genannte sechsmonatige Frist bezieht sich nicht auf die Sachurteilsvoraussetzungen im gerichtlichen Verfahren, sondern lediglich auf das Verwaltungsverfahren. Die Untätigkeitsklage war daher begründet, da die Kläger einen Anspruch auf eine Entscheidung über ihren Asylantrag hatten.
Das BAMF hatte keine ausreichenden Gründe dafür vorgetragen, warum das Verwaltungsverfahren noch nicht abgeschlossen war. Auch aus den Akten ergaben sich keine Hinweise auf eine Anhörung oder ein Dublin-Verfahren. Da das BAMF auch nach mehr als 25 Monaten keine Entscheidung getroffen hatte, stellte das Gericht fest, dass die Sache spruchreif im Sinne von § 113 Abs. 5 VwGO sei. Die fehlende Entscheidung des BAMF war daher rechtswidrig und verletzte das subjektive Recht der Kläger auf eine rasche Verfahrensabwicklung.
Ergebnis des Verfahrens – BAMF muss schneller arbeiten
Das Verwaltungsgericht München verpflichtete das BAMF, innerhalb von drei Monaten ab Rechtskraft des Urteils eine Entscheidung über den Asylantrag der Kläger zu treffen. Das Gericht betonte dabei, dass das Interesse der Asylbewerber an einer raschen Entscheidung besonders schützenswert ist, da die Asylverfahrensrichtlinie sicherstellt, dass Asylverfahren so schnell wie möglich abgeschlossen werden müssen.
Die Entscheidung beruht auf der Annahme, dass eine rasche Verfahrensabwicklung im Asylrecht nicht nur im Interesse der Verwaltung, sondern auch der betroffenen Asylbewerber liegt. Das Gericht hob hervor, dass das BAMF verpflichtet ist, die Anhörung der Kläger und die weitere Sachverhaltsaufklärung innerhalb der gesetzten Frist von drei Monaten nachzuholen und eine Entscheidung zu treffen.
Fazit
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts München stellt klar, dass Untätigkeitsklagen im Asylrecht auch dann zulässig sind, wenn sie lediglich auf die Verpflichtung zu einer Entscheidung an sich gerichtet sind. Die Verzögerung des BAMF von mehr als zwei Jahren ohne Anhörung oder Entscheidung wurde als unrechtmäßig eingestuft. Das Urteil stärkt damit die Rechte von Asylbewerbern auf eine zügige Bearbeitung ihrer Anträge und verdeutlicht die Verpflichtung der Verwaltung zur Einhaltung der Verfahrensfristen.
Quelle: Verwaltungsgericht München
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