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Ausländerrecht: Erteilung einer ausländerrechtlichen Fiktionsbescheinigung für Inhaber eines Schengen-Visums.

Verwaltungsgericht Stuttgart, 19.10.2017, Az.: 9 K 6090/15

Gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AufenthG wird ein Aufenthaltstitel als Visum, Aufenthaltserlaubnis, Blaue Karte EU, ICT-Karte, Mobiler-ICT-Karte, Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU erteilt. Ein Aufenthaltstitel wird nach § 81 Abs. 1 AufenthG auf Antrag erteilt. § 81 regelt die Wirkung der Antragsstellung sowohl für Ausländer mit als auch ohne Aufenthaltstitel. Nach § 81 Abs. 3 gilt der Aufenthalt eines Ausländers ohne Aufenthaltstitel als erlaubt, wenn ein Antrag gestellt wurde. § 81 Abs. 4 verlängert den Aufenthaltstitel bis zur Entscheidung der Behörde, jedoch nicht für Schengen-Visa (§ 6 Abs. 1 AufenthG). Schengen-Visa berechtigen nur zum kurzfristigen Aufenthalt. Nach § 81 Abs. 5 AufenthG wird dem Ausländer eine Bescheinigung (Fiktionsbescheinigung) ausgestellt.

Der Fall: Einreise und Aufenthaltsstatus des Klägers

Der Kläger, ein afghanischer Staatsangehöriger, ist seit dem 17. Februar 2015 mit einer afghanischen Staatsangehörigen verheiratet, die im Bundesgebiet als Flüchtling anerkannt ist und hier mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG lebt. Das Paar hat zwei gemeinsame Kinder, die am 6. Februar 2014 und 10. Oktober 2015 in Deutschland geboren wurden. Der Lebensmittelpunkt des Klägers lag ursprünglich in Afghanistan, doch er reiste mehrfach mit Besuchervisa nach Deutschland, um seine Familie zu besuchen. Zuletzt reiste er am 23. November 2015 mit einem von der spanischen Botschaft ausgestellten Schengen-Visum, das bis zum 17. Dezember 2015 gültig war, direkt aus Kabul nach Frankfurt am Main ein.

Bereits am 26. November 2015 beantragte der Kläger, vertreten durch seinen Verfahrensbevollmächtigten, die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 i.V.m. § 29 Abs. 2 S. 1 AufenthG, hilfsweise nach § 36 AufenthG. Darüber hinaus begehrte er eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 3 AufenthG. Er begründete seinen Antrag damit, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet aufgrund der Einreise am 23. November 2015 mit einem gültigen Schengen-Visum rechtmäßig sei.

Reaktion der Ausländerbehörde und geplante Maßnahmen

Die zuständige Ausländerbehörde traf zunächst keine Entscheidung über den Antrag des Klägers, teilte ihm jedoch mit Schreiben vom 11. Dezember 2015 mit, dass sie beabsichtige, das von der spanischen Botschaft ausgestellte Schengen-Visum zu annullieren. Zudem erklärte die Behörde, dass sie die Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, auf Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung sowie auf Zulassung der Ausübung einer Beschäftigung abzulehnen gedenke. Sie wies darauf hin, dass der Kläger unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aus dem Bundesgebiet aufgefordert werden solle.

Die Behörde führte aus, dass sie einem Familiennachzug in der Vergangenheit bereits nicht zugestimmt habe, da die Ehefrau und das Kind des Klägers Leistungen des Jobcenters erhielten. Weiterhin erklärte die Behörde, dass das Visum der spanischen Botschaft gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 zu annullieren sei, da der Kläger gewusst habe, dass er kein Visum zum Familiennachzug erhalten könne. Er habe das Visum durch arglistige Täuschung erlangt, indem er am 23. November 2015 über Frankfurt am Main mit dem Visum der spanischen Botschaft direkt aus Kabul nach Deutschland eingereist sei und erst nach seiner Einreise die auf einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland gerichteten Anträge gestellt habe. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bestehe daher nicht.

Widerspruch und Klage des Klägers

Der Kläger widersprach dieser Darstellung am 15. Dezember 2015 und führte aus, dass das spanische Visum weiterhin gültig sei, da es nicht widerrufen wurde. Zudem sei ihm mehrfach aus geschäftlichen Gründen ein Visum von verschiedenen europäischen Staaten, darunter auch Deutschland, erteilt worden, was es ihm ermöglicht habe, seine Frau und Kinder zu besuchen. Der Kläger argumentierte, dass die Ablehnung seines Antrags der Ehefrau den Ehemann und den Kindern den Vater entziehe, wodurch die Familieneinheit und der Unterhalt der Familie gefährdet seien.

Am 23. Dezember 2015 erhob der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht und beantragte, die Beklagte zu verpflichten, ihm rückwirkend ab dem 27. November 2015 eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 S. 1 AufenthG zu erteilen, die seinen Aufenthalt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt gelten lässt. Zur Begründung führte er an, dass § 81 Abs. 4 AufenthG für Schengen-Visa anderer Mitgliedstaaten nicht anwendbar sei. Da das spanische Visum zu geschäftlichen Zwecken notwendig gewesen sei, komme eine Annullierung nicht in Betracht.

Argumentation der Ausländerbehörde und rechtliche Grundlagen

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und argumentierte, dass die Erteilung einer Fiktionsbescheinigung nicht möglich sei, da der Kläger mit einem spanischen Schengen-Visum eingereist sei. Die Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 4 S. 1 AufenthG gelte gemäß § 81 Abs. 4 S. 2 AufenthG nicht für Schengen-Visa nach § 6 Abs. 1 AufenthG. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bestehe daher nicht, da der Kläger nicht ohne Aufenthaltstitel im Bundesgebiet gewesen sei und somit die Voraussetzungen für die Erteilung einer Fiktionsbescheinigung nicht erfüllt seien.

Gemäß § 81 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 S. 1 AufenthG erhält ein Ausländer eine Fiktionsbescheinigung, wenn er sich im Zeitpunkt seines Antrags rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne bereits einen Aufenthaltstitel zu besitzen. Der Kläger befand sich jedoch zum Zeitpunkt der Antragstellung im Besitz eines Schengen-Visums, das als Aufenthaltstitel im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AufenthG gilt.

Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart

Das Verwaltungsgericht Stuttgart entschied, dass die Klage unbegründet sei. Das Gericht stellte fest, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Fiktionsbescheinigung hat, da er sich im Zeitpunkt der Antragstellung rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt und im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels, in Form eines Schengen-Visums, war. Somit sei der Kläger nicht berechtigt, eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 3 S. 1 AufenthG zu erhalten, da diese nur für Ausländer ohne Aufenthaltstitel vorgesehen sei.

Das Gericht betonte, dass Schengen-Visa gemäß § 81 Abs. 4 S. 2 AufenthG keine Fiktionswirkung entfalten können. Der Gesetzgeber habe ausdrücklich vorgesehen, dass Schengen-Visa, die von anderen Mitgliedstaaten ausgestellt wurden, nicht in den Anwendungsbereich der Fortgeltungsfiktion fallen. Der Kläger könne daher nicht in den Genuss einer Fiktionsbescheinigung kommen, da das Gesetz eine solche Wirkung für Schengen-Visa ausschließt.

Schlussfolgerungen und Ablehnung der Klage

Zusammenfassend stellte das Gericht fest, dass die Regelungen des § 81 Abs. 3 AufenthG auf den Fall des Klägers nicht anwendbar sind, da er im Zeitpunkt der Antragstellung einen Aufenthaltstitel in Form eines Schengen-Visums besaß. Eine analoge Anwendung des § 81 Abs. 3 AufenthG sei ebenfalls nicht möglich, da der Wortlaut der Norm eindeutig sei und Schengen-Visa ausdrücklich von der Fiktionswirkung ausgeschlossen seien. Auch aus europarechtlicher Sicht ergebe sich keine andere Bewertung, da Schengen-Visa keine Fortwirkung über ihren Gültigkeitszeitraum hinaus entfalten könnten.

Die Klage wurde daher als unbegründet abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine rückwirkende Erteilung einer Fiktionsbescheinigung, da er im Zeitpunkt der Antragstellung bereits im Besitz eines Aufenthaltstitels war und die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Fiktionsbescheinigung nicht erfüllt waren.

Quelle: Verwaltungsgericht Stuttgart

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