Ausländerrecht: Klage gegen die Verpflichtung zur Teilnahme an einem Integrationskurs

Verwaltungsgericht Karlsruhe, 10.10.2012, Az.: 4 K 2777/11

Haben Ausländer einen gesetzlichen Anspruch auf einen Aufenthaltstitel, wie zum Beispiel eine Aufenthaltserlaubnis, kann diese Aufenthaltserlaubnis als Verwaltungsakt mit einer Auflage versehen werden.

Eine solche Auflage kann zum Beispiel die Verpflichtung zur Teilnahme an einem Integrationskurs sein. Diese Verpflichtung wird immer dann ausgesprochen, wenn die Ausländerbehörde der Ansicht ist, dass der Ausländer zu wenig Sprachkenntnisse und gesellschaftliche Kenntnisse hat.

Die Rechtsgrundlage für die Verpflichtung zum Integrationskurs findet sich in § 44a Abs. 1 AufenthG, insbesondere in § 44a Abs. 1 Nr. 3 AufenthG. Danach ist ein Ausländer zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet, wenn er in besonderer Weise integrationsbedürftig ist und die Ausländerbehörde ihn zur Teilnahme an einem Integrationskurs auffordert.

Wenn der Ausländer jedoch der Ansicht ist, dass er bereits gut integriert ist und ausreichende Sprachkenntnisse besitzt, um sich in Deutschland zu integrieren, kann diese Auflage auch als sinnlose Belastung empfunden werden. Ein solcher Integrationskurs kann bis zu 700 Stunden dauern und ist neben einer normalen Vollzeitarbeit kaum zu bewältigen. In diesem Fall kann gegen die Verpflichtung zum Integrationskurs Klage eingereicht werden. Dies wurde im folgenden Fall von einer türkischen Ehefrau und Mutter getan:

Sachverhalt des Falles:

Türkische Klägerin wurde zum Integrationskurs verpflichtet

Die Klägerin in diesem Fall war türkische Staatsangehörige und reiste am 23.04.1981 zu ihrem türkischen Ehemann in die Bundesrepublik ein. Die Eheleute hatten sechs Kinder, die alle die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen. Der Ehemann führte seit 1992 selbstständig einen Lebensmittelladen. Bis zu einer schweren Erkrankung im Jahr 2007 hatte die Klägerin im Lebensmittelladen durch Putzen und Aufräumen mitgeholfen und den Haushalt geführt. Die Klägerin besaß eine Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG, befristet bis zum 11.11.2012.

Mit Schreiben vom 10.11.2010 teilte das Landratsamt Karlsruhe der Klägerin mit, dass bei ihrer persönlichen Vorsprache am 10.11.2010 festgestellt worden sei, dass sie sich nicht auf einfache Art in der deutschen Sprache verständigen könne. Daher sei beabsichtigt, sie gemäß § 44a Abs. 1 Nr. 3 AufenthG zur Teilnahme an einem Integrationskurs zu verpflichten und eine entsprechende gebührenpflichtige Verfügung zu erlassen.

Türkin macht Krankheiten und Analphabetismus geltend

Gegen diese Verpflichtung wandte die Klägerin schriftlich ein, sie sei 59 Jahre alt und leide seit 2007 unter einem Hämangioendotheliom der Leber. Vor Kurzem habe sie sich einer großen Operation unterziehen müssen. Sie sei Analphabetin und seelisch sehr angespannt und mitgenommen. Ein ärztliches Attest war beigefügt.

Daraufhin wurde die Klägerin zur amtsärztlichen Untersuchung aufgefordert, der sie nachkam. Die Stellungnahme des Gesundheitsamtes bei der Außenstelle Bruchsal des Landratsamtes Karlsruhe vom 30.12.2010 kam zu dem Ergebnis, dass die Klägerin nach erheblichen körperlichen Erkrankungen mit belastenden Therapien beim Untersuchungszeitpunkt noch körperlich angeschlagen war. Die Amtsärztin riet, die Klägerin für die nächsten drei Monate von einem Sprachkurs zu befreien. Danach sei davon auszugehen, dass die Klägerin körperlich, geistig und seelisch in der Lage sei, an einem Integrationskurs teilzunehmen.

Mit Schreiben vom 09.02.2011 wiederholte der Rechtsanwalt der Klägerin ihre Einwände gegen die Teilnahme an einem Integrationskurs und ließ vortragen, ihr stehe eine Niederlassungserlaubnis unabhängig von der Frage der sprachlichen Fähigkeiten zu.

Mit Verfügung des Landratsamtes Karlsruhe vom 26.01.2011 wurde die Klägerin zur regelmäßigen Teilnahme und zum erfolgreichen Abschluss eines Integrationskurses verpflichtet. Sie wurde ebenfalls verpflichtet, der Ausländerbehörde bis spätestens 01.05.2011 eine Bestätigung eines Sprachkursträgers bezüglich der ordnungsgemäßen Anmeldung und des regelmäßigen Besuchs eines Integrationskurses vorzulegen. Bei Nichterfüllung wurde der Klägerin ein Zwangsgeld in Höhe von 100 € angedroht.

Dagegen legte der Rechtsanwalt der Klägerin am 11.02.2011 Widerspruch ein und ließ mitteilen, sie sei in der Lage, sich auf sehr einfache Art und Weise auf Deutsch zu unterhalten. Sie verstehe Begriffe wie Kartoffel, Tomate, Haus, Wohnung und Kindergarten, sodass sie sowohl beim Einkauf als auch im Umgang mit Nachbarn und bei Behörden Gespräche führen könne. Auch in der Klinik habe sie sich verständigen können. Sie meinte lediglich, dass sie die komplizierte deutsche Sprache, die von einigen Personen, die bei Behörden arbeiteten, verwendet werde, nicht verstehen könne. Anlässlich einer Vorsprache der Klägerin im Beisein ihres Rechtsanwalts beim Landratsamt Karlsruhe am 19.07.2011 konnte nicht eindeutig geklärt werden, ob einfache mündliche Deutschkenntnisse bei ihr vorhanden sind. Sechs von dreizehn Fragen konnte sie nicht verstehen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.10.2011 änderte das Regierungspräsidium Karlsruhe Ziff. 1 der Verfügung vom 26.01.2011 wie folgt: Die Widerspruchsführerin wird zur ordnungsgemäßen Teilnahme am Integrationskurs und zur Teilnahme am Abschlusstest verpflichtet. Ansonsten blieb es bei dem Verpflichtungsbescheid.

Türkin reicht Klage beim Verwaltungsgericht ein

Gegen den geänderten Verpflichtungsbescheid reichte die Klägerin Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe ein.

In der Begründung der Klage führte die Klägerin weiter aus: Allein dadurch, dass sie 30 Jahre lang in Deutschland am tatsächlichen Leben teilgenommen habe, habe sie die Integration bereits bewiesen. Sie habe sechs Kinder zur Welt gebracht, die allesamt integriert seien und Steuern zahlten. Ihre Kinder besäßen die deutsche Staatsangehörigkeit und eine Ausbildung. Seit 1992 habe ihr Mann einen Lebensmittelladen geführt, in dem sie mitgeholfen, geputzt und aufgeräumt habe. Die Sprachdefizite, die sie habe, seien nicht auf fehlende Integration zurückzuführen, sondern auf die Tatsache, dass sie Analphabetin sei und aufgrund ihres Alters nicht mehr in der Lage, einen solchen Kurs zu absolvieren. Aufgrund der besonderen Umstände könne von ihr nicht die Teilnahme an einem Integrationskurs verlangt werden. Wegen des Verschlechterungsverbots aus dem Assoziationsabkommen ARB 1/80 und der Rechtsprechung des EUGH dazu dürften keine Verschlechterungen wie etwa die Einführung der Sprachnachweise beim Ehegattennachzug und die Anforderung von Sprachkenntnissen des Niveaus B1 für eine längerfristige Aufenthaltserlaubnis Anwendung finden. Außerdem sei der sich aus Art. 6 oder 8 EMRK ergebende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt. Dem Inhaber einer Niederlassungserlaubnis (§ 51 Abs. 5 AufenthG) werde von der Ausländerbehörde eine Bescheinigung ausgestellt, aus der sich ergebe, wie lange er sich maximal im Ausland aufhalten dürfe. Für sie bestehe diese Möglichkeit nicht, sodass sie nicht mit ihrem Ehemann, der beabsichtige, als Rentner länger als ein halbes Jahr in der Türkei zu leben, zusammenleben könne, obwohl sie schon 30 Jahre in Deutschland lebe und keinen Cent Sozialhilfe bezogen habe, vielmehr zusammen mit ihrem Ehemann Arbeitsplätze geschaffen und mit Steuerzahlungen viele Sozialhilfeempfänger finanziert habe. In der mündlichen Verhandlung machte sie geltend, ihre Kinder besäßen alle einen Universitätsabschluss und weil ihre Kinder berufstätig seien, müsse sie die Enkelkinder betreuen. Sie wolle nicht an einem Integrationskurs teilnehmen, „dies gehe nicht in ihren Kopf“ und ein solcher Kurs verursache Stress für sie und mache sie krank.

Entscheidung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe:

Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat entschieden, dass die Klage zwar zulässig, aber unbegründet sei.

Die Verpflichtung zur Teilnahme an einem Integrationskurs finde ihre Rechtsgrundlage in der Vorschrift des § 44a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG. Danach sei ein Ausländer zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet, wenn er in besonderer Weise integrationsbedürftig sei und die Ausländerbehörde ihn zur Teilnahme am Integrationskurs auffordere. Diese Voraussetzungen seien hier gegeben.

Verwaltungsgericht sieht besondere Integrationsbedürftigkeit bei Türkin

Die Klägerin sei in besonderer Weise integrationsbedürftig (§ 44a Abs. 1 Nr. 3 AufenthG). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers beruhe Integration auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit und des Austauschs zwischen dem zuziehenden Ausländer und der aufnehmenden Gesellschaft. Der Zuzug aus dem Ausland führe nicht nur für den Ausländer zur Notwendigkeit, sich in einer neuen und ungewohnten Umgebung einzuleben, sondern fordere auch von der Gesellschaft zusätzliche Hilfen zur Orientierung.

Die Nutzung der verfügbaren Bildungsangebote sei ein notwendiger, aktiver Eigenbeitrag zur Integration. Der Gesetzgeber habe in Kapitel 3 des Aufenthaltsgesetzes die Integration geregelt. Sie werde zur Eingliederung von rechtmäßig auf Dauer im Bundesgebiet lebenden Ausländern in das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben in der Bundesrepublik Deutschland gefördert und gefordert (§ 43 Abs. 1 AufenthG). Ein Grundangebot stelle dabei der sogenannte Integrationskurs dar (§ 43 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 AufenthG), mit dem ausreichende deutsche Sprachkenntnisse sowie Kenntnisse von Rechtsordnung, Kultur und Geschichte in Deutschland vermittelt werden sollen (§ 43 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Ausländer sollen dadurch mit den Lebensverhältnissen im Bundesgebiet so weit vertraut gemacht werden, dass sie ohne Hilfe oder Vermittlung Dritter in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens selbständig handeln können (§ 43 Abs. 2 Satz 3 AufenthG).

Unter welchen Voraussetzungen ein Ausländer „in besonderer Weise integrationsbedürftig“ sei, sei im AufenthG nicht definiert. Diese Tatbestandsmerkmale seien unbestimmte Rechtsbegriffe, die vom Gericht voll überprüfbar seien. Ein Ermessen oder ein Beurteilungsspielraum stünde der zuständigen Behörde insoweit nicht zu. Beide Begriffe seien mit Hilfe der §§ 43 ff. AufenthG und den Vorschriften der IntV auszulegen. Sprachlich seien die Worte „besonders“ und „in besonderer Weise“ eine Hervorhebung und je nach Sinnzusammenhang eine Verschärfung des folgenden Adjektivs bzw. Verbs. Maßgeblich dafür, wann der Ausländer in „besonderer Weise“ oder „besonders“ (siehe § 4 Abs. 3 IntV) integrationsbedürftig sei, seien die Umstände des Einzelfalles, weshalb dahinstehen könne, ob der unterschiedlichen sprachlichen Formulierung inhaltliche Differenzierungen beizumessen seien. Die Wortwahl „in besonderer Weise integrationsbedürftig“ finde sich auch in § 44 Abs. 4 Satz 2 AufenthG bei der Integration deutscher Staatsangehöriger, aus der aber wegen des besonderen Personenkreises keine, allenfalls eingeschränkte Rückschlüsse auf § 44a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG gezogen werden können. Einen Fall besonderer Integrationsbedürftigkeit regele § 4 Abs. 3 IntV. Danach könne von einer besonderen Integrationsbedürftigkeit insbesondere dann ausgegangen werden, wenn sich der Ausländer als Inhaber der Personensorge für ein in der Bundesrepublik Deutschland lebendes Kind „nicht auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann“ und es ihm deshalb bisher nicht gelungen sei, sich ohne staatliche Hilfe in das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben der Bundesrepublik Deutschland zu integrieren. Die Formulierung „insbesondere“ sei dahin zu verstehen, dass der Gesetzgeber die Voraussetzungen einer besonderen Integrationsbedürftigkeit nicht abschließend geregelt habe, sondern nur ein Beispiel dazu gebe. § 4 Abs. 3 IntV verbinde zwei Gesichtspunkte miteinander, nämlich, dass sich der Ausländer nicht auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen könne und es ihm deshalb nicht gelungen sei, sich ohne staatliche Hilfe in das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben der Bundesrepublik Deutschland zu integrieren. Die Formulierung hinsichtlich des Maßes der Sprachkenntnisse („nicht auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen“) knüpfe an den vom Gesetzgeber in § 44a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1.a) AufenthG und in der IntV im Zusammenhang mit den Zielen des Integrationskurses und dem Abschlusstest verwendeten (§§ 3 Abs. 2, 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 IntV) Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen an, der europäische Sprachtests in sechs Schwierigkeitsgrade einteile. Niveau A1 setze Folgendes voraus: „Kann vertraute, alltägliche Ausdrücke und ganz einfache Sätze verstehen und verwenden, die auf die Befriedigung konkreter Bedürfnisse zielen. Kann sich und andere vorstellen und anderen Leuten Fragen zu ihrer Person stellen – z. B. wo sie wohnen, was für Leute sie kennen oder was für Dinge sie haben – und kann auf Fragen dieser Art Antwort geben. Kann sich auf einfache Art verständigen, wenn die Gesprächspartnerinnen oder Gesprächspartner langsam und deutlich sprechen und bereit sind zu helfen.“

Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass sie sich auf Niveau A1, also auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen könne. Davon könne aufgrund des Akteninhalts und ihrer persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung nicht ausgegangen werden. Mit Schreiben ihrer Tochter habe sie mitteilen lassen, dass sie Analphabetin sei. Die in der Akte befindlichen und von ihr unterzeichneten Schreiben habe sie nicht selbst verfasst, vermutlich seien sie von einer ihrer Töchter verfasst worden, die sie auch bei Behördengängen begleitet hätten. Auch die Prüfung ihrer Deutschkenntnisse am 19.07.2011 durch das Landratsamt, bei der sie oftmals auf Deutsch nicht angesprochen werden konnte, verfestige diese Ansicht.

Zudem habe die Klägerin das Bestehen ihrer wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Integration weder vorgetragen noch sei diese sonst ersichtlich. Der Beschäftigung der Klägerin im Betrieb ihres Ehemannes komme insoweit jedenfalls kein entscheidendes Gewicht für ihre Integration zu, weil sie im Geschäft nur geputzt und aufgeräumt habe. Aus ihrer Mithilfe im Geschäft und Haushalt könne allenfalls auf eine wirtschaftliche Integration geschlossen werden, die allein nicht ausreichend sei. Deshalb helfe auch der Hinweis darauf, ihr Ehemann und sie würden Steuern bezahlen und hätten noch nie Sozialhilfe bezogen, nicht weiter, weil sie allein hierdurch nicht integriert sei (§ 43 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 AufenthG, §§ 3, 17 IntV). Es gebe keinerlei Anhaltspunkte, dass die Klägerin außerhalb ihrer Familie gesellschaftlich und kulturell integriert sei.

Die Betreuung der Kinder und Enkelkinder steht der Teilnahme am Integrationskurs nicht entgegen

Auch sei der Klägerin die Teilnahme an einem Integrationskurs wegen der Betreuung ihrer Enkelkinder und ihres Gesundheitszustandes nicht im Sinne von § 44a Abs. 2 Nr. 3 AufenthG unmöglich und nicht unzumutbar. Nach dieser Bestimmung seien Ausländer, deren Teilnahme an einem Integrationskurs auf Dauer unmöglich oder unzumutbar sei, von der Teilnahmeverpflichtung ausgenommen. Der Begründung zur Vorgängerregelung des § 44a Abs. 2 AufenthG sei der Wille des Gesetzgebers zu entnehmen, dass die Erziehung eigener Kinder allein noch nicht zur Unzumutbarkeit einer Kursteilnahme führe; dies gelte insbesondere bei der Möglichkeit kursergänzender Kinderbetreuung. Erst recht müsse dies für die Erziehung von Enkelkindern gelten. Der Gesetzgeber habe dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG durch die Schaffung von Frauenintegrationskursen mit Kinderbetreuung hinreichend Rechnung getragen (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 IntV). Dass hierbei nicht an die Betreuung von Enkelkindern gedacht sei, sei mit Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar, weil das Verhältnis zwischen Großeltern und Enkeln grundsätzlich nicht dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG unterfalle.

Auch die Krankheit ist kein Hindernis für den Integrationskurs

Soweit die Klägerin einwende, sie sei krank, sie habe mehrere schwere Operationen hinter sich und das Erlernen der deutschen Sprache „gehe nicht in ihren Kopf“, mit anderen Worten, sie sei nicht lernfähig, führe dies nicht zur Unzumutbarkeit im Sinne des § 44a Abs. 2 Nr. 3 AufenthG. Denn die amtsärztliche Untersuchung vom 30.12.2010 habe ergeben, dass die Klägerin nach Ablauf von drei Monaten körperlich, geistig und seelisch in der Lage sei, an einem Integrationstest teilzunehmen. Im Hinblick auf das bedürfnisgerechte Kursangebot seien keine Gründe ersichtlich, aus denen sich eine Unzumutbarkeit ergeben könne.

Die Kurse sind auch für Analphabeten ausgelegt

Mit Rücksicht darauf, dass das Kursangebot nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 und 3 IntV i.V.m. § 14 Abs. 2 Satz 4 IntV auf Analphabeten und Personen zugeschnitten sei, die noch nie im Leben eine Schule besucht haben, und dass solche Kurse auch tatsächlich angeboten würden, könne sich die Klägerin nicht erfolgreich darauf berufen, das Erlernen ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache sei für sie unmöglich und verursache Stress, der sie krank mache.

Ihre in der mündlichen Verhandlung geäußerte fehlende Bereitschaft, an einem Integrationskurs teilzunehmen, rechtfertige auch nicht die Annahme, dass die Teilnahme daran für sie unzumutbar oder unmöglich sei. Ihre Herkunft und ihr Verständnis von ihrer Rolle als türkische Frau eines türkischen Ehemannes würden der Klägerin, ihrem eigenen Bekunden zufolge, nicht die Teilnahme an einem Integrationskurs verbieten, auch nicht der Umstand, dass sie den Weg zum Kursort gegebenenfalls allein zurücklegen und die Zeit dafür außerhalb ihrer Familie verbringen müsse. Dazu habe sie über ihre Tochter in der mündlichen Verhandlung erklären lassen, dass sie unter anderem selbständig Einkäufe tätige und sich außerhalb ihrer Wohnung selbständig bewegen könne, was sie bei Arztbesuchen und Ähnlichem bereits getan habe.

Die von § 44a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG verlangte behördliche Aufforderung der Klägerin zur Teilnahme an einem Integrationskurs sei durch den angefochtenen Bescheid des Beklagten vom 26.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 10.10.2011 angeordnet worden.

Die Verpflichtung zur Teilnahme am Abschlusstest ist ebenfalls rechtmäßig

Zutreffend habe die Widerspruchsbehörde die Ausgangsentscheidung abgeändert und nur zur Teilnahme am Abschlusstest verpflichtet, nicht zur erfolgreichen Teilnahme. Die Teilnahme am Abschlusstest sei Teil des Integrationskurses, der abgeschlossen werde durch den skalierten Sprachtest „Deutsch-Test für Zuwanderer“, der die Sprachkompetenzen in den Fertigkeiten Hören, Lesen, Schreiben und Sprechen auf den Stufen A2 bis B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen nachweise und den bundeseinheitlichen Test zum Orientierungskurs (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 und 2 IntV).

Die Verpflichtung zum Integrationskurs verletzt nicht Art 6 GG oder Art 8 EMRK

Die Klägerin werde durch die Verpflichtung zur Teilnahme an einem Integrationskurs nicht in ihren Grundrechten aus Art. 6 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG verletzt, auch nicht in Art. 8 EMRK. Die Obliegenheit zum Erwerb ausreichender Sprachkenntnisse und der Kenntnis von der Rechtsordnung, Kultur und Geschichte in Deutschland (§ 43 Abs. 2 Satz 2 AufenthG) verfolge ein legitimes Ziel, indem sie die Integration von Ausländern fördere (§ 43 Abs. 1 AufenthG) und Zwangsehen verhindern solle. Das gesetzliche Instrumentarium zur Erreichung dieses Ziels sei nicht evident ungeeignet (siehe BVerwG, Urt. v. 30.03.2010 – 1 C 8/09 -, <juris> zu § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, nachfolgend BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 25.03.2011 – 2 BvR 1413/10 -, <juris>).

Ein Verstoß gegen den besonderen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG liege weder in der Einführung des § 44a AufenthG noch in der konkreten Anwendung vor. Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG dürfe niemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Dieses Differenzierungsverbot setze einen kausalen Zusammenhang zwischen der Bevorzugung oder der Benachteiligung und den in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG genannten Merkmalen voraus; die Bevorzugung oder Benachteiligung müsse mithin gerade wegen eines dieser Merkmale erfolgen (siehe BVerwG, Urt. v. 30.03.2010 – 1 C 8/09 -, <juris> zu § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, nachfolgend BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 25.03.2011 – 2 BvR 1413/10 -, <juris>). Der nach § 44a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG verpflichtete Ausländer werde nicht wegen seiner Sprache, seiner Herkunft oder seines Alters diskriminiert, die Einführung des Integrationskurses diene seiner Integration (§ 43 Abs. 1 AufenthG).

§ 44a Abs. 1 Nr. 3 AufenthG und §§ 10 ff. IntV sind auch mit Art. 13 1/80 ARB vereinbar (a.A. Gutmann, InfAuslR 2005, 45 ff, 48). Die Tragweite der Stillhalteklausel in Art. 13 1/80, wonach die Vertragsparteien keine neuen Beschränkungen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer einführen dürften, sei nicht auf bereits in den Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats integrierte türkische Staatsangehörige beschränkt. Diese Bestimmung beziehe sich jedoch nur auf Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in „seinem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind“ (EUGH, Urt. v. 21.10.2003 – C-317/01, C-369/01 -, <juris> u. Urt. v. 09.12.2010 – C-300/09 und C-301/09, C-300/09, C-301/09 -, <juris> Rn 49 m.w.N.).

Die Verpflichtung zum Integrationskurs ist auch mit ARB 1/80 vereinbar

Die Vorschrift sei auf die Klägerin schon deshalb nicht anwendbar, weil sie selbst nicht Arbeitnehmerin war und als Familienangehörige ihres Ehemannes (Art. 6 Abs. 1, 7 Satz 1 ARB 1/80) nicht mehr den Schutz des ARB 1/80 genieße, weil ihr Ehemann seit 1992 eine selbständige Tätigkeit ausübe, indem er selbstständig Lebensmittelmärkte führe. Abgesehen davon sei Art. 13 1/80 ARB nicht verletzt, weil die Einführung eines Integrationskurses keine „Beschränkung“ bzw. „Verschlechterung“ sei. Dass die Niederlassungserlaubnis an „ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache“ anknüpfe (§ 9 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG), bzw. die auf die Klägerin anwendbare Vorschrift des § 104 Abs. 2 AufenthG für die Niederlassungserlaubnis verlange, dass sich Ausländer „auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen können“, sei keine Verschlechterung im Sinne der Stillhalteklausel, die durch die Einführung des § 44a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 43 Abs. 2 und 3 AufenthG ausgelöst werde. Denn die geforderten sprachlichen Kenntnisse könnten auch auf andere Weise als durch die Teilnahme an einem Integrationskurs nachgewiesen werden. Hinzu komme, dass § 9 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG nicht automatisch die Ablehnung der Niederlassungserlaubnis mit der Verweigerung der Teilnahme eines nach § 44a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG verpflichteten Ausländers an einem Integrationskurs nach den §§ 10 ff., § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 IntV verbinde. Zudem seien in § 9 Abs. 2 Sätze 3, 4, 5 und 6 AufenthG wichtige Ausnahmen von den sprachlichen und kulturellen Anforderungen normiert.

Quelle: Verwaltungsgericht Karlsruhe

Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

Wenn Sie rechtliche Beratung benötigen, rufen Sie uns unverbindlich unter der Rufnummer 0221 – 80187670 an oder schicken uns eine Email an info@mth-partner.de

Rechtsanwälte in Köln beraten und vertreten Mandanten bundesweit im Ausländerrecht

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert