Beratung unter:

0221 - 80187670

Ausländerrecht: Öffentliches Interesse an familieneinheitlicher Staatsangehörigkeit bei der Einbürgerung

Verwaltungsgericht Augsburg, 08.10.2012, Az.: 11 K 1376/12

Nach § 8 Abs. 1 StAG kann ein Ausländer auf seinen Antrag eingebürgert werden,  soweit er rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, wenn er handlungsfähig nach § 37 Abs. 1 S. 1 StAG oder gesetzlich vertreten ist, weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist, eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen gefunden hat und sich und seine Angehörigen zu ernähren imstande ist.

Von diesen Voraussetzungen kann gemäß § 8 Abs. 2 StAG aus Gründen des öffentlichen Interesses oder zur Vermeidung einer besonderen Härte abgesehen werden. Demnach ist der Behörde in Fällen, bei denen zwar die Handlungsfähigkeit nach § 27 Abs. 1 S. 1 StAG oder eine gesetzliche Vertretung gegeben ist, aber eine der anderen Voraussetzungen nicht vorliegt, ein pflichtgemäßes Ermessen eröffnet, dennoch die Einbürgerung zu genehmigen.

Das Gericht überprüft bei einer Klage gegen einen ergangenen Bescheid nunmehr, ob die jeweilige Entscheidung der Behörde ermessensfehlerfrei ist oder ob Ermessensfehler gegeben sind und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt wurde (§ 113 Abs. 5, 114 VwGO). Bei den Ermessensfehlern wird zwischen verschiedenen Arten unterschieden: Ermessensnichtgebrauch, Ermessensüberschreitung, Ermessensfehlgebrauch und Ermessensreduzierung auf Null. So geht die Behörde zum Beispiel beim Ermessensnichtgebrauch davon aus, dass ihr überhaupt kein Ermessen durch den Gesetzgeber eingeräumt wurde, obwohl dies geschehen ist. Und bei Ermessensfehlgebrauch übt die Behörde ihr pflichtgemäßes Ermessen zwar aus, jedoch fehlerhaft.

Im vorliegenden Fall begehrt der Kläger eine Neuentscheidung über seinen Antrag auf Einbürgerung, nachdem die Behörde diesen unter Hinweis auf seine strafgerichtliche Verurteilung ablehnte.

Hintergrund und Einreise des Klägers – Sachverhalt

Der Kläger, ein Staatsangehöriger von Bosnien-Herzegowina, reiste 1993 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Im Jahr 1994 heiratete er eine Landsmännin, die später eingebürgert wurde. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder hervor, die in Deutschland geboren wurden und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Der Kläger selbst erhielt zunächst am 10. Dezember 2003 eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Diese wurde am 5. November 2009 durch eine Aufenthaltserlaubnis nach § 30 des Aufenthaltsgesetzes ersetzt. Schließlich wurde ihm am 20. November 2011 eine Niederlassungserlaubnis erteilt, die ihm ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Deutschland sicherte.

Strafrechtliche Verurteilung und erster Einbürgerungsantrag

Am 21. Juni 2000 wurde der Kläger wegen mehrfachen Diebstahls, Urkundenfälschung und Beihilfe zum Diebstahl zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit betrug drei Jahre und die Strafe wurde schließlich am 31. Juli 2003 erlassen. Trotz dieser Verurteilung beantragte der Kläger im Jahr 2006 erstmals seine Einbürgerung. Die Einbürgerungsbehörde stellte jedoch klar, dass aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung und der bestehenden Tilgungsfrist des Bundeszentralregisters, die bis 2015 andauerte, keine Möglichkeit bestehe, seinem Antrag stattzugeben. Daraufhin zog der Kläger seinen Antrag zurück, ohne dass eine förmliche Ablehnung erging.

Erneuter Einbürgerungsantrag und Ablehnung

Im Jahr 2011 stellte der Kläger einen erneuten Antrag auf Einbürgerung. Auch dieser Antrag wurde vom Beklagten, der zuständigen Einbürgerungsbehörde, mit der Begründung abgelehnt, dass die Verurteilung von 2000 weiterhin der Einbürgerung entgegenstehe. Die Tilgungsfrist der Verurteilung sei noch nicht abgelaufen, weshalb eine positive Entscheidung nicht möglich sei. Der Kläger legte Widerspruch gegen diesen Bescheid ein, doch auch dieser wurde durch den Widerspruchsbescheid vom 27. März 2012 mit derselben Begründung zurückgewiesen. Die Behörde führte aus, dass die Einbürgerung aufgrund der gesetzlichen Vorgaben nicht möglich sei, solange die Verurteilung im Bundeszentralregister eingetragen ist und die Tilgungsfrist noch nicht verstrichen ist.

Klage des Klägers vor dem Verwaltungsgericht

Am 24. April 2012 erhob der Kläger Klage vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart. In seiner Klage machte er geltend, dass die Versagung der Einbürgerung ermessensfehlerhaft sei. Er argumentierte, dass er seit fast 20 Jahren legal in Deutschland lebe und sich, abgesehen von der Verurteilung im Jahr 2000, stets vorbildlich verhalten habe. Zudem sei die Strafe bereits 2003 erlassen worden, was ebenfalls bei der Ermessensausübung berücksichtigt werden müsse. Er kritisierte, dass die Behörde keine Verkürzung der Tilgungsfrist in Betracht gezogen habe, obwohl es sich um eine erstmalige Verurteilung handele und keine Gefahr weiterer Straftaten bestehe. Darüber hinaus verwies er auf den Widerspruch, dass ihm zwar eine Niederlassungserlaubnis erteilt, die Einbürgerung jedoch versagt worden sei. Der Kläger begehrte die Aufhebung des Widerspruchsbescheids und eine erneute Entscheidung über seinen Einbürgerungsantrag.

Argumentation der Einbürgerungsbehörde – Ablehnung rechtmäßig

Die Einbürgerungsbehörde hielt an ihrer Entscheidung fest und brachte ergänzend vor, dass bei der Abwägung, ob von den Tilgungsfristen abgewichen werden könne, verschiedene Faktoren berücksichtigt werden müssten. Dazu gehörten die Schwere und Häufigkeit der begangenen Straftaten, der zeitliche Abstand zur letzten Straftat, die Beseitigung der früheren negativen Umstände sowie der Tilgungszeitpunkt. Zudem müsse geprüft werden, ob eine Staatenlosigkeit drohe. Im Ergebnis sei der Kläger jedoch nicht in ausreichendem Maße in die deutsche Gesellschaft integriert, da er durch die begangenen Straftaten gezeigt habe, dass er die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht hinreichend respektiere. Deshalb bestehe noch kein ausreichender Integrationsgrad, der eine Ausnahme von den gesetzlichen Vorgaben rechtfertige. Die Behörde betonte, dass die Erteilung der Niederlassungserlaubnis keinen Widerspruch zur Ablehnung der Einbürgerung darstelle, da beide Entscheidungen unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen unterlägen und von verschiedenen Behörden getroffen worden seien.

Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart – Ermessenseinbürgerung trotzdem möglich

Das Verwaltungsgericht Stuttgart entschied zugunsten des Klägers und erklärte die Bescheide der Einbürgerungsbehörde für rechtsfehlerhaft. Das Gericht stellte fest, dass der Kläger zwar keinen Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) habe, da die strafgerichtliche Verurteilung dem entgegenstehe. Auch könne die Straftat wegen der Höhe der verhängten Freiheitsstrafe nicht außer Betracht bleiben, wie es § 12a Abs. 1 S. 1 StAG vorsieht. Aufgrund der Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze sei das Ermessen der Behörde insoweit nicht eröffnet.

Allerdings sei eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 Abs. 2 StAG möglich, die eine behördliche Ermessensentscheidung zulässt, wenn Gründe des öffentlichen Interesses vorliegen. Diese Bestimmung ermögliche es der Behörde, ausnahmsweise von den gesetzlichen Voraussetzungen abzusehen, sofern dies im öffentlichen Interesse geboten sei. Im vorliegenden Fall sei eine Ermessensentscheidung aus Gründen einer besonderen Härte zwar nicht zwingend geboten, jedoch aus Gründen des öffentlichen Interesses notwendig. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass die gesamte Kernfamilie des Klägers aus deutschen Staatsangehörigen besteht. Das Gericht verwies auf den verfassungsrechtlich verankerten Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und betonte, dass die Einbürgerung des Klägers im Interesse der Herstellung einer einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit innerhalb der Familie stehe. Diese Einheit sei notwendig, um den Zusammenhalt der Familie zu gewährleisten und zu stärken.

Erforderliche Neubescheidung durch die Behörde

Das Verwaltungsgericht kam zu dem Schluss, dass die Einbürgerungsbehörde bei ihrer Entscheidung den Grundsatz der einheitlichen Staatsangehörigkeit innerhalb der Familie hätte berücksichtigen müssen. Da die Behörde irrtümlicherweise davon ausgegangen sei, dass kein Ermessen vorhanden sei, liege ein Ermessensfehler vor. Der Kläger habe daher Anspruch auf eine erneute Entscheidung über seinen Einbürgerungsantrag unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben und der besonderen familiären Situation. Der Widerspruchsbescheid und die Entscheidung der Einbürgerungsbehörde seien aufzuheben, und der Kläger habe ein Recht auf eine neue, fehlerfreie Ermessensentscheidung.

 

Wie kann ich eingebürgert werden? Arten der Einbürgerung. Ermessenseinbürgerung und Anspruchseinbürgerung

Quelle: Verwaltungsgericht Stuttgart

Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

Wenn Sie rechtliche Beratung benötigen, rufen Sie uns unverbindlich unter der Rufnummer 0221 – 80187670 an oder schicken uns eine Email an info@mth-partner.de

Rechtsanwälte in Köln beraten und vertreten Mandanten bundesweit im Ausländerrecht

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert