Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluß vom 17.4.2019, Az.: 12 S 1501/18
Damit Personen einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe haben, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Zum einen muss der Kläger durch Vorlage von Bescheiden über den Bezug von Leistungen (z. B. SGB II oder SGB XII) nachweisen, dass er nicht in der Lage ist, die Prozesskosten selbst aufzubringen. Zum Anderen muss die beabsichtigte Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg haben.
Wenn die Prozesskostenhilfe durch das Gericht dann dennoch abgelehnt wird, kann der Kläger noch im sogenannten Beschwerdeverfahren den Beschluss angreifen, mit dem Ziel, dass das Beschwerdegericht der Ansicht des Klägers folgt und dennoch Prozesskostenhilfe bewilligt.
Sachverhalt des Beschwerdeverfahrens
Klägerin konnte wegen ihres Alters deutsche Sprache nicht lernen
Im vorliegenden Beschwerdeverfahren reichte die Klägerin gegen den abweisenden Prozesskostenhilfebeschluss Beschwerde zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg ein. Sie begehrte Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Einbürgerung, ohne den Nachweis der notwendigen Sprachkenntnisse erbringen zu müssen, da sie nach eigenen Angaben aufgrund ihres Alters nicht mehr in der Lage sei, diese zu erwerben.
Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg
Der Verwaltungsgerichtshof folgte der Argumentation der Klägerin und entschied, dass ihr Prozesskostenhilfe zu gewähren sei. Gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO sei einer Partei Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn diese die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen könne und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Es sei nicht notwendig, dass der Prozesserfolg gewiss sei; eine hinreichende Erfolgsaussicht bestehe schon dann, wenn ein Obsiegen ebenso wahrscheinlich erscheine wie ein Unterliegen.
Gericht beschloss, dass Klägerin PKH zu gewähren sei, weil Prozessausgang offen sei
Für die Gewährung von Prozesskostenhilfe sei es ausreichend, wenn der Prozessausgang offen sei, d.h., eine Beweisaufnahme in Betracht komme und keine Anhaltspunkte vorlägen, die eine solche Beweisaufnahme als aussichtslos erscheinen ließen. Auch ungeklärte, schwierige Rechtsfragen dürften im PKH-Verfahren nicht entschieden werden.
Im vorliegenden Fall seien die Voraussetzungen für Prozesskostenhilfe gegeben. Die streitige Frage, ob die Klägerin die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und Nr. 7 StAG altersbedingt nicht erfüllen könne, sei offen. Der Gesetzgeber habe durch § 10 Abs. 6 StAG bewusst eine Ausnahmeregelung zugunsten von Personen getroffen, die die verschärften Sprachanforderungen altersbedingt nicht erfüllen könnten.
Gericht sieht altersbedingte Gründe für die Unmöglichkeit, die deutsche Sprache zu lernen
Altersbedingte Gründe, die separat neben krankheitsbedingten Ausschlussgründen zu prüfen seien, würden berücksichtigen, dass im Alter typischerweise die Fähigkeit schwinde, sich neue Kenntnisse anzueignen. Das Lebensalter sei ein Indiz dafür, ob der Ausländer noch in der Lage sei, die erforderlichen Kenntnisse zu erwerben. Es gebe jedoch keine strikte Altersgrenze; vielmehr seien bei der Einzelfallprüfung alle relevanten persönlichen Umstände zu berücksichtigen.
Aus den persönlichen Lebensumständen der Klägerin würden sich Unmöglichkeitsgründe ergeben
Bei der 64-jährigen Klägerin ergäben sich Anhaltspunkte dafür, dass sie aufgrund ihrer persönlichen Lebensumstände nicht mehr in der Lage sei, die geforderten Sprachkenntnisse zu erwerben. Die Klägerin sei Analphabetin, die nach vielen Jahren der Kindererziehung nur wenige Jahre erwerbstätig war. Seit 2011 sei sie dauerhaft voll erwerbsgemindert. Zudem habe sie in der Vergangenheit in Sprachtests sehr schlechte Ergebnisse erzielt, und es sei nicht ersichtlich, warum sie nunmehr in der Lage sein sollte, diese Fähigkeiten zu erwerben. Darüber hinaus befinde sich die Klägerin seit Jahren in medizinischer Behandlung wegen zahlreicher Erkrankungen, die den Alterungsprozess weiter beschleunigt hätten. Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen würden nahelegen, dass es der Klägerin altersbedingt nicht mehr gelingen werde, die geforderten Kenntnisse zu erwerben.
Es sei daher nicht erforderlich, ein zusätzliches Gutachten einzuholen, um die Unfähigkeit der Klägerin festzustellen. Auch die Behörde könne sich nicht auf eine fehlende Mitwirkung der Klägerin bei der Einholung eines solchen Gutachtens berufen.
Kostenfrage und Gebührenermäßigung
Es sei zweifelhaft, ob die Behörde die Einholung eines Gutachtens von der Zahlung eines Auslagenvorschusses abhängig machen dürfe. § 38 Abs. 2 StAG sehe eine Einheitsgebühr für die Einbürgerung vor, und die Möglichkeit einer Gebührenermäßigung oder -befreiung sei gegeben. Da die Kosten einer Einbürgerung bereits berücksichtigt seien, sei eine zusätzliche Erstattung von Auslagen ausgeschlossen. In diesem Fall bestehe jedoch keine Notwendigkeit, ein kostspieliges Gutachten einzuholen.
Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
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