Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 31.01.2020, Az.: 7 K 4969/18
Der hier besprochene Fall des Verwaltungsgerichts Düsseldorf ist insofern bemerkenswert, als das Gericht eindeutig Stellung zu den personellen und strukturellen Defiziten der beklagten Ausländerbehörde nimmt.
Das Gericht sieht ein klares Organisationsverschulden der Stadt Wuppertal in Bezug auf die Ausstattung der Ausländerbehörde und beschreibt in dem Urteil auch die Bemühungen des Verwaltungsgerichts, außerhalb des Gerichtsalltags die Stadt Wuppertal zur besseren Ausstattung der Ausländerbehörde zu bewegen.
Inhaltlich hatte die schleppende Arbeitsweise der Ausländerbehörde zur Folge, dass die Untätigkeitsklage zwar abgewiesen werden musste, weil dem Kläger kein Aufenthaltsrecht zustand, die Kosten jedoch von der Behörde getragen werden mussten, da das Gericht der Ansicht war, dass die Behörde die Schuld daran trug, dass der Kläger Klage einreichen musste.
Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens
Kläger hatte Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen bei der Ausländerbehörde beantragt
Der Kläger in diesem Fall war armenischer Staatsangehöriger. Bereits Anfang der 2000er Jahre hatten der Kläger und seine Ehefrau erfolglos um Asyl in Deutschland nachgesucht.
Am 7. September 2015 reiste der Kläger erneut mit seiner Familie in das Bundesgebiet ein und stellte am 12. August 2016 beim BAMF einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 28. Juni 2017 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz lehnte das Verwaltungsgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 30. Juli 2017 (4 L 3414/17.A) ab.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 12. Juli 2017 beantragte der Kläger bei der beklagten Stadt Wuppertal die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen und berief sich auf Reiseunfähigkeit aufgrund einer psychischen Erkrankung. Hierzu legte er entsprechende Atteste vor.
Mit weiterem anwaltlichen Schriftsatz vom 26. September 2017 erinnerte der Kläger an die Entscheidung des vorgenannten Antrags. Am 18. Oktober 2017 beantragte der Kläger beim angerufenen Gericht Abschiebungsschutz gegen die Beklagte, mit der Begründung, er sei reiseunfähig. Nachdem die Beklagte in diesem Verfahren mitgeteilt hatte, dass eine Abschiebung des Klägers nicht anstehe, lehnte der Einzelrichter den Antrag mangels Anordnungsgrundes mit Beschluss vom 9. Juli 2018 (7 L 5104/17) ab. Mit Beschluss vom 9. Oktober 2019 (18 B 1112/18) wies das OVG NRW die hiergegen erhobene Beschwerde zurück.
Nachdem die Ausländerbehörde längere Zeit nicht antwortete, reichte der Kläger Untätigkeitsklage ein
Der Kläger erhob am 6. Juni 2018, gemeinsam mit seinen weiteren Familienmitgliedern, Klage, mit der Begründung, er habe am 12. Juli 2017 bei der Beklagten die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen beantragt. Die Beklagte sei untätig geblieben. Zur Begründung legte er verschiedene Atteste einer Fachärztin für Nervenheilkunde, Psychiatrie und Psychotherapie vor.
Für die Ehefrau wurden Arbeitsnachweise vorgelegt, für die Kinder deren Schulzeugnisse. Der Kläger und seine Familienangehörigen beantragten zunächst, die Beklagte zu verpflichten, über ihren Antrag vom 12. Juli 2017 zu entscheiden. Mit Beschluss vom 31. Januar 2020 trennte der Einzelrichter das Klageverfahren, soweit es die Ehefrau und die Kinder des Klägers betraf, ab. In der mündlichen Verhandlung beantragte der Kläger unter Aufgabe des bisherigen Antrags nunmehr, die Beklagte zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen. Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Eine Stellungnahme der Beklagten erfolgte nicht.
Mit Schreiben vom 22. Juni 2018 hörte die Beklagte den Kläger außerhalb des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zur beabsichtigten Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an.
Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf:
Verwaltungsgericht Düsseldorf sieht keinen Anspruch des Klägers auf Aufenthaltserlaubnis
Das Verwaltungsgericht Düsseldorf urteilte, dass die Klage zwar als Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO zulässig ist, weil die Stadt Wuppertal ohne zureichenden Grund nicht in angemessener Frist (und auch bis heute nicht) den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 12. Juli 2017 sachlich beschieden habe. Allerdings habe der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG gegen die Beklagte.
Nach § 25 Abs. 5 AufenthG in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 1, 6 des Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15. August 2019 (BGBl. I S. 1294), könne einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich sei und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen sei. Die Aufenthaltserlaubnis solle erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt sei. Eine Aufenthaltserlaubnis dürfe nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert sei. Ein Verschulden des Ausländers liege insbesondere vor, wenn er falsche Angaben mache oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täusche oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung des Ausreisehindernisses nicht erfülle.
Diese Tatbestandsvoraussetzungen lägen nicht vor, da die Ausreise des Klägers nicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich sei. Der Kläger berufe sich zur Begründung seiner Klage auf eine Reiseunfähigkeit infolge einer psychischen Erkrankung. Damit sei eine Ausreise oder Abschiebung rechtlich unmöglich, weil dies seine durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Gesundheit verletzen würde. Die vom Kläger zur weiteren Begründung vorgelegten Atteste der Fachärztin für Nervenheilkunde, Psychiatrie und Psychotherapie seien über zwei Jahre alt und daher schon nicht geeignet, über den aktuellen Gesundheitszustand des Klägers und etwaige Risiken für seine Gesundheit bei einer Abschiebung in sein Heimatland Auskunft zu geben.
Es sei auch nicht substantiiert vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass die damals diagnostizierten Erkrankungen (posttraumatische Belastungsstörungen, schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen, Suizidalität, sowie Angststörung mit Panikattacken) auch heute noch die Gesundheit des Klägers beeinträchtigten oder den Gesundheitszustand des Klägers im Falle einer Abschiebung wesentlich verschlechterten im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG. Weitere Umstände, aus denen sich ein rechtliches oder tatsächliches Ausreise- oder Abschiebungshindernis ergeben könnte, seien weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
Obwohl der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung hatte, musste dennoch die Ausländerbehörde die Kosten tragen
Nach § 155 Abs. 4 VwGO könne das Gericht Kosten, die durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden seien, diesem auferlegen. So können dem Beteiligten nicht nur die ausscheidbaren Mehrkosten einzelner Prozesshandlungen oder Verfahrensabschnitte auferlegt werden, sondern die gesamten Kosten des Verfahrens, etwa wenn er durch schuldhaftes vorprozessuales Verhalten die Erhebung einer an sich vermeidbaren Klage verursacht hat.
Die beklagte Stadt Wuppertal habe es durch ihre beharrliche Untätigkeit zu vertreten, dass der Kläger – um eine Sachentscheidung zu bekommen – diesen Prozess führen und auch streitig entscheiden lassen musste. Die Beklagte habe auf den ihr nachweislich zugegangenen Antrag vom 12. Juli 2017 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den Kläger keine Entscheidung gefällt. Auch auf die vorprozessuale Erinnerung des Klägers vom 26. September 2017 sei keine Reaktion der Beklagten erfolgt.
Auch im – aus anwaltlicher Vorsicht – deshalb angestrengten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vom 18. Oktober 2017 (7 L 5104/17) sei erstmals am 29. Januar 2018 (drei Monate später!) hierzu von der Beklagten und Antragsgegnerin Stellung genommen worden, ohne allerdings in der Sache eine Entscheidung zu treffen.
Die Beklagte habe auch auf die Erhebung der vorliegenden Klage am 6. Juni 2018, abgesehen von der außerhalb des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erfolgten Anhörung zu einer beabsichtigten Ablehnung des Antrags mit Schreiben vom 22. Juni 2018, keine weiteren Schritte zur Bescheidung des Antrags während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bis zum Ende der mündlichen Verhandlung unternommen. Diese beharrliche Rechtsverweigerung durch die Beklagte sei auch ursächlich für die entstandenen – vollständigen – Prozesskosten. Dieses Verhalten der Beklagten sei auch schuldhaft. Dabei gehe das Gericht angesichts der von der Beklagten regelmäßig angeführten Personalnot und der daraus resultierenden Überlastung ihrer Mitarbeiter nicht von einem Verschulden eines konkreten Mitarbeiters oder einer Mitarbeiterin der Beklagten aus. Vielmehr sehe das Gericht ein Organisationsverschulden auf Seiten der maßgeblichen Organe der Beklagten, das darin bestehe, seit mehreren Jahren den Arbeitsbereich „Ausländerbehörde“ nicht mit dem zur gesetzlich geforderten Aufgabenerfüllung erforderlichen Personal (in Quantität und Qualität) ausgestattet zu haben. Die Kammer beobachte seit Jahren eine in ihrem Ausmaß unvergleichliche Fluktuation des ohnehin knappen Personals, verbunden mit einer entsprechenden Überlastung des verbleibenden Personals, das sowohl den Ausfall aufzufangen als auch die Einarbeitung neuer Kräfte zu leisten habe.
Verwaltungsgericht führt verschiedene Auswirkungen der mangelnden Ausstattung der Ausländerbehörde auf
Dieser „brain drain“ und die allgemeine Personalnot haben bereits seit Jahren zu einer vielfach unzureichenden Sachbearbeitung geführt. Hierzu nur einige Beispiele:
-
-
- Verwaltungsvorgänge würden schlecht geführt und enthielten nicht alle zum Vorgang gehörenden Schriftstücke,
- Publikum erhalte keine zeitnahen Termine zur persönlichen Antragstellung und Vorsprache,
- Anträge würden gar nicht oder nur mit erheblicher Verspätung bearbeitet, so dass sich Untätigkeitsklagen bei Gericht häufen würden,
- durch fehlende Kommunikation und Erreichbarkeit würden erfolglose Antragsteller in Rechtsschutzverfahren getrieben,
- das Gericht werde in seiner Aufgabenerfüllung durch schleppende Aktenübersendung, fehlende Stellungnahmen und Unterlassung der Mitteilung entscheidungserheblicher Umstände behindert.
-
Die Beklagte – in Gestalt ihrer maßgeblichen Organe – habe hiervon auch seit Langem Kenntnis. Denn die Kammer habe die Beklagte auf diese Missstände – weit über die übliche verfahrensbezogene Kommunikation hinaus – bereits vor zwei Jahren unmissverständlich hingewiesen.
Zwischen Gericht und Behörde hat es sogar eine außergerichtliche Kommunikation darüber gegeben
Der Vorsitzende der Kammer habe mit Schreiben vom 15. Februar 2018 an den Oberbürgermeister der Beklagten unter Darstellung der Problemlage eine personell ausreichende Ausstattung der Ausländerbehörde angemahnt. Erst nach Erinnerung durch die Kammer habe der Oberbürgermeister der Beklagten mit Schreiben vom 3. April 2018 auf die gestiegenen Fallzahlen nach den starken Zugängen Geflüchteter hingewiesen. Bei einem durch ihn ermöglichten Gespräch am 3. Mai 2018 im Verwaltungsgericht hätten der zuständige Beigeordnete und der Amtsleiter die von der Beklagten beabsichtigten Maßnahmen zur Problemlösung (Neueinrichtung von Expertenstellen, Einstellungen, Ausbildung) erläutert.
Diese Maßnahmen hätten aber – soweit sie umgesetzt wurden – zu keiner nachhaltigen Änderung der Situation geführt. Der Arbeitsbereich Ausländerbehörde habe auch in jüngerer Zeit weiter erhebliche Kompetenz im gehobenen Dienst (bzw. dem entsprechenden Angestelltenbereich) verloren, ohne dass feststellbar wäre, dass freiwerdende Stellen umgehend ausgeschrieben würden. Offensichtlich fehle es an begleitenden Faktoren, die die aktuellen Mitarbeiter an den Dienstherrn binden oder für geeignete neue Mitarbeiter eine hinreichende Attraktivität des Dienstherrn begründen könnten.
Das Phänomen der hohen Zugänge Geflüchteter in den vergangenen Jahren mit seinen beachtlichen Herausforderungen bestehe auch nicht exklusiv im Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Trotzdem sei dem Gericht keine andere Ausländerbehörde mit auch nur annähernd ähnlichen personellen Defiziten und Missständen in der Aufgabenwahrnehmung bekannt. Die das Verschulden im Sinne der Vorschrift begründenden Umstände seien gerichtsbekannt und bedürften daher keiner weiteren Aufklärung.
Quelle: Verwaltungsgericht Düsseldorf
Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.
Wenn Sie rechtliche Beratung benötigen, rufen Sie uns unverbindlich unter der Rufnummer 0221 – 80187670 an oder schicken uns eine Email an info@mth-partner.de
Rechtsanwälte in Köln beraten und vertreten Mandanten bundesweit im Ausländerrecht