Bundesverwaltungsgericht, 19.02.2015, Az.: BVerwG 1 C 9.14
Zwischen der Türkei und der EU besteht seit langer Zeit ein sogenanntes Assoziierungsabkommen, welches rechtlich als völkerrechtlicher Vertrag einzuordnen ist.
Ziel dieses Abkommens war und ist die Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und der Türkei u. a. durch die schrittweise Errichtung einer Zollunion und die Annäherung der jeweiligen Wirtschaftspolitik.
Zusätzlich zu dem Assoziierungsabkommen verabschiedeten die Vertragsparteien ein Zusatzprotokoll, das die Einzelheiten und den Zeitplan für die Übergangsphase bis zur Verwirklichung der Zollunion festschrieb.
Dieses Zusatzprotokoll enthält in seinem Artikel 41 Abs. 1 ein sogenanntes Verschlechterungsverbot („Stand-Still-Klausel“) in Bezug auf die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit.
Dieses Verschlechterungsverbot legt fest, dass die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen dürfen.
Diese Klausel hat bis heute Bedeutung für die Frage, ob türkische Staatsangehörige der Visumpflicht unterliegen oder nicht. So auch in dem hier besprochenen Fall.
1. Hintergrund des Falls
Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, war als selbständiger Unternehmer im Bereich der Software-Beratung tätig. Zusätzlich war er Inhaber einer in Istanbul ansässigen Firma.
2. Vertragliche Vereinbarung
Die Firma des Klägers schloss einen Dienstleistungsauftrag mit einer in Göteborg, Schweden, ansässigen Firma ab. Ziel war es, für ein deutsches Software-Unternehmen bei dessen Kunden, einem deutschen Großunternehmen, „detaillierte technische Spezifikationen“ auszuarbeiten.
3. Visumantrag und Ablehnung
Am 23. April 2010 beantragte der Kläger ein Schengen-Visum für Geschäftsreisen über 45 Tage beim deutschen Generalkonsulat in Istanbul. Dieser Antrag wurde am 27. April 2010 abgelehnt.
4. Remonstration und Begründung des Klägers
Der Kläger legte gegen die Ablehnung Remonstration ein und argumentierte, dass er nach Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen EWG/Türkei in Verbindung mit § 1 Absatz 2 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes von 1965 visumfrei einreisen dürfe, um die genannten Dienstleistungen zu erbringen.
5. Entscheidung des Generalkonsulats
Am 26. Mai 2010 wies das Generalkonsulat die Remonstration des Klägers ab. Es wurde mitgeteilt, dass der Kläger nicht berechtigt sei, visumfrei zu Geschäftszwecken einzureisen. Der Antrag auf Erteilung eines zustimmungsfreien Schengen-Visums wurde zurückgewiesen.
6. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
Das Bundesverwaltungsgericht entschied, dass Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen EWG/Türkei zwar ein Verschlechterungsverbot für die Rechtsstellung von Dienstleistungserbringern aus der Türkei beinhaltet. Im konkreten Fall liege jedoch keine Verschlechterung für den Kläger vor. Bereits 1973, beim Inkrafttreten des Verschlechterungsverbots, benötigten türkische Staatsangehörige ein Visum für die Einreise zum Zweck einer Erwerbstätigkeit. Die Erbringung von Dienstleistungen, wie die Erarbeitung technischer Spezifikationen, falle unter den Begriff der Erwerbstätigkeit. Eine Ausnahme hiervon galt nur für Arbeitnehmer eines türkischen Unternehmens, nicht jedoch für Selbstständige wie den Kläger.
Quelle: Bundesverwaltungsgericht
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