Verwaltungsgericht Oldenburg, 10.05.2012, Az.: 11 B 3223/12
Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen abgelehnt und die Abschiebung angedroht, kann gegen diesen Verwaltungsakt Anfechtungsklage beim Verwaltungsgericht erhoben werden.
Grundsätzlich haben eingelegte Rechtsbehelfe im Verwaltungsrecht aufschiebende Wirkung, wie sich aus § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergibt.
Aufschiebende Wirkung bedeutet, dass die Behörde die von ihr erlassene Verfügung so lange nicht vollstrecken kann, wie über den eingelegten Rechtsbehelf noch nicht entschieden wurde.
Bei einigen Verwaltungsakten entfalten die eingelegten Rechtsbehelfe allerdings schon von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung bzw. kann die Behörde den sofortigen Vollzug des Verwaltungsaktes anordnen.
Auch können die Länder gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO bestimmen, dass Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.
Bei der Androhung der Abschiebung handelt es sich um eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO.
In Ländern, die von der Ermächtigung in § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO Gebrauch gemacht haben, müssen betroffene Ausländer somit jederzeit mit der Vollziehung der Abschiebung rechnen, obwohl ein Rechtsbehelf gegen die Ablehnung und die Androhung der Abschiebung eingelegt wurde.
In diesen Fällen können betroffene Ausländer jedoch beantragen, dass die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO im vorläufigen Rechtsschutzverfahren wiederhergestellt wird.
In diesem vorläufigen Rechtsschutzverfahren prüft das Gericht dann überschlägig die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs, um den Ausländer vor den negativen Folgen einer schnellen Vollziehung des Verwaltungsaktes zu schützen.
In der oben genannten Entscheidung des VG Oldenburg begehrte eine Ukrainerin erfolgreich gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, dass die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen einen Bescheid der Ausländerbehörde, mit dem ihr Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen abgelehnt und die Abschiebung in die Ukraine angedroht wurde, wiederhergestellt wird.
Dabei prüfte das Verwaltungsgericht Oldenburg insbesondere, ob die fehlenden Deutschkenntnisse der Antragstellerin den Nachzug zu ihrem Ehemann verhindern würden.
Einleitung: Familiennachzug beantragt
Die Antragstellerin beantragte bei der zuständigen Ausländerbehörde den Familiennachzug zu ihrem deutschen Ehemann, den sie im Februar 2012 in Dänemark geheiratet hatte. Die Antragstellerin erfüllte die notwendigen Voraussetzungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts, ihre Identität war geklärt und die Passpflicht erfüllt. Allerdings konnte sie sich nicht in deutscher Sprache verständigen, was nach §§ 28 Abs. 1 Satz 5, 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG für den Familiennachzug erforderlich ist.
Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg
Das Verwaltungsgericht (VG) Oldenburg entschied zugunsten der Antragstellerin. Es stellte fest, dass das Interesse der Antragstellerin, in Deutschland zu bleiben, das öffentliche Interesse an einer schnellen Aufenthaltsbeendigung überwiegt. Das Gericht argumentierte, dass es zwar bislang als geklärt galt, dass das Spracherfordernis für den Familiennachzug mit höherrangigem Recht, insbesondere mit Art. 7 Abs. 2 der Familiennachzugsrichtlinie 2003/86/EG, vereinbar sei. Doch mittlerweile bestünden berechtigte Zweifel an dieser Vereinbarkeit.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Spracherfordernisses
Das Bundesverwaltungsgericht äußerte in einem Beschluss vom 28. Oktober 2011 Zweifel daran, ob das Spracherfordernis mit der genannten Richtlinie vereinbar sei. Es verwies dabei auf eine Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 4. Mai 2011, in der betont wurde, dass der Familiennachzug nicht unangemessen erschwert werden dürfe. Nach Meinung des VG Oldenburg sei nachvollziehbar, dass eine Verweigerung der Einreise und des Aufenthalts nicht allein aufgrund einer nicht bestandenen Sprachprüfung erfolgen dürfe. Art. 7 Abs. 2 der Familiennachzugsrichtlinie erlaube lediglich, Integrationsmaßnahmen nach der Erteilung des Aufenthalts zu verlangen.
Europarechtliche Dimension und nationale Gesetzgebung
Die Frage, ob das Spracherfordernis gegen europäisches Recht verstößt, bedürfe einer sorgfältigen Prüfung im Hauptsacheverfahren und könnte möglicherweise dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt werden. Das VG Oldenburg entschied jedoch, dass diese Frage im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht geklärt werden könne. Die Antragstellerin sei im Besitz eines nationalen polnischen Visums der Kategorie D gewesen, das sie berechtigte, sich für eine begrenzte Zeit in Deutschland aufzuhalten. Damit erfüllte sie die Voraussetzungen, um einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet zu erlangen, wenn das Spracherfordernis nicht erfüllt werden müsste.
Ergebnis: Vorläufiges Aufenthaltsrecht gewährt
Das VG Oldenburg kam zu dem Schluss, dass der Ausgang des Verfahrens unsicher sei und daher das Interesse der Antragstellerin, in Deutschland zu bleiben, überwiege. Eine Aufenthaltsbeendigung wäre nur schwer rückgängig zu machen. Aufgrund der ungeklärten Rechtslage entschied das Gericht, dass der Antragstellerin vorläufig der Verbleib in Deutschland gestattet werden muss, bis eine endgültige Entscheidung im Hauptsacheverfahren getroffen werden kann.
Quelle: Verwaltungsgericht Oldenburg
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