Bundesverwaltungsgericht, 22.05.2012, Az.: BVerwG 1 C 6.11
Nach dem 1963 abgeschlossenen Assoziierungsabkommen EWG – Türkei erwerben türkische Arbeitnehmer durch die Beschäftigung in einem Mitgliedstaat im Zuge einer stufenweisen Verfestigung nach insgesamt vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung einen unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt und ein entsprechendes Aufenthaltsrecht (Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80).
Art. 7 ARB 1/80 wiederum privilegiert Familienangehörige eines dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers.
In dem oben genannten Urteil des BVerwG hatte das BVerwG nun darüber zu entscheiden, ob in Deutschland lebenden Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmer, welchen nach dem Assoziationsrecht EWG/Türkei ein Daueraufenthaltsrecht zusteht, eine Niederlassungserlaubnis beanspruchen können, wenn sie nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt ohne öffentliche Mittel zu sichern.
Einleitung
Im vorliegenden Fall geht es um die Klage einer 35-jährigen Frau, Tochter eines türkischen Arbeitnehmers, die seit 1990 in Deutschland lebt. Sie begehrte die Erteilung einer unbefristeten Niederlassungserlaubnis, da ihr nach dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 der EWG/Türkei (ARB 1/80) ein Daueraufenthaltsrecht in Deutschland zusteht. Die zuständige Ausländerbehörde lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass die Familie der Klägerin ihren Lebensunterhalt überwiegend aus öffentlichen Mitteln bestreite. Auch vor den Verwaltungsgerichten blieb die Klägerin erfolglos. Letztlich entschied das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in dieser Angelegenheit und bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen, erkannte jedoch gleichzeitig an, dass das Daueraufenthaltsrecht der Klägerin nach außen hin sichtbar dokumentiert werden müsse.
Das Daueraufenthaltsrecht nach ARB 1/80
Gemäß Art. 7 Satz 1, 2. Spiegelstrich des Beschlusses 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei hat die Klägerin als Tochter eines türkischen Arbeitnehmers ein Daueraufenthaltsrecht in Deutschland erworben. Dieses Recht ist an sehr enge Voraussetzungen geknüpft, sodass es nur unter besonderen Umständen erlöschen kann. In der Praxis bedeutete dies, dass der Klägerin ein nahezu unbefristetes Aufenthaltsrecht zustand, welches über die Jahre regelmäßig verlängert wurde. Trotz dieses Aufenthaltsrechts beantragte die Klägerin eine unbefristete Niederlassungserlaubnis, um ihr Aufenthaltsrecht dauerhaft und eindeutig zu dokumentieren.
Entscheidung der Ausländerbehörde und der Verwaltungsgerichte
Die Ausländerbehörde lehnte den Antrag auf eine unbefristete Niederlassungserlaubnis mit der Begründung ab, dass die Familie der Klägerin ihren Lebensunterhalt überwiegend aus öffentlichen Mitteln bestritt. Nach geltendem deutschen Recht ist dies ein Ablehnungsgrund für die Erteilung einer unbefristeten Niederlassungserlaubnis. Die Klägerin legte gegen diese Entscheidung Klage ein, die jedoch sowohl vor dem Verwaltungsgericht als auch vor dem Oberverwaltungsgericht abgewiesen wurde. Die Gerichte folgten der Argumentation der Ausländerbehörde, dass die wirtschaftliche Abhängigkeit von staatlichen Leistungen einem unbefristeten Aufenthaltsstatus entgegenstehe.
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen, ging jedoch über deren Urteil hinaus. Es erkannte an, dass der Wunsch der Klägerin, ihr Daueraufenthaltsrecht nach außen hin eindeutig und dauerhaft bescheinigt zu bekommen, berechtigt sei. Das BVerwG stellte fest, dass die bisherige Praxis, eine befristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 4 Abs. 5 AufenthG auszustellen, den Anforderungen des Assoziationsrechts nicht gerecht werde. Eine Aufenthaltserlaubnis, die ein assoziationsrechtliches Daueraufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1, 2. Spiegelstrich ARB 1/80 bescheinigt, müsse eine Gültigkeitsdauer von mindestens fünf Jahren haben und klar erkennen lassen, dass ihr ein assoziationsrechtliches Daueraufenthaltsrecht zugrunde liege.
Fazit
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist von großer Bedeutung für türkische Staatsangehörige, die aufgrund des Assoziationsabkommens ein Daueraufenthaltsrecht in Deutschland haben. Es stellt sicher, dass dieses Recht nicht nur in der Praxis, sondern auch im Rechtsverkehr eindeutig und dauerhaft dokumentiert wird. Die Entscheidung trägt somit zur Rechtssicherheit bei und stärkt die Position der Betroffenen gegenüber Behörden und anderen Institutionen. Zugleich zeigt das Urteil die Grenzen der deutschen Ausländerbehörden auf, wenn es um die Umsetzung europäischen Assoziationsrechts geht.
Quelle: Bundesverwaltungsgericht
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