Bundesverwaltungsgericht, 22.03.2012, Az.: 1 C 5.11
Abschiebungen von Ausländern haben gem. § 11 Abs. 1 S. 1 AufenthG zur Folge, dass der Ausländer, zunächst nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf.
Gem. § 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG darf dem Ausländer auch kein Aufenthaltstitel erteilt werden.
Allerdings können die Wirkungen der Abschiebung gem. § 11 Abs. 1 S. 3 AufenthG auf Antrag befristet werden. Da der Antrag auf Befristung ordnungsgemäß begründet werden sollte, sollte ein Rechtsanwalt mit der Befristung beauftragt werden. Dies insbesondere deshalb weil die Entscheidung über die Frist und die Länge der Frist im Ermessen der Behörde liegt.
Gem. § 11 Abs. 1 S. 4 ist die Frist durch die zuständige Ausländerbehörde unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Ermessenskriterien der Behörde sind zum Beispiel die Länge einer Freiheitsstrafe, die zu einer Ausweisung geführt hat, die Bezahlung von Abschiebekosten oder ob der Antragsteller Ehefrau oder Kinder in Deutschland hat.
Problematisch ist es jedoch, die zuständige Ausländerbehörde für die Befristung der Abschiebung festzustellen, da das Aufenthaltsgesetz in § 71 AufenthG nur die sachliche, nicht aber die örtliche Zuständigkeit regelt.
Genau diese Problematik hatte die oben genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Gegenstand.
Hintergrund des Falls
Die Klägerin, geboren 1934 und türkische Staatsangehörige, reiste im Oktober 1984 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte Asyl. Im Rahmen des Asylverfahrens wurde sie im Januar 1985 der Stadt S. im Hochsauerlandkreis, Nordrhein-Westfalen, zugewiesen und nahm dort ihren Wohnsitz. Nachdem ihr Asylantrag abgelehnt wurde, erhielt sie die Aufforderung zur Ausreise, der sie jedoch nicht nachkam. Stattdessen wurde sie mehrmals geduldet, bis sie 1988 auf Veranlassung des Landrats des Hochsauerlandkreises abgeschoben wurde. Nach einer kurzen Wiedereinreise und einem Folgeantrag auf Asyl, der ebenfalls abgelehnt wurde, kam es 2005 zu einer erneuten Abschiebung in die Türkei.
Im Februar 2006 beantragte die Klägerin beim Landrat des Hochsauerlandkreises, die Wirkungen ihrer Abschiebungen von 1988 und 2005 mit sofortiger Wirkung zu befristen. Sie begründete ihren Antrag damit, dass sie an altersbedingten Krankheiten leide und darauf angewiesen sei, bei ihrem in Berlin lebenden Sohn Unterstützung zu finden. Die Aufhebung der Sperrwirkung sei notwendig, um ein Visum zum Familiennachzug beantragen zu können. Der Landrat des Hochsauerlandkreises entsprach ihrem Antrag teilweise und setzte die Befristung der Abschiebungen auf den 30. April 2010 fest. Der Widerspruch der Klägerin gegen diese Entscheidung wurde zurückgewiesen.
Zuständigkeitskonflikt
Nachdem die Klägerin vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg erfolglos gegen die Entscheidung des Landrats geklagt hatte, stellte sie im Dezember 2009 einen neuen Antrag bei der Ausländerbehörde des Landes Berlin, die Wirkungen der Abschiebungen von 1988 und 2005 mit sofortiger Wirkung zu befristen. Ihr Ziel war es, nach der Befristung ein Visum für den Nachzug zu ihrem Sohn in Berlin zu beantragen. Die Berliner Ausländerbehörde erklärte sich jedoch für nicht zuständig und leitete den Antrag an die Ausländerbehörde des Hochsauerlandkreises weiter. Der Hochsauerlandkreis wiederum informierte die Berliner Behörde im Februar 2010, dass er nicht für die Befristungsentscheidung zuständig sei und sein Einvernehmen mit einer Entscheidung der Berliner Behörde bestehe.
Untätigkeitsklage und Verwaltungsgericht
Im März 2010 erhob die Klägerin eine Untätigkeitsklage vor dem Verwaltungsgericht Berlin, mit der sie das Land Berlin zur sofortigen Befristung der Wirkungen der Abschiebungen von 1988 und 2005 verpflichten wollte. Das Verwaltungsgericht Berlin wies die Klage im Januar 2011 ab und begründete dies damit, dass das Land Berlin nicht entscheidungsbefugt sei. Es argumentierte, dass die Zuständigkeit für die Befristungsentscheidung bei der Behörde liege, die die Abschiebung veranlasst habe. Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Revision beim Bundesverwaltungsgericht ein.
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis, widersprach jedoch dessen Begründung. Es stellte fest, dass das Aufenthaltsgesetz in § 71 nur Regelungen zur sachlichen Zuständigkeit enthalte und keine Aussagen zur örtlichen Zuständigkeit treffe. Somit liege die Entscheidung über die örtliche Zuständigkeit im Ermessen der Länder, was der Kompetenzverteilung gemäß Art. 83 GG entspreche. Eine Annexkompetenz der Behörde, die die Abschiebung veranlasst hat, sei nicht aus dem Verwaltungsverfahrensgesetz ableitbar. Im vorliegenden Fall sei durch entsprechende Anwendung der Regelungen über die örtliche Zuständigkeit im Verwaltungsverfahrensgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen zu ermitteln, dass die Ausländerbehörden in Nordrhein-Westfalen für die Befristungsentscheidung zuständig seien.
Bedeutung des Urteils
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts stellt klar, dass die Zuständigkeit für nachträgliche Befristungsentscheidungen nicht automatisch bei der Behörde liegt, die die Abschiebung veranlasst hat. Vielmehr ist die örtliche Zuständigkeit nach Landesrecht zu bestimmen. Das Urteil verdeutlicht, dass es keine allgemeine Annexkompetenz für nachträgliche Beschränkungen eines Verwaltungsaktes gibt, was wichtige Konsequenzen für ähnliche Fälle haben kann.
Quelle: Bundesverwaltungsgericht
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