Baurecht: Zulässigkeit der Tätigkeit einer Immobilienmaklerin im Wohnhaus im reinen Wohngebiet -
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Baurecht
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von: Helmer Tieben

Oberverwaltungsgericht der freien Hansestadt Bremen, 10.11.2015, Az.: OVG: 1 LB 143/14

Hintergrund des Falls

Der Kläger wehrte sich gegen eine Baugenehmigung, die der Beigeladenen im Jahr 2009 von der Stadt Bremen für eine Nutzungsänderung ihres Wohnhauses erteilt wurde. Beide Parteien besitzen angrenzende Grundstücke im Stadtteil Oberneuland, einem Gebiet, das gemäß Bebauungsplan 832 aus dem Jahr 1971 als reines Wohngebiet ausgewiesen ist. In diesem Plan wird festgelegt, dass nur Wohngebäude mit maximal zwei Wohneinheiten zulässig sind, während Betriebe und Läden, die nicht an explizit gekennzeichneten Stellen errichtet werden, untersagt sind.

Die Baugenehmigung erlaubte der Beigeladenen, zwei Räume im ersten Obergeschoss ihrer Doppelhaushälfte, die zuvor als Gästezimmer und Büro konzipiert waren, zu Büroräumen für ihre freiberufliche Tätigkeit als Immobilienmaklerin und Hausverwalterin umzufunktionieren. Die freiberufliche Nutzung sollte montags bis samstags von 8:00 bis 19:00 Uhr erfolgen und war mit geringem Publikumsverkehr verbunden. Die Räumlichkeiten, die über eine Außentreppe zugänglich sind, umfassen eine Nutzfläche von etwa 28,85 Quadratmetern und beinhalten auch sanitäre Einrichtungen wie ein WC und eine Dusche.

Streitpunkt: Wohn- oder Bürogebäude?

Der Kläger sah in der genehmigten Nutzungsänderung eine Verletzung des Bebauungsplans sowie des Gebots der Rücksichtnahme. Er argumentierte, dass die freiberufliche Tätigkeit der Beigeladenen, die als Immobilienmaklerin und Hausverwalterin arbeitet, nicht den Regelungen eines reinen Wohngebiets entspreche. Darüber hinaus führte er an, dass die Nutzung der Außentreppe und der damit verbundene Kundenverkehr seine Privatsphäre beeinträchtigen würde. Der Kläger befürchtete, dass durch den Zugang über die Außentreppe Einsicht in seinen Garten und seine Wohnräume genommen werden könnte.

Ein weiterer zentraler Punkt war, ob die Büroräume als „Räume“ im Sinne des § 13 der Baunutzungsverordnung (BauNVO) anzusehen sind, da diese Vorschrift eine freiberufliche Nutzung in Wohngebieten erlaubt, solange sie in Räumen eines Wohngebäudes stattfindet. Der Kläger war der Meinung, dass die Räume, da sie über einen eigenen Zugang und sanitäre Einrichtungen verfügen, als eigenständiges Gebäude angesehen werden müssten. Damit wäre die berufliche Nutzung nicht mehr zulässig, da sie den Charakter des Gebäudes als reines Wohnhaus verändern würde.

Entscheidung des Verwaltungsgerichts Bremen

Das Verwaltungsgericht Bremen entschied zugunsten des Klägers und hob die Baugenehmigung auf. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die freiberufliche Tätigkeit der Beigeladenen nicht im Sinne des § 13 BauNVO in „Räumen“ eines Wohnhauses ausgeübt wird, sondern vielmehr einen eigenständigen Gebäudeteil darstellt. Die Außentreppe und die separate Nutzbarkeit der Räume führten nach Ansicht des Gerichts dazu, dass die Nutzung nicht mehr als untergeordnete freiberufliche Tätigkeit betrachtet werden könne, sondern den Charakter eines eigenständigen Gewerbes annehme.

Das Gericht argumentierte, dass die Aufteilung und der Zugang zu den Büroräumen die Anforderungen des Bebauungsplans für ein reines Wohngebiet verletzen. Der Bebauungsplan wolle durch seine Festsetzungen eine Zurückdrängung der Wohnnutzung verhindern, was durch die freiberufliche Nutzung der Beigeladenen jedoch unterlaufen würde.

Berufung der Beklagten

Die Beklagte legte Berufung gegen das Urteil ein und betonte, dass die Nutzung der Büroräume als freiberufliche Tätigkeit unter die Regelung des § 13 BauNVO falle. Ihrer Auffassung nach seien die betreffenden Räume eindeutig Teil eines Wohngebäudes und die berufliche Nutzung habe keinen Einfluss auf den Gesamtcharakter des Gebäudes. Weder die Außentreppe noch die Nutzung der Räume als Büro würden das Gebäude in seiner wesentlichen Funktion als Wohnhaus beeinträchtigen.

Die Beklagte argumentierte weiter, dass die Außentreppe nicht als Hauptzugang zu den Büroräumen, sondern lediglich als Nebeneingang wahrgenommen werde. Zudem sei der Kundenverkehr minimal und verursache keine erheblichen Störungen. Die Nutzung durch eine freiberufliche Tätigkeit sei damit gebietsverträglich und stehe im Einklang mit den Regelungen für ein reines Wohngebiet.

Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Bremen

Freiberufliche Tätigkeit ist der Wohnnutzung untergeordnet

Das Oberverwaltungsgericht Bremen gab der Berufung der Beklagten statt und hob das Urteil des Verwaltungsgerichts auf. Das Gericht stellte fest, dass die Nutzung der Räume als Büro für die freiberufliche Tätigkeit der Beigeladenen gemäß § 13 BauNVO zulässig sei. Entscheidend sei, dass die freiberufliche Tätigkeit in „Räumen“ eines Wohngebäudes stattfinde und der Wohncharakter des Gebäudes durch die zusätzliche Nutzung nicht verloren gehe. Der beruflich genutzte Bereich mit 28,85 Quadratmetern sei im Vergleich zur Gesamtwohnfläche von 162,71 Quadratmetern untergeordnet und verändere nicht die Prägung des Gebäudes als Wohnhaus.

Auch die Außentreppe sah das Gericht nicht als unzumutbare Beeinträchtigung für den Kläger an. Sie sei ein untergeordneter Zugang und verursache keinen übermäßigen Publikumsverkehr. Die Einsichtsmöglichkeit von der Treppe auf das Grundstück des Klägers sei durch den vorhandenen Bewuchs begrenzt, und selbst im Winter seien die Einblicke nicht so erheblich, dass sie als unzumutbare Störung gewertet werden könnten.

Tätigkeit als Immobilienmaklerin und Hausverwalterin fällt unter freiberufliche Tätigkeit

Kennzeichnend für eine freiberufliche Tätigkeit sei, dass die betreffende Person persönliche Dienstleistungen erbringt, die vorwiegend auf individuellen geistigen Leistungen oder sonstigen persönlichen Fähigkeiten beruhen und in der Regel in unabhängiger Stellung einem unbegrenzten Personenkreis angeboten werden, wobei zur Orientierung auf § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG und § 1 Abs. 2 Satz 1 PartGG zurückgegriffen werden kann (BayVGH, Beschluss vom 29. Mai 2015 – 9 ZB 14.2580 –, Rn. 13, juris; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 20.1.1984 – 4 C 56/80 – BVerwGE 68, 324). Zwar werde die der Beigeladenen genehmigte berufliche Tätigkeit der Immobilienmaklerin und Hausverwalterin in diesen Katalogen nicht genannt, diese stelle aber eine in ihrer Art der freiberuflichen Berufsausübung ähnliche gewerbliche Tätigkeit dar. Die gleiche Behandlung der „freien“ und diesen „ähnlichen“ Berufe beruhe auf der vergleichbaren Art ihrer Ausübung, nämlich dem Angebot persönlicher Dienstleistungen in unabhängiger Stellung und gerichtet an einen unbegrenzten Kreis von Interessenten. Die amtliche Begründung zu § 13 BauNVO (BR-Drucks. 53/62 vom 25. Mai 1962, Anlage S. 8) nenne als Beispiele die Handelsvertreter ohne Auslieferungslager, die Handelsmakler, Versicherungsvertreter oder Masseure (BVerwG, Urteil vom 20.1.1984 a.a.O.). Auch die Hausverwaltung könne hierzu gerechnet werden. Auf die Rechtsform der Leistungserbringung komme es grundsätzlich nicht an. Entscheidend sei, dass der Gegenstand des Unternehmens und die tatsächlichen Aktivitäten nur Tätigkeiten im Sinne des § 13 BauNVO sind und die Gesellschafter die freiberuflichen Dienstleistungen persönlich erbringen.

Das Oberverwaltungsgericht entschied, dass weder das Gebot der Rücksichtnahme gemäß § 15 BauNVO verletzt wurde, noch dass der Kläger in seinen Rechten durch die Nutzungsänderung beeinträchtigt sei. Der geringe Kundenverkehr und die Nutzung durch zwei gelegentliche Mitarbeiter seien in einem reinen Wohngebiet zulässig, solange der Charakter als Wohngebiet gewahrt bleibe.

Fazit der gerichtlichen Entscheidung

Dieser Fall verdeutlicht, dass selbst in reinen Wohngebieten eine freiberufliche Nutzung unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein kann. Wesentlich ist, dass die berufliche Nutzung sich auf „Räume“ im Sinne des § 13 BauNVO beschränkt und der Wohncharakter des Gebäudes erhalten bleibt. Das Urteil zeigt auch, wie wichtig die Einhaltung von Bebauungsplänen ist und dass das Rücksichtnahmegebot im Einzelfall individuell geprüft werden muss. Der Fall zeigt, dass eine sorgfältige Abwägung zwischen beruflicher Nutzung und den Interessen der Nachbarschaft entscheidend ist.

Quelle: Oberverwaltungsgericht der freien Hansestadt Bremen

Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

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