Verwaltungsgericht Düsseldorf, 29.07.2024, Az.: 8 K 1094/24
Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat in einem richtungsweisenden Urteil zugunsten einer Klägerin entschieden, die ihre Einbürgerung in Deutschland beantragt hatte. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stand die Frage, ob die Klärung der kosovarischen Staatsangehörigkeit eine zwingende Voraussetzung für die Einbürgerung darstellt und welche Mitwirkungspflichten den Einbürgerungsbewerber treffen. Dieses Urteil beleuchtet wichtige Aspekte des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts und der Verwaltungspraxis.
Hintergrund des Falls
Die Klägerin, geboren im Kosovo und im Besitz einer Niederlassungserlaubnis seit 2014, beantragte im Jahr 2021 ihre Einbürgerung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG. Die zuständige Behörde machte die Einbürgerung von der Aufgabe ihrer vermeintlichen kosovarischen Staatsangehörigkeit abhängig, obwohl die Klägerin argumentierte, diese nie erworben zu haben. Die Behörde verwies dabei auf Art. 155 der Verfassung des Kosovo, der allen Personen, die am 1. Januar 1998 ihren Wohnsitz im Kosovo hatten, automatisch die kosovarische Staatsangehörigkeit zuweist.
Entscheidung des Gerichts
Rechtsgrundlage: § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG
Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG besteht ein Anspruch auf Einbürgerung, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Zu diesen zählen unter anderem:
- ein rechtmäßiger und gewöhnlicher Aufenthalt im Bundesgebiet seit mindestens fünf Jahren,
- geklärte Identität und Staatsangehörigkeit,
Das Gericht stellte fest, dass die Klägerin alle Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllt und keine Versagungsgründe (§ 11 StAG) vorliegen.
Geklärte Identität und Staatsangehörigkeit
Das Gericht betonte, dass gemäß der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 23. September 2020 – 1 C 36.19 –, Rn. 17) die Klärung der Identität Vorrang vor der Klärung der Staatsangehörigkeit hat. Die Identität der Klägerin sei zweifelsfrei geklärt, u. a. durch den vorgelegten jugoslawischen Reisepass und durch ihre Aussagen über ihren Lebenslauf.
Die kosovarische Staatsangehörigkeit wurde im Rahmen der Tatsachenfeststellung durch das Gericht gemäß § 173 VwGO i. V. m. § 293 ZPO geklärt. Nach Art. 155 Abs. 1 der Verfassung des Kosovo und Art. 29 des kosovarischen Staatsangehörigkeitsgesetzes von 2008 wird Personen, die am 1. Januar 1998 ihren Wohnsitz im Kosovo hatten, automatisch die kosovarische Staatsangehörigkeit verliehen. Die Aussagen der Klägerin und die vorgelegten Dokumente ließen keinen Zweifel daran, dass sie die Voraussetzungen erfüllt.
Unzumutbarkeit der Nachregistrierung
Das Gericht wies die Forderung der Beklagten nach einer Nachregistrierung im Kosovo zurück. Es argumentierte, dass die Vorlage bestimmter Dokumente wie eines kosovarischen Reisepasses keine gesetzliche Tatbestandsvoraussetzung ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Februar 2005 – 1 C 29.03 –, Rn. 18). Die Klägerin hatte durch andere Nachweise glaubhaft gemacht, dass sie die kosovarische Staatsangehörigkeit besitzt.
Das Gericht berief sich auch auf den Erlass des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen vom 19. August 2021, wonach Personen, die im Kosovo geboren wurden, als kosovarische Staatsbürger anzusehen sind, sofern keine anderweitigen Zweifel bestehen.
Rechtliche Analyse: Stufenmodell und Mitwirkungspflichten
Das Stufenmodell des Bundesverwaltungsgerichts
Das Stufenmodell, das ursprünglich für die Klärung der Identität entwickelt wurde (BVerwG, Urteil vom 1. September 2011 – 5 C 27.10 –, Rn. 11), sieht vor, dass die Identität in der Regel durch offizielle Dokumente wie einen Pass nachgewiesen wird. Eine starre Regelung, wonach die Staatsangehörigkeit nur durch bestimmte Dokumente nachzuweisen ist, wurde jedoch verneint.
Das Verwaltungsgericht Düsseldorf betonte, dass dieses Modell nicht uneingeschränkt auf die Klärung der Staatsangehörigkeit angewendet werden kann. Die Staatsangehörigkeit ist eine Tatfrage, die nach der freien Beweiswürdigung des Gerichts zu klären ist (BVerwG, Urteil vom 8. Februar 2005 – 1 C 29.03 –, Rn. 18). Es sei unverhältnismäßig, von der Klägerin eine Nachregistrierung im Kosovo zu verlangen, da diese weder gesetzlich vorgeschrieben noch erforderlich sei, um die kosovarische Staatsangehörigkeit festzustellen.
Mitwirkungspflichten gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG
Die Behörde argumentierte, dass die Klägerin ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sei. Gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG trifft Einbürgerungsbewerber die Pflicht, an der Feststellung von Tatsachen mitzuwirken, die für das Verfahren erheblich sind. Das Gericht stellte jedoch klar, dass diese Pflicht nicht überzogen werden darf und dass eine Nachregistrierung im Kosovo unzumutbar sei, insbesondere angesichts der politischen und administrativen Hürden vor Ort.
Bedeutung des Urteils für das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht
Stärkung der Rechte von Einbürgerungsbewerbern
Das Urteil stärkt die Rechte von Einbürgerungsbewerbern, indem es die Anforderungen an die Mitwirkungspflichten klar eingrenzt. Es zeigt, dass Behörden nicht übermäßig strenge Nachweise verlangen dürfen, wenn die Identität und Staatsangehörigkeit auf andere Weise glaubhaft gemacht werden können.
Verhältnis von Identitäts- und Staatsangehörigkeitsklärung
Das Gericht hob hervor, dass die Klärung der Identität eine zentrale Voraussetzung ist und die Staatsangehörigkeit oft aus der Identitätsfeststellung abgeleitet werden kann. Diese Sichtweise entspricht der Rechtsprechung des BVerwG (Urteil vom 23. September 2020 – 1 C 36.19 –, Rn. 12) und trägt dazu bei, das Verfahren für Einbürgerungsbewerber transparenter zu gestalten.
Praktische Konsequenzen für die Verwaltungspraxis
Die Entscheidung verdeutlicht, dass die Behörden sich stärker an der realen Situation in den Herkunftsländern orientieren müssen. In Fällen wie dem der Klägerin, in denen die Staatsangehörigkeit ohne zusätzliche Maßnahmen geklärt werden kann, sind weitere Anforderungen unverhältnismäßig.
Rechtliche und gesellschaftliche Relevanz
Rechtsprechungsnachweise
Das Urteil baut auf einer Reihe wichtiger Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und anderer Gerichte auf, darunter:
- BVerwG, Urteil vom 23. September 2020 – 1 C 36.19 (zur Klärung der Identität und Staatsangehörigkeit),
- BVerwG, Urteil vom 8. Februar 2005 – 1 C 29.03 (zur freien Beweiswürdigung bei Staatsangehörigkeitsfragen),
- OVG NRW, Urteil vom 29. Juni 2020 – 19 A 1420/19.A (zur Ermittlung ausländischen Rechts im Staatsangehörigkeitsrecht).
Gesetzliche Grundlagen
Die rechtliche Beurteilung stützt sich maßgeblich auf:
- § 10 StAG (Einbürgerungsvoraussetzungen),
- § 12 StAG (Vermeidung von Mehrstaatigkeit),
- § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (Mitwirkungspflichten von Ausländern),
- Art. 155 kosovarische Verfassung (Erwerb der kosovarischen Staatsangehörigkeit).
Quelle: Verwaltungsgericht Düsseldorf
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