VG Schleswig, 27.01.2011, Az.: 6 A 60/10
Wir haben an dieser Stelle schon des Öfteren über die rechtlichen Voraussetzungen der Errichtung von Biogasanlagen/Biomasseanlagen berichtet und aktuelle Gerichtsentscheidungen in diesem Zusammenhang vorgestellt:
Nachbarschutz gegen Biogasanlagen/Biomasseanlagen
Kein Nachbarschutz gegen Gerüche einer Biogasanlage
Die rechtlichen Anforderungen an Biogasanlagen können sich aus den verschiedensten Rechtsgebieten wie dem Immissionsschutzrecht, dem Baurecht, dem Naturschutzrecht, dem Abfallrecht, dem Hygienerecht, dem Wasserrecht oder dem Düngemittelrecht ergeben.
Insbesondere die Frage der Zumutbarkeit von Geruchs- und Lärmbelästigungen der bestehenden oder zu errichtenden Biogasanlage/Biomasseanlage ist in den meisten Fällen zwischen den Parteien strittig.
Da die den Bundesimmissionsschutzgesetz zugehörigen Verordnungen TA Lärm und TA Luft keine Regelungen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geruchsimmissionen haben, wurde diese Regelungslücke durch die Geruchsimmissions-Richtlinie, Feststellung und Beurteilung von Geruchsimmissionen – GIRL geschlossen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat zu der GIRL in einem Beschluss vom 07.05.2007, (Az.: 4 B 5.07) festgestellt: Die GIRL ist „ein rechtlich nicht verbindliches Regelwerk, welches lediglich technische Normen enthält, die auf den Erkenntnissen und Erfahrungen von Sachverständigen beruhen und die Bedeutung von allgemeinen Erfahrungssätzen und antizipierten Sachverständigengutachten haben.“
Bei der mit der GIRL zu erstellenden Bewertung, ob eine Belästigung als erheblich und damit als schädliche Umwelteinwirkung anzusehen ist, sind eine Vielzahl von Kriterien heranzuziehen. Zu diesen Kriterien zählen die Geruchsart, die Geruchsintensität, die tages- und jahreszeitliche Verteilung der Einwirkungen, der Rhythmus, in dem die Belastungen auftreten und die Nutzung des jeweiligen Gebietes.
In dem oben genannten Fall hatte das VG Schleswig nun darüber zu entscheiden, ob eine Biogasanlage in unmittelbarer Nähe zu einem ehemaligen landwirtschaftlichen Wohn- und Wirtschaftsgebäude unzulässig ist.
Facts: Die Klägerin war unmittelbare Anwohnerin einer bereits bestehenden Biogasanlage im Kreis Nordfriesland. Das im Eigentum der Klägerin stehende Wohngebäude war Teil eine ehemaligen landwirtschaftlichen Wohn- und Wirtschaftsgebäudes.
Insbesondere die von der Anlage ausgehenden Geruchsbelästigungen empfand die Klägerin als unzumutbar und klagte daher vor dem Verwaltungsgericht Schleswig.
Verwaltungsgericht Schleswig: Das VG Schleswig gab der Klage der Klägerin statt und urteilte, dass die Genehmigung der Biogasanlage gegen das Bundesimmissionsschutzgesetz sowie das baurechtliche Rücksichtnahmegebot verstoße.
Gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG seien genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können.
In diesem Zusammenhang habe die zuständige Genehmigungsbehörde die angestellte Immissionsprognose unzutreffend gewichtet.
Da die Biogasanlage aufgrund der Prognose den im Außenbereich von der GIRL als unbedenklich eingestuften Wert von 0,15 um 0,05 überschreite, hätte es in diesem Fall einer weitergehenden Einzelfallbewertung bedurft.
Diese Einzelfallbewertung habe vorliegend aber nur zugunsten der Klägerin ausfallen können, da es weder auf dem Grundstück der Klägerin noch in der unmittelbaren Nachbarschaft eine notwendige Vorprägung durch andere Gewerbebetriebe oder Biogasanlagen gebe.
Darüber hinaus urteilte das VG Schleswig, dass die genehmigte Anlage keine planmäßige Weiterentwicklung des Grundstücks der Klägerin darstelle und die Intensivierung der Nutzung zum Zeitpunkt des Verkaufs des Wohngebäudes nicht beabsichtigt gewesen sei.
Im Übrigen verstoße die Biogasanlage gegen das baurechtliche Rücksichtnahmegebot.
Dieses Gebot ist eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgebotes und besagt, dass grundsätzlich ein angemessener Ausgleich zwischen dem Bauherrn und seiner Umgebung hergestellt werden muss.
Es ist verletzt, wenn durch ein Vorhaben eine bestimmte Person oder ein bestimmter Personenkreis besonders individualisiert und qualifiziert betroffen ist.
Das VG urteilte, dass dieser Grundsatz vorliegend verletzt sei, da das Wohngrundstück der Nachbarin durch die in unmittelbarer Nähe errichtete Anlage und deren Betriebsabläufe vollständig erdrückt werde.
Dieser für die Nachbarin nicht zumutbare Zustand hätte durch die Wahl eines anderen Standorts, gegebenenfalls unter Inkaufnahme der Kosten eines Bebauungsplan-Verfahrens, vermieden werden können.
Quelle: VG Schleswig
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