Landgericht Essen, Beschluss vom 06.11.2023, Az.: 10 S 122/23
Ob ein privat aufgenommenes Video in einem Zivilprozess zu Beweiszwecken verwendet werden darf, hängt von einer Interessenabwägung ab. So ist regelmäßig das Beweisinteresse des Videoinhabers mit dem Privatinteresse des Prozessgegners abzuwägen. Dies führte insbesondere bei sogenannten Dashcamaufnahmen bei Verkehrsunfallprozessen zu Streitigkeiten der Verwertbarkeit.
In dem hier besprochenen Fall des Landgerichts Essen, hatte dieses im Berufungsverfahren darüber zu entscheiden,
Facts of the Case:
Mieter hatten Wohnung und Carport gemietet
Die Beklagten in diesem Rechtsstreit waren die Mieter, die Klägerin die Vermieterin. Vermietet waren eine Wohnung im Erdgesch0ss in Bottrop sowie ein Stellplatz mit Carport und ein Schuppen, welcher durch einen Wanddurchbruch der Beklagten vom Hinterhaus erreichbar war.
Mit Schreiben vom 18.11.2022 hatten die Kläger die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses erklärt. Gestützt wurde die Kündigung auf einen Vorfall vom 15.11.2022. An diesem Tag waren für die Kläger Handwerker vor Ort, um Sanierungsmaßnahmen durchzuführen. Hierfür nutzten die Handwerker den gemeinschaftlichen Wasserhahn an der Außenwand, um Baustoffe anzurühren. Damit waren die Beklagten nicht einverstanden.
Vermieterin filmte die Mieter dabei, wie sie die Vermieterin beleidigten und bedrohten
Mit Schriftsatz vom 20.12.2022 hatten die Kläger erneut die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses erklärt und diese auf eine Sachbeschädigung hinsichtlich des Wanddurchbruchs und die Herstellung eines baurechtswidrigen Zustands gestützt.
Die Kläger haben behauptet, dass die Beklagten sie lautstark auf Türkisch beschimpft hätten, u. a. als „Schlampe“ und „Nutte„. Außerdem hätten die Beklagten geäußert, dass sie jedes Mal, wenn die Klägerin Besuch erhalte, lautstark aus dem Fenster schreien würden. Ferner habe sie gesagt: „Du kannst deine Fotze auf der Straße verkaufen, das was du suchst habe ich nicht„. Außerdem hätten die Beklagten Handzeichen gemacht habe, als wollten sie etwas anzünden und anschließend aufsteigenden Rauch gestikuliert.
Vermieterin wurde unter anderem als Schlampe und Nutte beschimpft
Schließlich habe eine der Beklagten bedrohlich in Richtung der Klägerin gestikuliert und zweimal „ich bringe dich um“ gesagt.
Die Kläger behaupten ferner, dass der Stellplatz/Carport und der Schuppen nicht an die Beklagten vermietet gewesen seien. Dafür würden sie auch keine Miete zahlen. Die Nutzung des Schuppens zu Wohnzwecken sei darüber hinaus illegal, da eine Baugenehmigung hierfür nicht vorliege.
Als Beweis für die Beleidigungen und Bedrohungen reichte die Klägerin 2 Handyvideos ein, sie hatte die Beklagten offen gefilmt.
Amtsgericht hatte Videos angeschaut und die Mieter zur Räumung verurteilt
Das erstinstanzlich angerufene Amtsgericht hatte Beweis erhoben und die Videos in Augenschein genommen und die Beklagten zur Räumung und Herausgabe verurteilt. Gegen dieses Urteil richteten die Beklagten die Berufung zum Landgericht Essen und argumentierten, dass die in Augenschein genommenen Videos nicht verwertbar seien. Zumindest hätten die durch die Beklagten benannten Zeugen gehört werden müssen.
Beschluss des Landgerichts Essen:
Landgericht folgte der Ansicht des Amtsgerichts
In seinem Beschluss folgte das Landgericht dem Amtsgericht und entschied, dass das Amtsgericht den Beweis in nicht zu beanstandender Weise erhoben und überzeugend gewürdigt habe. Nach dem Ergebnis der Inaugenscheinnahme der Videoaufzeichnungen in der mündlichen Verhandlung hätten die Beklagten die Klägerin beleidigt und bedroht. So sei die Klägerin als „Drecksstück“ beleidigt worden und ihr sei gesagt worden: „Du bist doch kein Mensch„.
Auch die Bedrohungen „sonst bringe ich Dich um“ und „das Haus wirst Du sowieso irgendwann verlieren“ seien aus den Videos ersichtlich.
Beweisaufnahme hätte ergeben, dass die Vermieterin beleidigt und bedroht worden sei
§ 286 ZPO i. V. m. Art 103 Abs. 1 GG verpflichte das Gericht, den von den Parteien vorgetragenen Sachverhalt und die von ihnen angebotenen Beweise vollständig zu berücksichtigen. Eine unzulässige Beweiserhebung führe daher nicht automatisch dazu, dass hierdurch erlangte Erkenntnisse bei der Beweiswürdigung nicht verwertet werden dürfen. Die Verwertung eines vom Gericht erhobenen Beweises habe nur zu unterbleiben, wenn dies ein Gesetz ausdrücklich anordne (z. B § 51 BZRG hinsichtlich getilgter oder tilgungsreifer Verurteilungen, § 7 Abs. 2 AutobahnmautG für Aufzeichnungen der Erfassungsanlagen) oder wenn die Beweiserhebung ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht einer Partei verletzt habe, ohne dass dies zur Gewährleistung eines im Rahmen der Güterabwägung als höherwertig einzuschätzenden Interesses der anderen Partei oder eines anderen Rechtsträgers nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt erscheine.
Interesse an Beweisverwertung von Aufnahmen habe Interesse an Privatsphäre überwogen
Zwar würden (verdeckte u offene) Foto-, Film- oder Videoaufnahmen ohne Zustimmung des Abgelichteten regelmäßig einen Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG darstellen und würden sein Recht am eigenen Bild (§ 22 KUG) verletzen; dies gelte auch für Aufnahmen, die in der Öffentlichkeit zugänglichen Bereichen erfolgen. Diese könnten aber – soweit nicht der unantastbare Intimbereich betroffen sei (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 05.05.1997, Az. 5 U 82/96, NJW-RR 98, 241) – im Einzelfall gerechtfertigt und damit ausnahmsweise verwertbar sein, wenn das Interesse an der Verwertung der Aufnahmen das Interesse des Beweisgegners an Privatsphäre überwiege (vgl. EGMR, Urt. v. 27.05.2014, Az. 10724/09, NJW 2015, 1079 [1080]; Saenger, in Ders., ZPO, 9. Aufl., 2021, § 286 Rdnr. 27).
Ein Überwiegen der Beweisführungsinteressen der Kläger habe das Amtsgericht hier zutreffend bejaht.
Source: District Court of Essen
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