Bundesfinanzhof, 15.03.2012, Az.: III R 29/09
Kindergeld erhält jeder, der seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat und der ein Kind in seinem Haushalt aufzieht und das Sorgerecht für dieses Kind innehält.
Die Sozialleistung Kindergeld knüpft somit nicht an die Staatsbürgerschaft an, sondern nur an den gewöhnlichen Aufenthalt bzw. den Wohnsitz an, so dass Ausländer ebenfalls kindergeldberechtigt sind. Dies ist Ausfluss des Sozialstaatsprinzips des deutschen Grundgesetzes.
Das Kindergeld wird dabei nicht an das Kind bezahlt, sondern als Finanzhilfe an die Erziehungsberechtigten. Wenn die Eltern getrennt leben, wird das Kindergeld nicht aufgeteilt, sondern nur ein Elternteil erhält die Sozialleistung. Dies ist normalerweise derjenige, in dessen Haushalt der Lebensmittelpunkt des Kindes liegt.
Normalerweise wird Kindergeld nur bis zum 18. Lebensjahr gewährt. Es kann aber bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres weiter gezahlt werden, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.
Diese Voraussetzungen sind in § 32 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes niedergelegt. Danach kann für volljährige Kinder bis zum 27. Lebensjahr ebenfalls Kindergeld gewährt werden,
– wenn das Kind nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und bei einer Agentur für Arbeit im Inland als Arbeitssuchender gemeldet ist,
– wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird
– wenn das Kind eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatz nicht beginnen oder fortsetzen kann oder
– wenn das Kind ein freiwilliges soziales Jahr oder ein freiwilliges ökologisches Jahr ableistet.
Gemäß § 32 Abs. 4 Nr. 3 EStG kann für ein volljähriges Kind ebenfalls Kindergeld beansprucht werden, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung nicht in der Lage ist, durch eigene Erwerbstätigkeit oder durch andere Einkünfte und Bezüge seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
In dem oben genannten Urteil des Bundesfinanzhofes hatte sich dieser mit der Frage zu beschäftigen, ob für ein volljähriges behindertes Kind auch Kindergeld gezahlt werden muss, obwohl das Kind einer Erwerbstätigkeit nachgeht, aus dieser Erwerbstätigkeit seinen Lebensunterhalt aber nicht bestreiten kann.
Sachverhalt des gerichtlichen Verfahrens
Nach Abschluss der Ausbildung arbeitete das gehörlose Kind als Köchin
Das seit seiner Geburt gehörlose Kind der Klägerin besuchte zunächst eine Gehörlosenschule und erlernte anschließend in einem Bildungswerk für Hör- und Sprachgeschädigte den Beruf der Beiköchin. Beiköche arbeiten nach Anleitung und unter Aufsicht erfahrener Köche und werden üblicherweise in Großküchen von Krankenhäusern, Altenheimen und ähnlichen Einrichtungen eingesetzt.
Mit dem Ausbildungsgehalt konnte das Kind seinen Lebensunterhalt nicht sicherstellen
Das Kind war nach Abschluss seiner Ausbildung zunächst als Köchin tätig. Nach einer Phase der Arbeitslosigkeit fand es dann eine Anstellung als Küchenhilfe in einer Fleischerei. Trotz der jeweiligen Erwerbstätigkeit war es nicht in der Lage, mit den hieraus erzielten Einkünften seinen gesamten Lebensbedarf zu decken.
Da die Auszahlung des Kindergeldes verweigert wurde, klagte die Erziehungsberechtigte zunächst vor dem zuständigen Finanzgericht.
Finanzgericht urteilte, dass der klagenden Mutter kein Geld zustünde, da die Behinderung für den Lohn nicht ursächlich sei
Das Finanzgericht entschied, dass der Klägerin kein Kindergeld zusteht. Gemäß § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG setze die steuerliche Berücksichtigung eines behinderten Kindes voraus, dass das Kind wegen seiner Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.
Da ihr Kind einer Erwerbstätigkeit nachgehe, sei es in der Lage, selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Dass der Verdienst des Kindes nicht ausreiche, um den gesamten Lebensbedarf zu decken, sei insofern unbeachtlich, da dies nicht an der Behinderung liege, sondern an den geringen Löhnen, die im Beruf der Beiköchin gezahlt würden.
Urteil des Bundesfinanzhofes
BFH sah Behinderung doch als ursächlich an
Der BFH folgte der Ansicht des Finanzgerichtes nicht. Es sei primär die Frage zu stellen, warum ein Kind, das arbeitet, von seiner Hände Arbeit dennoch nicht leben könne. Das könne auf unterschiedlichsten Gründen beruhen. So könne das allgemeine Lohnniveau so niedrig liegen, dass auch ein nicht behinderter Mensch nicht in der Lage sei, mit einer Vollzeittätigkeit seinen Lebensunterhalt zu decken (z.B. prekäres Arbeitsverhältnis).
In diesem Fall könne das Kind steuerlich nicht berücksichtigt werden, weil nicht die Behinderung, sondern die schlechte Arbeitsmarktsituation ursächlich dafür sei, dass das Geld zum Leben nicht reiche.
Wegen der Behinderung könne das Kind nur im Niedriglohnsektor eine Arbeit finden
Es könne aber auch so sein, dass das Kind von vornherein in Folge seiner Behinderung in der Berufswahl dermaßen eingeschränkt sei, dass ihm nur eine behinderungsspezifische Ausbildung mit späteren ungünstigen Beschäftigungsmöglichkeiten offen stünde.
Wenn man wegen seiner Behinderung überhaupt nur im Niedriglohnsektor eine bezahlte Arbeit finde, dann sei die Behinderung die eigentliche Ursache für die Unfähigkeit, sich selbst zu unterhalten.
Nichts anderes gelte, so der BFH weiter, wenn das Kind wegen seiner Behinderung in seiner Leistungsfähigkeit derart eingeschränkt sei, dass es von vornherein nur einer Teilzeitbeschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen könne.
Welche Ursache letztendlich für die Unfähigkeit des Kindes, sich selbst zu unterhalten, verantwortlich sei, habe das Finanzgericht als Tatsachengericht festzustellen. Der BFH wies die Rechtssache daher an das FG zurück.
Quelle: Bundesfinanzhof
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