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Versorgungssperre im Gewerbemietrecht: OLG Hamburg stärkt Mieterrechte

Einleitung: Versorgungssperren – also das Abstellen essenzieller Versorgungsleistungen wie Wasser oder Strom – sorgen immer wieder für Konflikte im Gewerbemietrecht zwischen Gewerbemietern und Gewerbevermietern. Das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg hat am 05.02.2025 (Az. 4 U 95/24) ein wichtiges Urteil zu diesem Thema gefällt​. In dem Fall ging es um die Abstellung der Wasserversorgung in einem Gewerbemietobjekt während eines laufenden Räumungsrechtsstreits. Der folgende Artikel fasst den Sachverhalt und die Kernaussagen des Urteils verständlich zusammen und ordnet sie ein. Sowohl Mieter als auch Vermieter erfahren hier, welche Rechte und Pflichten im Falle einer Versorgungssperre bestehen und wo die Grenzen zulässigen Verhaltens liegen.

Sachverhalt: Räumungsprozess und abgedrehte Wasserversorgung

Im zugrunde liegenden Fall stritten eine Gewerbemieterin (Verfügungsklägerin) und eine Vermieterin (Verfügungsbeklagte) über ein Büroobjekt in Hamburg​. Der ursprünglich bis 30.04.2020 befristete Gewerbemietvertrag enthielt Verlängerungsoptionen. Die Mieterin hatte eine erste Verlängerung um vier Jahre wirksam gezogen, über eine weitere fünfjährige Verlängerung bestand jedoch Uneinigkeit​. Die Vermieterin kündigte den Mietvertrag daraufhin – sowohl ordentlich als auch außerordentlich – und verlangte die Räumung des Objekts​. Die Mieterin widersprach den Kündigungen, berief sich auf die Verlängerungsoption und nutzte das Mietobjekt weiter​. Parallel lief also bereits ein Räumungsprozess vor Gericht, um klären zu lassen, ob das Mietverhältnis wirksam beendet ist und die Mieterin räumen muss.

Im Juli 2024 kam es zur Eskalation: Am 11.07.2024 drehte die Vermieterin die Wasserversorgung des Büros ab​. Als Grund gab sie an, im Keller eine Wasserpfütze entdeckt zu haben​. Für die Mieterin war dies jedoch geschäftsbedrohlich – ohne Wasser konnte der Gewerbebetrieb kaum fortgeführt werden. Sie forderte die Vermieterin daher umgehend auf, das Wasser wieder anzustellen, und setzte hierfür eine Frist​. Nachdem die Vermieterin dennoch keine Wiederanschaltung vornahm, schaltete die Mieterin das Gericht ein: Sie beantragte beim Landgericht Hamburg den Erlass einer einstweiligen Verfügung, um die Wasserversorgung sofort wiederherstellen zu lassen​.

Das Landgericht Hamburg gab der Mieterin in dieser Eilsache Recht. Mit Beschluss vom 22.07.2024 erließ es eine einstweilige Verfügung, die die Vermieterin verpflichtete, sofort wieder Wasser zu liefern und künftige Unterbrechungen zu unterlassen​. Zur Begründung stellte das Landgericht darauf ab, dass nach seiner summarischen Prüfung das Mietverhältnis nicht eindeutig beendet sei – die Wirksamkeit der Kündigung war also zweifelhaft – und bei dieser unklaren Lage die Vermieterin die Versorgung nicht einfach eigenmächtig kappen dürfe​. Die Beweislast für eine Vertragsbeendigung liege bei der Vermieterin, und Zweifel im Eilverfahren gehen zu ihren Lasten​. Gegen diese Entscheidung legte die Vermieterin Berufung zum OLG Hamburg ein, blieb dort jedoch ohne Erfolg​.

Kernaussagen des Urteils (OLG Hamburg, 4 U 95/24)

Anspruch auf Wasserversorgung auch nach Vertragsende (§ 242 BGB)

Das OLG Hamburg bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz vollumfänglich​. Selbst während eines laufenden Räumungsstreits habe der Mieter einen Anspruch darauf, weiter mit Wasser versorgt zu werden und sein Gewerbe ungestört fortzuführen​. Entscheidend war, dass das Mietverhältnis zum Zeitpunkt der Sperre nicht rechtskräftig beendet war – die Wirksamkeit der Kündigung war ja gerade Gegenstand des Streits​. Solange nicht feststeht, dass der Vertrag wirklich beendet ist, muss der Vermieter die vertraglichen Pflichten weiter erfüllen, wozu die Bereitstellung von Wasser als wesentliche Versorgungsleistung zählt​.

Doch sogar für den Fall, dass der Vertrag bereits beendet wäre, erkannte das Gericht einen Anspruch der Mieterin aus nachvertraglichen Pflichten nach Treu und Glauben (§ 242 BGB)​. Nach der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs enden mit der Vertragsbeendigung zwar grundsätzlich die Leistungspflichten des Vermieters (z.B. Gebrauchsüberlassung nach § 535 Abs.1 BGB)​. Jedoch können einzelne Pflichten in Ausnahmesituationen fortbestehen, wenn es der Grundsatz von Treu und Glauben gebietet​. Das OLG Hamburg verwies darauf, dass bei Gewerbemietverhältnissen solche nachvertraglichen Pflichten aus besonderen Interessen des Mieters resultieren können – etwa wenn der Mieter aus nachvollziehbaren Gründen davon ausgeht, weiterhin zum Besitz berechtigt zu sein​. Genau so lag der Fall hier: Die Mieterin durfte aufgrund der offenen Rechtslage annehmen, das Mietverhältnis bestehe fort, und war auf Wasser zur Aufrechterhaltung ihres Geschäftsbetriebs angewiesen​.

Verhalten der Parteien und Interessenabwägung

Das Urteil stellt klar, dass Vermieter nicht zu Selbsthilfe greifen dürfen, um ihre Interessen durchzusetzen​. Eine eigenmächtige Versorgungssperre – etwa um Druck in einem Räumungsverfahren aufzubauen – ist unzulässig, solange nicht höchstrichterlich feststeht, dass der Mieter keinen Besitzrecht mehr hat​. Stattdessen muss der Vermieter den geordneten Rechtsweg beschreiten (hier also den Räumungsprozess bis zum Ende führen) und bis dahin die Besitzrechte des Mieters respektieren​. Im konkreten Fall bewertete das Gericht das Verhalten der Vermieterin kritisch: Die angeführte Begründung eines gefundenen „Wasserschadens“ (Wasserpfütze im Keller) rechtfertigte das Abstellen nicht, zumal keine akute Gefährdung für Gebäude oder Dritte bestand​. Dieses Verhalten der Vermieterin überschritt die Grenzen zulässigen Vermieterhandelns deutlich​.

Gleichzeitig wog das OLG die Interessen beider Seiten sorgsam ab. Ein zentrales Kriterium war dabei das finanzielle Verhalten des Mieters. Wichtig: Der Mieter hatte trotz der Kündigung weiterhin Miete und Nebenkostenvorauszahlungen gezahlt​. Damit entstanden der Vermieterin durch die fortgesetzte Wasserversorgung keine untragbaren Nachteile – sie musste das Wasser nicht „gratis“ liefern, sondern erhielt weiterhin Geld vom Mieter. Das OLG Hamburg betonte, dass eine Pflicht zur Versorgung nur so lange gilt, wie sie den berechtigten Interessen des Vermieters nicht unzumutbar widerspricht​. Anders ausgedrückt: Hätte der Mieter die Zahlungen eingestellt und müsste der Vermieter die Wasserkosten allein tragen, wäre ihm die Fortsetzung der Versorgung nicht zumutbar gewesen​. In einem solchen Fall dürften Vermieter eher berechtigt sein, die Leistungen einzustellen – die Rechtsprechung lässt Versorgungssperren nach Vertragsende vor allem dann zu, wenn erhebliche Mietrückstände bestehen und der Mieter keine Zahlungen mehr leistet​. Im vorliegenden Fall jedoch überwogen die Interessen der Mieterin an der Aufrechterhaltung ihres Gewerbebetriebs klar gegenüber den Interessen der Vermieterin, zumal letztere keine erheblichen zusätzlichen Belastungen nachweisen konnte. Dieses Ergebnis deckt sich mit früheren Urteilen, in denen Gerichte die Versorgungssperre untersagten, wenn dem Mieter ohne Wasser die Geschäftstätigkeit unmöglich würde und dem Vermieter daraus kein großer Schaden entsteht​.

Einstweiliges Verfügungsverfahren und teilweise Erledigungserklärung

Ein weiterer interessanter Aspekt des Falls ist die prozessuale Handhabung im einstweiligen Verfügungsverfahren. Während des laufenden Berufungsverfahrens vor dem OLG Hamburg ergab sich nämlich eine Wendung: Die Mieterin gab das Mietobjekt am 06.12.2024 freiwillig heraus (vermutlich, weil parallel der Räumungsrechtsstreit abschließend entschieden wurde). Damit war die Wasserversorgung ab diesem Zeitpunkt faktisch kein Thema mehr – der Verfügungsantrag hatte sich für die Zukunft erledigt. Die Parteien erklärten den Rechtsstreit daher teilweise für erledigt. Das OLG stellte klar, dass eine teilweise Erledigungserklärung im einstweiligen Verfügungsverfahren zulässig ist, wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse daran hat​. Hier wollte die Mieterin erreichen, dass die bis Dezember ergangene einstweilige Verfügung als rechtmäßig anerkannt bleibt, um ggf. aus ihr Maßnahmen vollstrecken zu können. Das Gericht führte aus, dass eine Erledigungserklärung nur für die Zukunft kombiniert mit einem Feststellungsantrag für die Vergangenheit möglich ist, wenn auf diese Weise ein vollstreckungsfähiger Titel für die zurückliegende Zeit erhalten bleiben soll​. Hätte man den Rechtsstreit vollständig für erledigt erklärt, wäre die vollstreckbare Wirkung der einstweiligen Verfügung erloschen​. Durch die teilweise Erledigung konnte die Wirksamkeit des Unterlassungstitels (hier: die Verpflichtung, die Versorgung nicht zu unterbrechen) bis zur Räumung aufrechterhalten werden. Das OLG Hamburg anerkannte dieses Vorgehen und stellte fest, dass der Eilantrag bis zum 06.12.2024 zulässig und begründet war und sich erst durch die Besitzaufgabe erledigt hat​. Damit trägt die Vermieterin die Kosten des Verfahrens, und die Mieterin behält für eventuelle Verstöße der Vermieterin bis Dezember 2024 einen Sanktionsrahmen (Ordnungsmittel) in der Hand​.

Was bedeutet das für Köln? – Relevanz des Urteils für Gewerbemieter und Vermieter

Obwohl das Urteil aus Hamburg stammt, ist seine Signalwirkung auch für Gewerbemieter und Gewerbevermieter in Köln hoch relevant. Versorgungssperren in laufenden Mietstreitigkeiten können grundsätzlich überall vorkommen – etwa wenn ein Vermieter in Köln einem hartnäckigen Mieter von Geschäftsräumen den Strom oder das Wasser abdrehen will, um den Auszug zu beschleunigen. Die Entscheidung des OLG Hamburg zeigt klar, dass solche Methoden rechtlich riskant sind und von Gerichten in der Regel nicht geduldet werden​. Kölner Gewerbevermieter sollten daher zweimal überlegen, bevor sie zu drastischen Mitteln greifen: Statt den Wasserhahn zuzudrehen, ist der korrekte Weg die Räumungsklage und Zwangsvollstreckung. Andernfalls drohen einstweilige Verfügungen zugunsten des Mieters – auch ein Kölner Mieter kann beim zuständigen Landgericht schnell eine Verfügung erwirken, um die Wasserversorgung oder andere Leistungen wiederherstellen zu lassen.

Für Gewerbemieter in Köln bietet das Urteil einen wichtigen Schutz: Selbst wenn der Vermieter der Meinung ist, der Gewerbemietvertrag sei beendet, darf er nicht eigenmächtig die Infrastruktur kappen, solange die Rechtslage nicht eindeutig geklärt ist. Mieter können sich auf ihren Besitzstand und § 242 BGB berufen, vor allem wenn sie weiterhin ihre vertraglichen Pflichten (z.B. Mietzahlungen) erfüllen. Im Ernstfall sollte umgehend rechtlicher Rat eingeholt werden, und es kann ein Eilantrag gestellt werden, um den Betriebsablauf zu sichern. Fazit: Das Urteil des OLG Hamburg stärkt die Rechte der Gewerbemieter auf ungestörten Geschäftsbetrieb, mahnt Vermieter zu rechtskonformem Vorgehen und hat auch für Köln Hinweischarakter, wie vergleichbare Konflikte im Gewerbemietrecht zu lösen sind​

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